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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nein, scigte er und zog sie fester an sich. Weder Tag, noch Datum,
noch Vers, ich hab ein zu elendes Gedächtnis.

Du sollst dich aber erinnern. Sie richtete sich auf und sah ihn ernst
an. Hör zu, ich sag dir was. Ich wollte die Zahlen wegradiren, weißt du,
die schrecklichen Zahlen! Sie brannten mich förmlich. Damals fing mein
Leiden an um dich. Es ging nicht, sie standen zu fest mit dem spitzen, harten
Bleistift eingeschrieben. Ich habe sehr geweint. Dann bin ich in den Garten
gegangen, zu deinem lieben Baum, und hab ein Blatt davon gepflückt und
hab es an die Stelle gelegt, das sollte sie wieder -- weihen, versöhnen --
du verstehst?

Sei doch still, murmelte er und küßte sie.

Hör mich weiter, bat Margarete, die Arme noch um seinen Hals. Wie
der Vers hieß, weißt du auch recht gut. Sag nur nichts. Aber ich hab
ihn mir in Gedanken ein bischen verändert, ein bischen für mich zurecht ge¬
macht -- warum zuckst du so mit dem Arm? Hör zu. Im Buche steht:
Hingeben, was dir lieb; hinnehmen, was dir leid, nicht wahr? Ich habe
dann gedacht: Vergessen, was dir leid; verdienen, was dir lieb -- die
Stimme versagte ihr. Zitternd drückte sie sich an ihn, der sie fest umschlang.

Dich hab ich mir verdienen wollen, schluchzte sie an seinem Hals. Das
war schwer. Das Frühere zu vergessen -- wie schnell ging das! Um dich
aber hat mir das Herz weh gethan, Tag und Nacht. O sage mir, daß du
mich lieb hast!

Ich werth nicht ordentlich können, sagte er ganz weich. Aber weißt du,
wir fahren nach Warnemünde, und da setzen wir uns in unsern alten Strcmd-
kvrb, und ich nehme dich wieder auf den Schoß -- und dann sag ichs dir.

Sag mirs jetzt, bat sie. Mit scheuer Zärtlichkeit streichelte sie sein
Haar, seine Wange, die bärtige Wange -- zum erstenmal. Sag mirs jetzt,
ich hab so sehr darauf gewartet. Einmal!

Er nahm die kleine, zaghafte Hand und drückte sie an seinen Mund.
Ganz leise flüsterte ers ihr dann zu.

Sie merkten nichts davon, daß für einen Augenblick hinter ihnen die
Mutter auf die Schwelle trat, daß sie mit stillem Lächeln herübernickte und
dann sacht die Thüre schloß.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

E. T. A. Hoffmann als Musiker. In dem Streit um klassisch und ro¬
mantisch nimmt die Musik eine eigentümliche Stellung ein: bei ihr sind auch die
Klassiker romantisch. Mozart ist der Schöpfer des kindlich-romantischen Don Juan,
der märchenhaften Zauberflöte; weil er in die Ecksätze der Sinfonie ein "kantabiles"
Element einführte, einen sentimentalen, mit Schiller zu reden, oder mit Jean Paul


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nein, scigte er und zog sie fester an sich. Weder Tag, noch Datum,
noch Vers, ich hab ein zu elendes Gedächtnis.

Du sollst dich aber erinnern. Sie richtete sich auf und sah ihn ernst
an. Hör zu, ich sag dir was. Ich wollte die Zahlen wegradiren, weißt du,
die schrecklichen Zahlen! Sie brannten mich förmlich. Damals fing mein
Leiden an um dich. Es ging nicht, sie standen zu fest mit dem spitzen, harten
Bleistift eingeschrieben. Ich habe sehr geweint. Dann bin ich in den Garten
gegangen, zu deinem lieben Baum, und hab ein Blatt davon gepflückt und
hab es an die Stelle gelegt, das sollte sie wieder — weihen, versöhnen —
du verstehst?

Sei doch still, murmelte er und küßte sie.

Hör mich weiter, bat Margarete, die Arme noch um seinen Hals. Wie
der Vers hieß, weißt du auch recht gut. Sag nur nichts. Aber ich hab
ihn mir in Gedanken ein bischen verändert, ein bischen für mich zurecht ge¬
macht — warum zuckst du so mit dem Arm? Hör zu. Im Buche steht:
Hingeben, was dir lieb; hinnehmen, was dir leid, nicht wahr? Ich habe
dann gedacht: Vergessen, was dir leid; verdienen, was dir lieb — die
Stimme versagte ihr. Zitternd drückte sie sich an ihn, der sie fest umschlang.

