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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

inniges Klagen bei Kreisler so gut mit einander abwechseln wie in Schumanns
"Kreisleriana."

Wir kennen heute Hoffmann fast nur noch als Dichter; aber als junger Mann
war er nicht weniger berühmt als Zeichner, besonders als geistvoller Karikaturen¬
zeichner, und berühmter noch als Komponist. Der Musik hat er sich in seinen
besten Jahren, zwischen dem fünfundzwanzigsten und dem fünfunddreißigsten mit
hingebenden Eifer gewidmet; noch gegen Ende dieser Zeit, als er in drückenden
Sorgen steckte, hat er einmal geäußert: "Zum Musiker bin ich uun einmal geboren,
das habe ich von meiner frühsten Jugend an in mir gefühlt und mit mir herum¬
getragen. Nur der mir innewohnende Genius der Musik kaun mich aus meiner
Misere reißen." Als früheste Komposition hat sich eine kirchliche Ouvertüre des
fünfundzwanzigjährigen erhalten, der Ellinger Sicherheit in der musikalischen Form,
Eigenart und Wirkungskraft zuschreibt; nicht viel jünger sind eine Sinfonie und
zwei Klaviersouaten, die mehrfach an Mozart erinnern sollen. In Warschau hat
Hoffmann Musik zu Zacharias Werners "Krug an der Ostsee" und zwei Opern:
"Liebe und Eifersucht" und "Der Kanonikus von Mailand" geschrieben, endlich
eine Messe in O-moll, in Bamberg, wo er kurze Zeit Musikdirektor am Theater
war, wieder zwei Klaviersonaten, nun nach Beethovenschen Vorbild, ein Quintett
und eine Reihe kleinerer Kirchenkompositionen. Beklagenswert scheint der Verlust
seiner Musik zur Genovefa des Malers Müller zu sein; seine beste Oper aber, die
"Undine," ist erhalten. Nach Ellingcrs Urteil steht sie weit über Lortzings Oper,
abgesehen von den komischen Episoden, die Lortzing eingefügt hat, und für die Hoff¬
manns Oper keine Vergleichungspunkte bietet. Wenn Hoffmann, wie Ellinger be¬
stimmt behauptet, auch als Komponist Anspruch hat, für uns mehr als ein bloßer
Name zu sein, so Wäre die "Undine" gewiß das erste seiner Werke, das den Versuch
einer Wiederaufführung lohnen würde.




Litteratur
Das Neue Testament. Übersetzt von Karl Weizsäcker. Sechste und siebente verbesserte
Auflage. Freiburg und Leipzig, I. C. B. Mohr, 1894

Hoffentlich teilt kein Leser der Grenzboten den Standpunkt der jungen Dame,
Von der die Christliche Welt vor einiger Zeit erzählte, daß sie ihrer Freundin ent¬
setzt zugerufen habe: "Was, du liesest in dem Weizsäcker, diesem ungläubigen Kri¬
tiker, der uns die Bibel zerstückt und zerpflückt?" Aber ist nicht vielleicht die Be¬
fürchtung begründet, daß viele unsrer Leser dies Buch ebenso wenig kennen wie
offenbar jene Dame? Jedenfalls beweist die Thatsache, daß es jetzt, ungefähr fünf¬
zehn Jahre nach seinem ersten Erscheinen, in sechster und siebenter Auflage aus¬
gegeben wordeu ist, was für manches andre Buch ein schöner Erfolg heißen würde,
bei Weizsäckers Neuem Testament, daß es noch viel zu wenig bekannt ist. Soll
sich dieses Buch, das jeder Theologe neben seinem Urtext braucht, nicht auch bei
denen einbürgern, für die es recht eigentlich bestimmt ist, bei der großen Zahl unsrer


Litteratur

inniges Klagen bei Kreisler so gut mit einander abwechseln wie in Schumanns
„Kreisleriana."

Wir kennen heute Hoffmann fast nur noch als Dichter; aber als junger Mann
war er nicht weniger berühmt als Zeichner, besonders als geistvoller Karikaturen¬
zeichner, und berühmter noch als Komponist. Der Musik hat er sich in seinen
besten Jahren, zwischen dem fünfundzwanzigsten und dem fünfunddreißigsten mit
hingebenden Eifer gewidmet; noch gegen Ende dieser Zeit, als er in drückenden
Sorgen steckte, hat er einmal geäußert: „Zum Musiker bin ich uun einmal geboren,
das habe ich von meiner frühsten Jugend an in mir gefühlt und mit mir herum¬
getragen. Nur der mir innewohnende Genius der Musik kaun mich aus meiner
Misere reißen." Als früheste Komposition hat sich eine kirchliche Ouvertüre des
fünfundzwanzigjährigen erhalten, der Ellinger Sicherheit in der musikalischen Form,
Eigenart und Wirkungskraft zuschreibt; nicht viel jünger sind eine Sinfonie und
zwei Klaviersouaten, die mehrfach an Mozart erinnern sollen. In Warschau hat
Hoffmann Musik zu Zacharias Werners „Krug an der Ostsee" und zwei Opern:
„Liebe und Eifersucht" und „Der Kanonikus von Mailand" geschrieben, endlich
eine Messe in O-moll, in Bamberg, wo er kurze Zeit Musikdirektor am Theater
war, wieder zwei Klaviersonaten, nun nach Beethovenschen Vorbild, ein Quintett
und eine Reihe kleinerer Kirchenkompositionen. Beklagenswert scheint der Verlust
seiner Musik zur Genovefa des Malers Müller zu sein; seine beste Oper aber, die
„Undine," ist erhalten. Nach Ellingcrs Urteil steht sie weit über Lortzings Oper,
abgesehen von den komischen Episoden, die Lortzing eingefügt hat, und für die Hoff¬
manns Oper keine Vergleichungspunkte bietet. Wenn Hoffmann, wie Ellinger be¬
stimmt behauptet, auch als Komponist Anspruch hat, für uns mehr als ein bloßer
Name zu sein, so Wäre die „Undine" gewiß das erste seiner Werke, das den Versuch
einer Wiederaufführung lohnen würde.




