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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Das Männle

als Zukunft durch den verhüllenden und verschönernden Schleier der Hoff¬
nung betrachten, sondern als hinter uns liegend, als Vergangenheit, die --
niemand noch einmal durchleben möchte. Und der Tod ist das Ende dieses
Leidens. Ganz sicher.

Mag uns dies einen Trost gewähren -- dies und das ferne Licht der
Ewigkeit, das auch durch die Grabesnacht noch zu uns herüberschimmert.




Das Männle

MMes kann die Geschichte noch genau so erzählen, wie er sie mir
erzählt hat. Als ich ins Gastzimmer komme, sitzt er da am
Tisch, ein langer Kerl mit einem langen Bart und einem Hut
wie ein Wagenrad, vor einer Flasche Terlaner. Ich bestelle
mir bei der Zenz einen Noten und setze mich zu ihm. Mit
Verlaub! sage ich. Sagt er: Im Wirtshaus ists jedem erlaubt!
Ich will das zuerst für eine Unfreundlichkeit nehmen, aber wir kommen doch
in ein Gespräch und reden von dem und jenem, und endlich fängt er an zu
erzählen:

Ich wollte hinüber in den Süden, aber die gewöhnlichen Straßen war
ich schon öfter gegangen, und ich suche mir gern neue Eindrücke und Bilder.
Deshalb war ich höher hinauf gewandert und dann in ein wenig besuchtes
Seitenthal, das zu den Gletschern hinaufführte und mir einen lohnenden
Übergang versprach. Im letzten Dorf hatte ich im Wirtshaus halt gemacht,
um mich mit Lebensmitteln zu Versehen für den Fall, daß ich droben keine
Hütte mehr funde, und trank ein Flasche! Wein, während mir der Wirt die
Sachen zusammenpackte.

So so, da herauf seid Ihr gestiegen, und über das Joch wollt Ihr auch
noch, sagte der Wirt zu mir; wird freilich eine strenge Partie für den Herrn
werden, und Unterkunft für die Nacht wirds kaum geben. Aber wer sich im
Gebirg auskenne, der findet sich schon hinauf und hinaus. Das Bildstock!
dürft Ihr nicht verfehlen. Am Gletscher hinauf und immer links auf den
Muren, zu der Scharten dort droben, da stehts. Jetzt kommt selten einer
da hinauf, fuhr der Wirt fort und schaute zum Fenster hinaus auf den Pfad,
der sich im Thal aufwärts schlängelte; und über den Berg geht kaum einer,
ich schon gar nicht -- was ich mir auch denken konnte, denn es war ein be¬
hübiger Mann. Wenn sich einmal eine Geiß verstiegen hat, dann schon, aber
da schickt man halt den Buben. Früher solls anders gewesen sein, da hat
eine Straße hinübergeführt, die hinausgegangen ist bis ins Welschland. Das
war in alten Zeiten, da hats auch noch keine Gletscher gegeben hier herum.
Und Gold haben sie geklaubt, die Welschen. Römer sinds gewesen und


Das Männle

als Zukunft durch den verhüllenden und verschönernden Schleier der Hoff¬
nung betrachten, sondern als hinter uns liegend, als Vergangenheit, die —
niemand noch einmal durchleben möchte. Und der Tod ist das Ende dieses
Leidens. Ganz sicher.

Mag uns dies einen Trost gewähren — dies und das ferne Licht der
Ewigkeit, das auch durch die Grabesnacht noch zu uns herüberschimmert.




Das Männle

MMes kann die Geschichte noch genau so erzählen, wie er sie mir
erzählt hat. Als ich ins Gastzimmer komme, sitzt er da am
Tisch, ein langer Kerl mit einem langen Bart und einem Hut
wie ein Wagenrad, vor einer Flasche Terlaner. Ich bestelle
mir bei der Zenz einen Noten und setze mich zu ihm. Mit
Verlaub! sage ich. Sagt er: Im Wirtshaus ists jedem erlaubt!
Ich will das zuerst für eine Unfreundlichkeit nehmen, aber wir kommen doch
in ein Gespräch und reden von dem und jenem, und endlich fängt er an zu
erzählen:

Ich wollte hinüber in den Süden, aber die gewöhnlichen Straßen war
ich schon öfter gegangen, und ich suche mir gern neue Eindrücke und Bilder.
Deshalb war ich höher hinauf gewandert und dann in ein wenig besuchtes
Seitenthal, das zu den Gletschern hinaufführte und mir einen lohnenden
Übergang versprach. Im letzten Dorf hatte ich im Wirtshaus halt gemacht,
um mich mit Lebensmitteln zu Versehen für den Fall, daß ich droben keine
Hütte mehr funde, und trank ein Flasche! Wein, während mir der Wirt die
Sachen zusammenpackte.