Dich hab ich mir verdienen wollen, schluchzte sie an seinem Hals. Das
war schwer. Das Frühere zu vergessen — wie schnell ging das! Um dich
aber hat mir das Herz weh gethan, Tag und Nacht. O sage mir, daß du
mich lieb hast!

Ich werth nicht ordentlich können, sagte er ganz weich. Aber weißt du,
wir fahren nach Warnemünde, und da setzen wir uns in unsern alten Strcmd-
kvrb, und ich nehme dich wieder auf den Schoß — und dann sag ichs dir.

Sag mirs jetzt, bat sie. Mit scheuer Zärtlichkeit streichelte sie sein
Haar, seine Wange, die bärtige Wange — zum erstenmal. Sag mirs jetzt,
ich hab so sehr darauf gewartet. Einmal!

Er nahm die kleine, zaghafte Hand und drückte sie an seinen Mund.
Ganz leise flüsterte ers ihr dann zu.

Sie merkten nichts davon, daß für einen Augenblick hinter ihnen die
Mutter auf die Schwelle trat, daß sie mit stillem Lächeln herübernickte und
dann sacht die Thüre schloß.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

E. T. A. Hoffmann als Musiker. In dem Streit um klassisch und ro¬
mantisch nimmt die Musik eine eigentümliche Stellung ein: bei ihr sind auch die
Klassiker romantisch. Mozart ist der Schöpfer des kindlich-romantischen Don Juan,
der märchenhaften Zauberflöte; weil er in die Ecksätze der Sinfonie ein „kantabiles"
Element einführte, einen sentimentalen, mit Schiller zu reden, oder mit Jean Paul


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[0298] Maßgebliches und Unmaßgebliches Nein, scigte er und zog sie fester an sich. Weder Tag, noch Datum, noch Vers, ich hab ein zu elendes Gedächtnis. Du sollst dich aber erinnern. Sie richtete sich auf und sah ihn ernst an. Hör zu, ich sag dir was. Ich wollte die Zahlen wegradiren, weißt du, die schrecklichen Zahlen! Sie brannten mich förmlich. Damals fing mein Leiden an um dich. Es ging nicht, sie standen zu fest mit dem spitzen, harten Bleistift eingeschrieben. Ich habe sehr geweint. Dann bin ich in den Garten gegangen, zu deinem lieben Baum, und hab ein Blatt davon gepflückt und hab es an die Stelle gelegt, das sollte sie wieder — weihen, versöhnen — du verstehst? Sei doch still, murmelte er und küßte sie. Hör mich weiter, bat Margarete, die Arme noch um seinen Hals. Wie der Vers hieß, weißt du auch recht gut. Sag nur nichts. Aber ich hab ihn mir in Gedanken ein bischen verändert, ein bischen für mich zurecht ge¬ macht — warum zuckst du so mit dem Arm? Hör zu. Im Buche steht: Hingeben, was dir lieb; hinnehmen, was dir leid, nicht wahr? Ich habe dann gedacht: Vergessen, was dir leid; verdienen, was dir lieb — die Stimme versagte ihr. Zitternd drückte sie sich an ihn, der sie fest umschlang. Dich hab ich mir verdienen wollen, schluchzte sie an seinem Hals. Das war schwer. Das Frühere zu vergessen — wie schnell ging das! Um dich aber hat mir das Herz weh gethan, Tag und Nacht. O sage mir, daß du mich lieb hast! Ich werth nicht ordentlich können, sagte er ganz weich. Aber weißt du, wir fahren nach Warnemünde, und da setzen wir uns in unsern alten Strcmd- kvrb, und ich nehme dich wieder auf den Schoß — und dann sag ichs dir. Sag mirs jetzt, bat sie. Mit scheuer Zärtlichkeit streichelte sie sein Haar, seine Wange, die bärtige Wange — zum erstenmal. Sag mirs jetzt, ich hab so sehr darauf gewartet. Einmal! Er nahm die kleine, zaghafte Hand und drückte sie an seinen Mund. Ganz leise flüsterte ers ihr dann zu. Sie merkten nichts davon, daß für einen Augenblick hinter ihnen die Mutter auf die Schwelle trat, daß sie mit stillem Lächeln herübernickte und dann sacht die Thüre schloß. Maßgebliches und Unmaßgebliches E. T. A. Hoffmann als Musiker. In dem Streit um klassisch und ro¬ mantisch nimmt die Musik eine eigentümliche Stellung ein: bei ihr sind auch die Klassiker romantisch. Mozart ist der Schöpfer des kindlich-romantischen Don Juan, der märchenhaften Zauberflöte; weil er in die Ecksätze der Sinfonie ein „kantabiles" Element einführte, einen sentimentalen, mit Schiller zu reden, oder mit Jean Paul

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/298>, abgerufen am 27.04.2024.