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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

Wettkampf in den ostasiatischen Häfen anzubieten, sie erscheinen westlich von
Singapurs, besonders in indischen Plätzen. Die große Thatsache ist dabei
die Naschheit, mit der das Zusammenarbeiten der Geldkrüfte -- noch immer
sind die indischen Kaufmannsgilden so wichtig, daß auch europäische Häuser
uicht umhin können, ihnen beizutreten -- durchgeführt und die Maschine
in ihrer letzten Vervollkommnung eingeführt wird. Die indische Regierung
könnte sich nur freuen, wenn dadurch der Wohlstand gehoben würde, aber
das kann ja wieder nur in Wettbewerbung mit dem Mutterlande ge¬
schehen. Daher auch hier wieder die gewundnen Wege, um zwischen den An¬
sprüchen Indiens und Englands durchzusteuern. In Indien klagt man die
Negierung der Vernachlässigung des Eisenbahnnetzes des industriell rasch fort¬
schreitenden kohlenreichcn Bengalens an, in England fürchtet man die wachsende
Vaumwollenindustrie Bengalens, wohin ohnehin schon ein Drittel der eng¬
lischen Juteiudustrie ausgewandert sei. Die englischen Spinner wollen im
Interesse der Humanität den indischen die Fabrikgesetze der Heimat aufzwingen,
und die englischen Kohlenwerke brachten es fertig, daß die unter ganz andern
Umständen arbeitenden indischen Weiber und Kinder nach englischen Gesetzen
behandelt werden sollten. Der indische Arbeitsinspektor findet aber (1894),
daß die erzfördernden Weiber "gesund und fröhlich" aussehen. Wo die Inter¬
essen des Mutterlandes nicht in Frage stehen, läßt das Mutterland ja auch
sonst ganz gern zu, daß von den strengen Forderungen der Menschlichkeit
etwas nachgelassen wird. Die Wohlthaten der ?g.ssöiiAsr8 ^.vt, die einen be¬
stimmten geringsten Raum für jeden Menschen an Bord eines Schiffes vor¬
schreibt, werden nicht auf Indien und Hongkong ausgedehnt, und außerdem
können die Kvlonialbehörden geringere Räume zulassen, wenn es sich um Afri¬
kaner oder Asiaten handelt, die von ihren Kolonien aus fahren.


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England hat bei der Verwaltung Indiens nach verunglückten Versuchen
der Aufpfropfung fremder Einrichtungen und der Gleichmachung der tiefen
Unterschiede der Jndier sich schon früh mit dem einzig richtigen Gedanken ver¬
traut gemacht, daß Indien eine Welt für sich sei, in der wie weitgetrcnnte
Planeten die Länder, Völker, Kasten kreisen, ohne je einander zu berühren. Es
hat in jeder Landschaft die örtlichen Einrichtungen angenommen und weiter
entwickelt. Daher die weitgehende Autonomie der an die Stelle der drei alten
Präsidentschaften Calcutta, Bombay und Madras getretenen sieben oder acht
Hauptregieruugen Jndiens, die nach Raum und Bevölkerung den Mächten
Europas zu vergleichen sind und zum Teil weit außenliegende Besitzungen
mitverwalten, wie die Laccadiven zu Madras, Aden und Perim zu Bombay
gehören. Dazu kommen dann mehrere hundert Eingebornenstaaten (Aktivs
Aktes), die zusammen das ausmachen, was man als Föuäg,t>ar/ Inclig, be-


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

Wettkampf in den ostasiatischen Häfen anzubieten, sie erscheinen westlich von
Singapurs, besonders in indischen Plätzen. Die große Thatsache ist dabei
die Naschheit, mit der das Zusammenarbeiten der Geldkrüfte — noch immer
sind die indischen Kaufmannsgilden so wichtig, daß auch europäische Häuser
uicht umhin können, ihnen beizutreten — durchgeführt und die Maschine
in ihrer letzten Vervollkommnung eingeführt wird. Die indische Regierung
könnte sich nur freuen, wenn dadurch der Wohlstand gehoben würde, aber
das kann ja wieder nur in Wettbewerbung mit dem Mutterlande ge¬
schehen. Daher auch hier wieder die gewundnen Wege, um zwischen den An¬
sprüchen Indiens und Englands durchzusteuern. In Indien klagt man die
Negierung der Vernachlässigung des Eisenbahnnetzes des industriell rasch fort¬
schreitenden kohlenreichcn Bengalens an, in England fürchtet man die wachsende
Vaumwollenindustrie Bengalens, wohin ohnehin schon ein Drittel der eng¬
lischen Juteiudustrie ausgewandert sei. Die englischen Spinner wollen im
Interesse der Humanität den indischen die Fabrikgesetze der Heimat aufzwingen,
und die englischen Kohlenwerke brachten es fertig, daß die unter ganz andern
Umständen arbeitenden indischen Weiber und Kinder nach englischen Gesetzen
behandelt werden sollten. Der indische Arbeitsinspektor findet aber (1894),
daß die erzfördernden Weiber „gesund und fröhlich" aussehen. Wo die Inter¬
essen des Mutterlandes nicht in Frage stehen, läßt das Mutterland ja auch
sonst ganz gern zu, daß von den strengen Forderungen der Menschlichkeit
etwas nachgelassen wird. Die Wohlthaten der ?g.ssöiiAsr8 ^.vt, die einen be¬
stimmten geringsten Raum für jeden Menschen an Bord eines Schiffes vor¬
schreibt, werden nicht auf Indien und Hongkong ausgedehnt, und außerdem
können die Kvlonialbehörden geringere Räume zulassen, wenn es sich um Afri¬
kaner oder Asiaten handelt, die von ihren Kolonien aus fahren.