So so, da herauf seid Ihr gestiegen, und über das Joch wollt Ihr auch
noch, sagte der Wirt zu mir; wird freilich eine strenge Partie für den Herrn
werden, und Unterkunft für die Nacht wirds kaum geben. Aber wer sich im
Gebirg auskenne, der findet sich schon hinauf und hinaus. Das Bildstock!
dürft Ihr nicht verfehlen. Am Gletscher hinauf und immer links auf den
Muren, zu der Scharten dort droben, da stehts. Jetzt kommt selten einer
da hinauf, fuhr der Wirt fort und schaute zum Fenster hinaus auf den Pfad,
der sich im Thal aufwärts schlängelte; und über den Berg geht kaum einer,
ich schon gar nicht — was ich mir auch denken konnte, denn es war ein be¬
hübiger Mann. Wenn sich einmal eine Geiß verstiegen hat, dann schon, aber
da schickt man halt den Buben. Früher solls anders gewesen sein, da hat
eine Straße hinübergeführt, die hinausgegangen ist bis ins Welschland. Das
war in alten Zeiten, da hats auch noch keine Gletscher gegeben hier herum.
Und Gold haben sie geklaubt, die Welschen. Römer sinds gewesen und


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[0334] Das Männle als Zukunft durch den verhüllenden und verschönernden Schleier der Hoff¬ nung betrachten, sondern als hinter uns liegend, als Vergangenheit, die — niemand noch einmal durchleben möchte. Und der Tod ist das Ende dieses Leidens. Ganz sicher. Mag uns dies einen Trost gewähren — dies und das ferne Licht der Ewigkeit, das auch durch die Grabesnacht noch zu uns herüberschimmert. Das Männle MMes kann die Geschichte noch genau so erzählen, wie er sie mir erzählt hat. Als ich ins Gastzimmer komme, sitzt er da am Tisch, ein langer Kerl mit einem langen Bart und einem Hut wie ein Wagenrad, vor einer Flasche Terlaner. Ich bestelle mir bei der Zenz einen Noten und setze mich zu ihm. Mit Verlaub! sage ich. Sagt er: Im Wirtshaus ists jedem erlaubt! Ich will das zuerst für eine Unfreundlichkeit nehmen, aber wir kommen doch in ein Gespräch und reden von dem und jenem, und endlich fängt er an zu erzählen: Ich wollte hinüber in den Süden, aber die gewöhnlichen Straßen war ich schon öfter gegangen, und ich suche mir gern neue Eindrücke und Bilder. Deshalb war ich höher hinauf gewandert und dann in ein wenig besuchtes Seitenthal, das zu den Gletschern hinaufführte und mir einen lohnenden Übergang versprach. Im letzten Dorf hatte ich im Wirtshaus halt gemacht, um mich mit Lebensmitteln zu Versehen für den Fall, daß ich droben keine Hütte mehr funde, und trank ein Flasche! Wein, während mir der Wirt die Sachen zusammenpackte. So so, da herauf seid Ihr gestiegen, und über das Joch wollt Ihr auch noch, sagte der Wirt zu mir; wird freilich eine strenge Partie für den Herrn werden, und Unterkunft für die Nacht wirds kaum geben. Aber wer sich im Gebirg auskenne, der findet sich schon hinauf und hinaus. Das Bildstock! dürft Ihr nicht verfehlen. Am Gletscher hinauf und immer links auf den Muren, zu der Scharten dort droben, da stehts. Jetzt kommt selten einer da hinauf, fuhr der Wirt fort und schaute zum Fenster hinaus auf den Pfad, der sich im Thal aufwärts schlängelte; und über den Berg geht kaum einer, ich schon gar nicht — was ich mir auch denken konnte, denn es war ein be¬ hübiger Mann. Wenn sich einmal eine Geiß verstiegen hat, dann schon, aber da schickt man halt den Buben. Früher solls anders gewesen sein, da hat eine Straße hinübergeführt, die hinausgegangen ist bis ins Welschland. Das war in alten Zeiten, da hats auch noch keine Gletscher gegeben hier herum. Und Gold haben sie geklaubt, die Welschen. Römer sinds gewesen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/334>, abgerufen am 27.04.2024.