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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

wahrheitdarbietende, die ewige Weltordnung heiligende, ihr gemäß wirkende Mensch
der wahre Mensch sei, wie groß oder klein er auch in den Angen der Kleingeister
erscheinen möge -- warum regt er sich dann so leidenschaftlich über das Fehlen
augenblicklicher Erfolge dieser Menschen, dieser Schriftsteller auf? Kennt der Ver¬
fasser wahrhafte, hochstrebende, von der Mittelmäßigkeit und dem Getöse der Tages¬
meinung überschrieene Geister, vorzügliche, aber totgeschwiegne Werke, wie man
nach vielen Äußerungen seiner Essays glauben muß, so würde er gut thun, sie
klar und bündig zu nennen und die Blicke der ehrlich nach Erquickung verlangenden
auf sie hinzulenken. Mit allgemeinen Verkündigungen kommen wir nicht weiter,
das Vortreffliche und Vorzügliche, von Schöpfungen des Genius gar nicht zu reden,
muß vor dem Modischen und durch bewußt lügnerische Reklame Emporgeschraubten
hervorgehoben werden. Der Verfasser dieser Essays meint ja selbst: "Man erquicke
diese Edeln mit verständnisvollen Zurufen, man unterstütze sie mit Schrift und
Wort, man verstärke ihren Ruhm." Wenn dergleichen nur in abstracto ausge¬
sprochen wird, kann es leicht eine Gruppe oder Clique auf sich beziehen, die weder
der Verfasser noch sonst jemand zu den "Edeln" rechnen wird.


Litterarische Charakterbilder. Ein Buch für die deutsche Familie von Adolf Wil¬
helm Ernst. Mit zehn Bildnissen. Hamburg, Konrad Kloß, 1895

Dieser Band enthält zehn kurze Lebens- und Charakterbilder deutscher Dichter:
Th. Körner, A. v. Chcunisso, Heinrich v. Kleist, Lessing, Goethe, Schiller, Ludwig
Uhland, Nikolaus Lenau, Fritz Reuter, Karl Gerok, eine Auswahl, gegen die sich
insofern nichts erinnern läßt, als alle die genannten zu einer tiefern Wirkung auf
große Kreise des deutschen Volks gelangt sind. Die Skizzen Ernsts betonen den
vaterländischen Charakter der Männer und ihrer Werke, wo es am Platze ist, ohne
sich einseitig auf diese Würdigung zu beschränken. Die Lebensbilder erscheinen in
sich gut abgerundet, und die Darstellung ist lebendig, der Verfasser stützt sich ans
umfassende Litteraturkenntnis und zieht mit berechtigter Vorliebe die Briefwechsel
der Dichter in den Bereich seiner Darstellung, um möglichst frisch und unmittelbar
zu wirken. Seine Beurteilung der im Verlauf der Lebeusschildernugen genannten
Poetischen Werke greift nicht eben tief; aber man kann es gern gelten lassen, daß
er in erster Linie sür die poetischen Schöpfungen zu erwärmen und zu begeistern
und erst in zweiter Linie seine Leser kritisch zu Schulen sucht. Wie weit sich die
Wirkung eines solchen Buches, das der Verfasser als "für die deutsche Familie"
geschrieben bezeichnet, erstrecken kann, vermögen wir nicht recht zu ermessen, es giebt
gewiß Tausende von Familien, in denen man längst mehr von diesen Dichtern
weiß, als Ernst erzählt. Aber wo das Buch willkommen geheißen und frisch ge¬
nossen wird, kann es nur bildend, nicht verbittend wirken, und schon das ist
Lob genug.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

wahrheitdarbietende, die ewige Weltordnung heiligende, ihr gemäß wirkende Mensch
der wahre Mensch sei, wie groß oder klein er auch in den Angen der Kleingeister
erscheinen möge — warum regt er sich dann so leidenschaftlich über das Fehlen
augenblicklicher Erfolge dieser Menschen, dieser Schriftsteller auf? Kennt der Ver¬
fasser wahrhafte, hochstrebende, von der Mittelmäßigkeit und dem Getöse der Tages¬
meinung überschrieene Geister, vorzügliche, aber totgeschwiegne Werke, wie man
nach vielen Äußerungen seiner Essays glauben muß, so würde er gut thun, sie
klar und bündig zu nennen und die Blicke der ehrlich nach Erquickung verlangenden
auf sie hinzulenken. Mit allgemeinen Verkündigungen kommen wir nicht weiter,
das Vortreffliche und Vorzügliche, von Schöpfungen des Genius gar nicht zu reden,
muß vor dem Modischen und durch bewußt lügnerische Reklame Emporgeschraubten
hervorgehoben werden. Der Verfasser dieser Essays meint ja selbst: „Man erquicke
diese Edeln mit verständnisvollen Zurufen, man unterstütze sie mit Schrift und
Wort, man verstärke ihren Ruhm." Wenn dergleichen nur in abstracto ausge¬
sprochen wird, kann es leicht eine Gruppe oder Clique auf sich beziehen, die weder
der Verfasser noch sonst jemand zu den „Edeln" rechnen wird.


