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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Name Jlgcnstein, d. h. Lilienstein). Die älteste Dissimilation, die sich für die
germanische Sprache sicher erschließen läßt, steckt in dem Worte Vogel. Wir
würden noch heute Vlogel sagen, so gut wie wir noch Geflügel sagen, wenn
nicht schon vor zweitausend Jahren das erste 1 in xlulclos den alten Germanen
zu schwer geworden wäre.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Zeichen des cubanischen Aufstandes.

Zwar ist die Zeit dahin,
wo die deutschen Kaufleute in Havana die angesehenste und einflußreichste Gruppe
im dortigen Handelsstande bildeten. Das von der Masse gedankenlos bejubelte
Oktobermanifest des Jahres 1868, das die Sklaverei auf Cuba aufhob, hat die
durch Mißregierung schon vorher oft bedrohte Blüte der Insel gebrochen, und
natürlich ist denn auch der Wohlstand unsrer Landsleute zurückgegangen. Die Auf¬
stünde, die bald darauf begannen, und deren Caramelgeruch von verbrannten Zucker¬
rohrernten der Reisende bei Cardeuas uoch 1875 zu riechen bekam, die Zucker¬
krisis und der Verfall der Oberherrschaft des Havaneser Tabaks über den Geschmack
der Raucher Europas, endlich die fortwährenden Wirren mit dem Mutterlande
haben auf viele Geschäfte verwüstend gewirkt. Hier wie in andern Kolonien sind
große kaufmännische Dynastien gestürzt worden, und wo früher ein Name wie
Apennin durch die ganze Insel einen fürstlichen Klang hatte, hört man jetzt ein
Dutzend kleine Namen nennen, deren spanische, deutsche, südfranzösische oder jüdische
Träger sich uns unbekannte Weise ans der Menge emporgehoben haben, in die sie
großenteils auch bald wieder versinken. Immerhin sind die deutschen Interessen
in einer ganzen Anzahl von eubauischen Plätzen, natürlich besonders in Havana
und Matanzas, von bedeutendem Gewicht, die deutsche Schiffahrt ist in den wich¬
tigsten Hafenplätzen des Westens stärker als früher vertreten, und deutsche Industrie
hat ans dem Gebiete der Maschinen für die Zuckererzengung und der Einrichtung
ganzer Ingeniös manchen Triumph zu verzeichnen. Es ist also Grund genng ge¬
geben, daß wir die notwendig und nnter allen Umständen eintretenden Ver¬
änderungen auf dieser Insel aufmerksam beobachten.

Cubas Oberfläche kommt der von ganz Süddeutschland fast gleich, ihre Lage
macht sie bei solcher Größe zur Herrin des Antillenmeeres, durch das in kurzer
Frist die kürzesten Wege zwischen der atlantischen und der pacifischen Welt führen
werden. Diese Wege werden dem amerikanischen Mittelmeer eine noch größere
Stellung anweisen, als das europäische seit Jahrtausenden einnimmt. Die Ver¬
einigten Staaten von Amerika sind der nächste und mächtigste Nachbar von Cuba.
Vor siebzig Jahren schon schrieb der alte Jefferson, diese Insel sei gerade das,
was sie noch brauchten, um sich abzurunden. Sie find nun gerade rund genug.
In Wirklichkeit brauchen sie sie zur Herrschaft über das Antillenmeer und Mittel-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Name Jlgcnstein, d. h. Lilienstein). Die älteste Dissimilation, die sich für die
germanische Sprache sicher erschließen läßt, steckt in dem Worte Vogel. Wir
würden noch heute Vlogel sagen, so gut wie wir noch Geflügel sagen, wenn
nicht schon vor zweitausend Jahren das erste 1 in xlulclos den alten Germanen
zu schwer geworden wäre.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Zeichen des cubanischen Aufstandes.

Zwar ist die Zeit dahin,
wo die deutschen Kaufleute in Havana die angesehenste und einflußreichste Gruppe
im dortigen Handelsstande bildeten. Das von der Masse gedankenlos bejubelte
Oktobermanifest des Jahres 1868, das die Sklaverei auf Cuba aufhob, hat die
durch Mißregierung schon vorher oft bedrohte Blüte der Insel gebrochen, und
natürlich ist denn auch der Wohlstand unsrer Landsleute zurückgegangen. Die Auf¬
stünde, die bald darauf begannen, und deren Caramelgeruch von verbrannten Zucker¬
rohrernten der Reisende bei Cardeuas uoch 1875 zu riechen bekam, die Zucker¬
krisis und der Verfall der Oberherrschaft des Havaneser Tabaks über den Geschmack
der Raucher Europas, endlich die fortwährenden Wirren mit dem Mutterlande
haben auf viele Geschäfte verwüstend gewirkt. Hier wie in andern Kolonien sind
große kaufmännische Dynastien gestürzt worden, und wo früher ein Name wie
Apennin durch die ganze Insel einen fürstlichen Klang hatte, hört man jetzt ein
Dutzend kleine Namen nennen, deren spanische, deutsche, südfranzösische oder jüdische
Träger sich uns unbekannte Weise ans der Menge emporgehoben haben, in die sie
großenteils auch bald wieder versinken. Immerhin sind die deutschen Interessen
in einer ganzen Anzahl von eubauischen Plätzen, natürlich besonders in Havana
und Matanzas, von bedeutendem Gewicht, die deutsche Schiffahrt ist in den wich¬
tigsten Hafenplätzen des Westens stärker als früher vertreten, und deutsche Industrie
hat ans dem Gebiete der Maschinen für die Zuckererzengung und der Einrichtung
ganzer Ingeniös manchen Triumph zu verzeichnen. Es ist also Grund genng ge¬
geben, daß wir die notwendig und nnter allen Umständen eintretenden Ver¬
änderungen auf dieser Insel aufmerksam beobachten.