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England hat bei der Verwaltung Indiens nach verunglückten Versuchen
der Aufpfropfung fremder Einrichtungen und der Gleichmachung der tiefen
Unterschiede der Jndier sich schon früh mit dem einzig richtigen Gedanken ver¬
traut gemacht, daß Indien eine Welt für sich sei, in der wie weitgetrcnnte
Planeten die Länder, Völker, Kasten kreisen, ohne je einander zu berühren. Es
hat in jeder Landschaft die örtlichen Einrichtungen angenommen und weiter
entwickelt. Daher die weitgehende Autonomie der an die Stelle der drei alten
Präsidentschaften Calcutta, Bombay und Madras getretenen sieben oder acht
Hauptregieruugen Jndiens, die nach Raum und Bevölkerung den Mächten
Europas zu vergleichen sind und zum Teil weit außenliegende Besitzungen
mitverwalten, wie die Laccadiven zu Madras, Aden und Perim zu Bombay
gehören. Dazu kommen dann mehrere hundert Eingebornenstaaten (Aktivs
Aktes), die zusammen das ausmachen, was man als Föuäg,t>ar/ Inclig, be-


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[0502] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik Wettkampf in den ostasiatischen Häfen anzubieten, sie erscheinen westlich von Singapurs, besonders in indischen Plätzen. Die große Thatsache ist dabei die Naschheit, mit der das Zusammenarbeiten der Geldkrüfte — noch immer sind die indischen Kaufmannsgilden so wichtig, daß auch europäische Häuser uicht umhin können, ihnen beizutreten — durchgeführt und die Maschine in ihrer letzten Vervollkommnung eingeführt wird. Die indische Regierung könnte sich nur freuen, wenn dadurch der Wohlstand gehoben würde, aber das kann ja wieder nur in Wettbewerbung mit dem Mutterlande ge¬ schehen. Daher auch hier wieder die gewundnen Wege, um zwischen den An¬ sprüchen Indiens und Englands durchzusteuern. In Indien klagt man die Negierung der Vernachlässigung des Eisenbahnnetzes des industriell rasch fort¬ schreitenden kohlenreichcn Bengalens an, in England fürchtet man die wachsende Vaumwollenindustrie Bengalens, wohin ohnehin schon ein Drittel der eng¬ lischen Juteiudustrie ausgewandert sei. Die englischen Spinner wollen im Interesse der Humanität den indischen die Fabrikgesetze der Heimat aufzwingen, und die englischen Kohlenwerke brachten es fertig, daß die unter ganz andern Umständen arbeitenden indischen Weiber und Kinder nach englischen Gesetzen behandelt werden sollten. Der indische Arbeitsinspektor findet aber (1894), daß die erzfördernden Weiber „gesund und fröhlich" aussehen. Wo die Inter¬ essen des Mutterlandes nicht in Frage stehen, läßt das Mutterland ja auch sonst ganz gern zu, daß von den strengen Forderungen der Menschlichkeit etwas nachgelassen wird. Die Wohlthaten der ?g.ssöiiAsr8 ^.vt, die einen be¬ stimmten geringsten Raum für jeden Menschen an Bord eines Schiffes vor¬ schreibt, werden nicht auf Indien und Hongkong ausgedehnt, und außerdem können die Kvlonialbehörden geringere Räume zulassen, wenn es sich um Afri¬ kaner oder Asiaten handelt, die von ihren Kolonien aus fahren. 2 England hat bei der Verwaltung Indiens nach verunglückten Versuchen der Aufpfropfung fremder Einrichtungen und der Gleichmachung der tiefen Unterschiede der Jndier sich schon früh mit dem einzig richtigen Gedanken ver¬ traut gemacht, daß Indien eine Welt für sich sei, in der wie weitgetrcnnte Planeten die Länder, Völker, Kasten kreisen, ohne je einander zu berühren. Es hat in jeder Landschaft die örtlichen Einrichtungen angenommen und weiter entwickelt. Daher die weitgehende Autonomie der an die Stelle der drei alten Präsidentschaften Calcutta, Bombay und Madras getretenen sieben oder acht Hauptregieruugen Jndiens, die nach Raum und Bevölkerung den Mächten Europas zu vergleichen sind und zum Teil weit außenliegende Besitzungen mitverwalten, wie die Laccadiven zu Madras, Aden und Perim zu Bombay gehören. Dazu kommen dann mehrere hundert Eingebornenstaaten (Aktivs Aktes), die zusammen das ausmachen, was man als Föuäg,t>ar/ Inclig, be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/502>, abgerufen am 27.04.2024.