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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

am Religionsunterricht haben kann, und daraus, daß die Kirche das höchste
Interesse an ihm haben muß, ergiebt sich gleichmüßig, daß der Religionsunter¬
richt möglichst bald der Volksschule zu nehmen und der Kirche zu übergeben
ist. Wen diese damit beauftragen wird, das zu überlegen ist noch viel Zeit.
Denn vorläufig hat der Staat noch nicht vergessen, daß er christlich gewesen
ist, und zieht noch nicht die richtige Folgerung aus der grundsätzlichen Ände¬
rung, die mit seinem Wesen vorgegangen ist; wenigstens haben die Kultus¬
minister von Württemberg und Sachsen auf den Generalversammlungen des
deutschen Lehrervereins erklärt, daß an eine Entfernung des Religionsunter¬
richts aus der Volksschule vorläufig nicht zu denken sei.

Man sieht: wenn die Volksschullehrer die Aufhebung der geistlichen Schul¬
aufsicht, die Beseitigung der niedern Kirchendienste und die Entfernung des
konfessionellen Religionsunterrichts erstreben, so schaden sie sich selbst, wenn
sie sich dabei gegen die Geistlichkeit, die Kirche und das Christentum feindlich
zeigen. Denn die Geistlichen, soweit sie nicht Kirchturmsinteresfen verfolgen,
und die Kirche überhaupt kann diese Bestrebungen nur billigen, ja sie geht in
ihren eignen Interessen noch über das, was die Lehrer wollen, hinaus. Man
würde also viel schneller ans Ziel kommen, wenn Kirche und Schule Hand in
Hand gingen. Ihrem gemeinsamen Andringen könnte der Staat viel weniger
widerstehen. Wozu also die von deu Lehrerzeitungen immer wieder geschürte
Feindschaft gegen die Kirche? Möge sie bald verschwinden und einerseits dem
Gefühl der Dankbarkeit für die Dienste, die die evangelische Kirche der Volks¬
schule doch geleistet hat, und andrerseits ehrlicher Waffenbrüderschaft weichen.


Bruno Hase


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome
8. Das ^>ahr ^370 (Fortsetzung)

ontag früh erschien zuerst die Blaumüller, so genannt als Vor¬
steherin eines Waisenstifts, dessen Zöglinge blaue Uniform trugen.
Sie war eine tüchtige und gescheite, aber gewaltig fromme Frau.
Sie hielt mir eine kräftige Strafpredigt, erinnerte mich an meine
eignen frühern Predigten und schloß: Und wissen Sie auch,
°aß Ihnen die Freimaurer gestern Abend beinahe einen Fackelzug gebracht


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

am Religionsunterricht haben kann, und daraus, daß die Kirche das höchste
Interesse an ihm haben muß, ergiebt sich gleichmüßig, daß der Religionsunter¬
richt möglichst bald der Volksschule zu nehmen und der Kirche zu übergeben
ist. Wen diese damit beauftragen wird, das zu überlegen ist noch viel Zeit.
Denn vorläufig hat der Staat noch nicht vergessen, daß er christlich gewesen
ist, und zieht noch nicht die richtige Folgerung aus der grundsätzlichen Ände¬
rung, die mit seinem Wesen vorgegangen ist; wenigstens haben die Kultus¬
minister von Württemberg und Sachsen auf den Generalversammlungen des
deutschen Lehrervereins erklärt, daß an eine Entfernung des Religionsunter¬
richts aus der Volksschule vorläufig nicht zu denken sei.