Cubas Oberfläche kommt der von ganz Süddeutschland fast gleich, ihre Lage
macht sie bei solcher Größe zur Herrin des Antillenmeeres, durch das in kurzer
Frist die kürzesten Wege zwischen der atlantischen und der pacifischen Welt führen
werden. Diese Wege werden dem amerikanischen Mittelmeer eine noch größere
Stellung anweisen, als das europäische seit Jahrtausenden einnimmt. Die Ver¬
einigten Staaten von Amerika sind der nächste und mächtigste Nachbar von Cuba.
Vor siebzig Jahren schon schrieb der alte Jefferson, diese Insel sei gerade das,
was sie noch brauchten, um sich abzurunden. Sie find nun gerade rund genug.
In Wirklichkeit brauchen sie sie zur Herrschaft über das Antillenmeer und Mittel-


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[0487] Maßgebliches und Unmaßgebliches Name Jlgcnstein, d. h. Lilienstein). Die älteste Dissimilation, die sich für die germanische Sprache sicher erschließen läßt, steckt in dem Worte Vogel. Wir würden noch heute Vlogel sagen, so gut wie wir noch Geflügel sagen, wenn nicht schon vor zweitausend Jahren das erste 1 in xlulclos den alten Germanen zu schwer geworden wäre. Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Zeichen des cubanischen Aufstandes. Zwar ist die Zeit dahin, wo die deutschen Kaufleute in Havana die angesehenste und einflußreichste Gruppe im dortigen Handelsstande bildeten. Das von der Masse gedankenlos bejubelte Oktobermanifest des Jahres 1868, das die Sklaverei auf Cuba aufhob, hat die durch Mißregierung schon vorher oft bedrohte Blüte der Insel gebrochen, und natürlich ist denn auch der Wohlstand unsrer Landsleute zurückgegangen. Die Auf¬ stünde, die bald darauf begannen, und deren Caramelgeruch von verbrannten Zucker¬ rohrernten der Reisende bei Cardeuas uoch 1875 zu riechen bekam, die Zucker¬ krisis und der Verfall der Oberherrschaft des Havaneser Tabaks über den Geschmack der Raucher Europas, endlich die fortwährenden Wirren mit dem Mutterlande haben auf viele Geschäfte verwüstend gewirkt. Hier wie in andern Kolonien sind große kaufmännische Dynastien gestürzt worden, und wo früher ein Name wie Apennin durch die ganze Insel einen fürstlichen Klang hatte, hört man jetzt ein Dutzend kleine Namen nennen, deren spanische, deutsche, südfranzösische oder jüdische Träger sich uns unbekannte Weise ans der Menge emporgehoben haben, in die sie großenteils auch bald wieder versinken. Immerhin sind die deutschen Interessen in einer ganzen Anzahl von eubauischen Plätzen, natürlich besonders in Havana und Matanzas, von bedeutendem Gewicht, die deutsche Schiffahrt ist in den wich¬ tigsten Hafenplätzen des Westens stärker als früher vertreten, und deutsche Industrie hat ans dem Gebiete der Maschinen für die Zuckererzengung und der Einrichtung ganzer Ingeniös manchen Triumph zu verzeichnen. Es ist also Grund genng ge¬ geben, daß wir die notwendig und nnter allen Umständen eintretenden Ver¬ änderungen auf dieser Insel aufmerksam beobachten. Cubas Oberfläche kommt der von ganz Süddeutschland fast gleich, ihre Lage macht sie bei solcher Größe zur Herrin des Antillenmeeres, durch das in kurzer Frist die kürzesten Wege zwischen der atlantischen und der pacifischen Welt führen werden. Diese Wege werden dem amerikanischen Mittelmeer eine noch größere Stellung anweisen, als das europäische seit Jahrtausenden einnimmt. Die Ver¬ einigten Staaten von Amerika sind der nächste und mächtigste Nachbar von Cuba. Vor siebzig Jahren schon schrieb der alte Jefferson, diese Insel sei gerade das, was sie noch brauchten, um sich abzurunden. Sie find nun gerade rund genug. In Wirklichkeit brauchen sie sie zur Herrschaft über das Antillenmeer und Mittel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/487>, abgerufen am 28.04.2024.