Litteratur
Das Neue Testament. Übersetzt von Karl Weizsäcker. Sechste und siebente verbesserte
Auflage. Freiburg und Leipzig, I. C. B. Mohr, 1894

Hoffentlich teilt kein Leser der Grenzboten den Standpunkt der jungen Dame,
Von der die Christliche Welt vor einiger Zeit erzählte, daß sie ihrer Freundin ent¬
setzt zugerufen habe: „Was, du liesest in dem Weizsäcker, diesem ungläubigen Kri¬
tiker, der uns die Bibel zerstückt und zerpflückt?" Aber ist nicht vielleicht die Be¬
fürchtung begründet, daß viele unsrer Leser dies Buch ebenso wenig kennen wie
offenbar jene Dame? Jedenfalls beweist die Thatsache, daß es jetzt, ungefähr fünf¬
zehn Jahre nach seinem ersten Erscheinen, in sechster und siebenter Auflage aus¬
gegeben wordeu ist, was für manches andre Buch ein schöner Erfolg heißen würde,
bei Weizsäckers Neuem Testament, daß es noch viel zu wenig bekannt ist. Soll
sich dieses Buch, das jeder Theologe neben seinem Urtext braucht, nicht auch bei
denen einbürgern, für die es recht eigentlich bestimmt ist, bei der großen Zahl unsrer


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[0300] Litteratur inniges Klagen bei Kreisler so gut mit einander abwechseln wie in Schumanns „Kreisleriana." Wir kennen heute Hoffmann fast nur noch als Dichter; aber als junger Mann war er nicht weniger berühmt als Zeichner, besonders als geistvoller Karikaturen¬ zeichner, und berühmter noch als Komponist. Der Musik hat er sich in seinen besten Jahren, zwischen dem fünfundzwanzigsten und dem fünfunddreißigsten mit hingebenden Eifer gewidmet; noch gegen Ende dieser Zeit, als er in drückenden Sorgen steckte, hat er einmal geäußert: „Zum Musiker bin ich uun einmal geboren, das habe ich von meiner frühsten Jugend an in mir gefühlt und mit mir herum¬ getragen. Nur der mir innewohnende Genius der Musik kaun mich aus meiner Misere reißen." Als früheste Komposition hat sich eine kirchliche Ouvertüre des fünfundzwanzigjährigen erhalten, der Ellinger Sicherheit in der musikalischen Form, Eigenart und Wirkungskraft zuschreibt; nicht viel jünger sind eine Sinfonie und zwei Klaviersouaten, die mehrfach an Mozart erinnern sollen. In Warschau hat Hoffmann Musik zu Zacharias Werners „Krug an der Ostsee" und zwei Opern: „Liebe und Eifersucht" und „Der Kanonikus von Mailand" geschrieben, endlich eine Messe in O-moll, in Bamberg, wo er kurze Zeit Musikdirektor am Theater war, wieder zwei Klaviersonaten, nun nach Beethovenschen Vorbild, ein Quintett und eine Reihe kleinerer Kirchenkompositionen. Beklagenswert scheint der Verlust seiner Musik zur Genovefa des Malers Müller zu sein; seine beste Oper aber, die „Undine," ist erhalten. Nach Ellingcrs Urteil steht sie weit über Lortzings Oper, abgesehen von den komischen Episoden, die Lortzing eingefügt hat, und für die Hoff¬ manns Oper keine Vergleichungspunkte bietet. Wenn Hoffmann, wie Ellinger be¬ stimmt behauptet, auch als Komponist Anspruch hat, für uns mehr als ein bloßer Name zu sein, so Wäre die „Undine" gewiß das erste seiner Werke, das den Versuch einer Wiederaufführung lohnen würde. Litteratur Das Neue Testament. Übersetzt von Karl Weizsäcker. Sechste und siebente verbesserte Auflage. Freiburg und Leipzig, I. C. B. Mohr, 1894 Hoffentlich teilt kein Leser der Grenzboten den Standpunkt der jungen Dame, Von der die Christliche Welt vor einiger Zeit erzählte, daß sie ihrer Freundin ent¬ setzt zugerufen habe: „Was, du liesest in dem Weizsäcker, diesem ungläubigen Kri¬ tiker, der uns die Bibel zerstückt und zerpflückt?" Aber ist nicht vielleicht die Be¬ fürchtung begründet, daß viele unsrer Leser dies Buch ebenso wenig kennen wie offenbar jene Dame? Jedenfalls beweist die Thatsache, daß es jetzt, ungefähr fünf¬ zehn Jahre nach seinem ersten Erscheinen, in sechster und siebenter Auflage aus¬ gegeben wordeu ist, was für manches andre Buch ein schöner Erfolg heißen würde, bei Weizsäckers Neuem Testament, daß es noch viel zu wenig bekannt ist. Soll sich dieses Buch, das jeder Theologe neben seinem Urtext braucht, nicht auch bei denen einbürgern, für die es recht eigentlich bestimmt ist, bei der großen Zahl unsrer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/300>, abgerufen am 28.04.2024.