Man sieht: wenn die Volksschullehrer die Aufhebung der geistlichen Schul¬
aufsicht, die Beseitigung der niedern Kirchendienste und die Entfernung des
konfessionellen Religionsunterrichts erstreben, so schaden sie sich selbst, wenn
sie sich dabei gegen die Geistlichkeit, die Kirche und das Christentum feindlich
zeigen. Denn die Geistlichen, soweit sie nicht Kirchturmsinteresfen verfolgen,
und die Kirche überhaupt kann diese Bestrebungen nur billigen, ja sie geht in
ihren eignen Interessen noch über das, was die Lehrer wollen, hinaus. Man
würde also viel schneller ans Ziel kommen, wenn Kirche und Schule Hand in
Hand gingen. Ihrem gemeinsamen Andringen könnte der Staat viel weniger
widerstehen. Wozu also die von deu Lehrerzeitungen immer wieder geschürte
Feindschaft gegen die Kirche? Möge sie bald verschwinden und einerseits dem
Gefühl der Dankbarkeit für die Dienste, die die evangelische Kirche der Volks¬
schule doch geleistet hat, und andrerseits ehrlicher Waffenbrüderschaft weichen.


Bruno Hase


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome
8. Das ^>ahr ^370 (Fortsetzung)

ontag früh erschien zuerst die Blaumüller, so genannt als Vor¬
steherin eines Waisenstifts, dessen Zöglinge blaue Uniform trugen.
Sie war eine tüchtige und gescheite, aber gewaltig fromme Frau.
Sie hielt mir eine kräftige Strafpredigt, erinnerte mich an meine
eignen frühern Predigten und schloß: Und wissen Sie auch,
°aß Ihnen die Freimaurer gestern Abend beinahe einen Fackelzug gebracht


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[0471] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome am Religionsunterricht haben kann, und daraus, daß die Kirche das höchste Interesse an ihm haben muß, ergiebt sich gleichmüßig, daß der Religionsunter¬ richt möglichst bald der Volksschule zu nehmen und der Kirche zu übergeben ist. Wen diese damit beauftragen wird, das zu überlegen ist noch viel Zeit. Denn vorläufig hat der Staat noch nicht vergessen, daß er christlich gewesen ist, und zieht noch nicht die richtige Folgerung aus der grundsätzlichen Ände¬ rung, die mit seinem Wesen vorgegangen ist; wenigstens haben die Kultus¬ minister von Württemberg und Sachsen auf den Generalversammlungen des deutschen Lehrervereins erklärt, daß an eine Entfernung des Religionsunter¬ richts aus der Volksschule vorläufig nicht zu denken sei. Man sieht: wenn die Volksschullehrer die Aufhebung der geistlichen Schul¬ aufsicht, die Beseitigung der niedern Kirchendienste und die Entfernung des konfessionellen Religionsunterrichts erstreben, so schaden sie sich selbst, wenn sie sich dabei gegen die Geistlichkeit, die Kirche und das Christentum feindlich zeigen. Denn die Geistlichen, soweit sie nicht Kirchturmsinteresfen verfolgen, und die Kirche überhaupt kann diese Bestrebungen nur billigen, ja sie geht in ihren eignen Interessen noch über das, was die Lehrer wollen, hinaus. Man würde also viel schneller ans Ziel kommen, wenn Kirche und Schule Hand in Hand gingen. Ihrem gemeinsamen Andringen könnte der Staat viel weniger widerstehen. Wozu also die von deu Lehrerzeitungen immer wieder geschürte Feindschaft gegen die Kirche? Möge sie bald verschwinden und einerseits dem Gefühl der Dankbarkeit für die Dienste, die die evangelische Kirche der Volks¬ schule doch geleistet hat, und andrerseits ehrlicher Waffenbrüderschaft weichen. Bruno Hase Wandlungen des Ich im Zeitenstrome 8. Das ^>ahr ^370 (Fortsetzung) ontag früh erschien zuerst die Blaumüller, so genannt als Vor¬ steherin eines Waisenstifts, dessen Zöglinge blaue Uniform trugen. Sie war eine tüchtige und gescheite, aber gewaltig fromme Frau. Sie hielt mir eine kräftige Strafpredigt, erinnerte mich an meine eignen frühern Predigten und schloß: Und wissen Sie auch, °aß Ihnen die Freimaurer gestern Abend beinahe einen Fackelzug gebracht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/471>, abgerufen am 27.04.2024.