Litterarische Charakterbilder. Ein Buch für die deutsche Familie von Adolf Wil¬
helm Ernst. Mit zehn Bildnissen. Hamburg, Konrad Kloß, 1895

Dieser Band enthält zehn kurze Lebens- und Charakterbilder deutscher Dichter:
Th. Körner, A. v. Chcunisso, Heinrich v. Kleist, Lessing, Goethe, Schiller, Ludwig
Uhland, Nikolaus Lenau, Fritz Reuter, Karl Gerok, eine Auswahl, gegen die sich
insofern nichts erinnern läßt, als alle die genannten zu einer tiefern Wirkung auf
große Kreise des deutschen Volks gelangt sind. Die Skizzen Ernsts betonen den
vaterländischen Charakter der Männer und ihrer Werke, wo es am Platze ist, ohne
sich einseitig auf diese Würdigung zu beschränken. Die Lebensbilder erscheinen in
sich gut abgerundet, und die Darstellung ist lebendig, der Verfasser stützt sich ans
umfassende Litteraturkenntnis und zieht mit berechtigter Vorliebe die Briefwechsel
der Dichter in den Bereich seiner Darstellung, um möglichst frisch und unmittelbar
zu wirken. Seine Beurteilung der im Verlauf der Lebeusschildernugen genannten
Poetischen Werke greift nicht eben tief; aber man kann es gern gelten lassen, daß
er in erster Linie sür die poetischen Schöpfungen zu erwärmen und zu begeistern
und erst in zweiter Linie seine Leser kritisch zu Schulen sucht. Wie weit sich die
Wirkung eines solchen Buches, das der Verfasser als „für die deutsche Familie"
geschrieben bezeichnet, erstrecken kann, vermögen wir nicht recht zu ermessen, es giebt
gewiß Tausende von Familien, in denen man längst mehr von diesen Dichtern
weiß, als Ernst erzählt. Aber wo das Buch willkommen geheißen und frisch ge¬
nossen wird, kann es nur bildend, nicht verbittend wirken, und schon das ist
Lob genug.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0496] Litteratur wahrheitdarbietende, die ewige Weltordnung heiligende, ihr gemäß wirkende Mensch der wahre Mensch sei, wie groß oder klein er auch in den Angen der Kleingeister erscheinen möge — warum regt er sich dann so leidenschaftlich über das Fehlen augenblicklicher Erfolge dieser Menschen, dieser Schriftsteller auf? Kennt der Ver¬ fasser wahrhafte, hochstrebende, von der Mittelmäßigkeit und dem Getöse der Tages¬ meinung überschrieene Geister, vorzügliche, aber totgeschwiegne Werke, wie man nach vielen Äußerungen seiner Essays glauben muß, so würde er gut thun, sie klar und bündig zu nennen und die Blicke der ehrlich nach Erquickung verlangenden auf sie hinzulenken. Mit allgemeinen Verkündigungen kommen wir nicht weiter, das Vortreffliche und Vorzügliche, von Schöpfungen des Genius gar nicht zu reden, muß vor dem Modischen und durch bewußt lügnerische Reklame Emporgeschraubten hervorgehoben werden. Der Verfasser dieser Essays meint ja selbst: „Man erquicke diese Edeln mit verständnisvollen Zurufen, man unterstütze sie mit Schrift und Wort, man verstärke ihren Ruhm." Wenn dergleichen nur in abstracto ausge¬ sprochen wird, kann es leicht eine Gruppe oder Clique auf sich beziehen, die weder der Verfasser noch sonst jemand zu den „Edeln" rechnen wird. Litterarische Charakterbilder. Ein Buch für die deutsche Familie von Adolf Wil¬ helm Ernst. Mit zehn Bildnissen. Hamburg, Konrad Kloß, 1895 Dieser Band enthält zehn kurze Lebens- und Charakterbilder deutscher Dichter: Th. Körner, A. v. Chcunisso, Heinrich v. Kleist, Lessing, Goethe, Schiller, Ludwig Uhland, Nikolaus Lenau, Fritz Reuter, Karl Gerok, eine Auswahl, gegen die sich insofern nichts erinnern läßt, als alle die genannten zu einer tiefern Wirkung auf große Kreise des deutschen Volks gelangt sind. Die Skizzen Ernsts betonen den vaterländischen Charakter der Männer und ihrer Werke, wo es am Platze ist, ohne sich einseitig auf diese Würdigung zu beschränken. Die Lebensbilder erscheinen in sich gut abgerundet, und die Darstellung ist lebendig, der Verfasser stützt sich ans umfassende Litteraturkenntnis und zieht mit berechtigter Vorliebe die Briefwechsel der Dichter in den Bereich seiner Darstellung, um möglichst frisch und unmittelbar zu wirken. Seine Beurteilung der im Verlauf der Lebeusschildernugen genannten Poetischen Werke greift nicht eben tief; aber man kann es gern gelten lassen, daß er in erster Linie sür die poetischen Schöpfungen zu erwärmen und zu begeistern und erst in zweiter Linie seine Leser kritisch zu Schulen sucht. Wie weit sich die Wirkung eines solchen Buches, das der Verfasser als „für die deutsche Familie" geschrieben bezeichnet, erstrecken kann, vermögen wir nicht recht zu ermessen, es giebt gewiß Tausende von Familien, in denen man längst mehr von diesen Dichtern weiß, als Ernst erzählt. Aber wo das Buch willkommen geheißen und frisch ge¬ nossen wird, kann es nur bildend, nicht verbittend wirken, und schon das ist Lob genug. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/496>, abgerufen am 28.04.2024.