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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zur Aenntnis der englischen Weltpolitik

größern Anteil an einflußreichen und lohnenden Beamtenstellen erhalten.
Außerdem ist hier auch der Hindu auf dem wirtschaftlichen Gebiet an der
Spitze, ebenso wie er einst die politischen Bewegungen ins Leben rief und
leitete, die zu den indischen Nntioncilkongresfen führten.


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Die wirtschaftlichen Fragen, die in allen Kolonien den eigentlichen Kern
der politischen Probleme bilden, müssen in Indien doppelt wichtig sein, das
kein so einfacher wirtschaftlicher Organismus ist wie das Rohstoffe liefernde
und Jnduftrieerzeugnisfe aufnehmende Australien oder Kapland. Indien hat
seine alteiuheimische Industrie, seinen gewaltigen, ganz von den Eingebornen
geleiteten Handels- und Geldverkehr und die entsprechende zahlreiche, wirt¬
schaftlich reichgegliederte Bevölkerung. Das macht diese Kolonie dem Mutter-
lande ähnlicher als irgend eine andre, und daher die wirtschaftliche Eifersucht,
von der wir gesprochen haben. Sie ist ein schlimmer Zug, auf den die lei¬
tenden Leute in England immer wohl achten müssen. Es ist gar nicht zu
vermeiden, daß die beiden Länder eine gleichlaufende industrielle Entwicklung
durchmachen, die in Indien nur um ein paar Geschlechter später einsetzt als
in England. England kann zunächst noch mit Ruhe dem Einfluß der Selb-
ständigmachung Japans auf dem politischen Gebiete zusehen, wenn er auch ohne
Zweifel in Indien antieuropäisch wirken wird. Aber dem Beispiel des wirt¬
schaftlichen Aufschwungs im fernen Osten wird Indien nicht widerstehen können.
Es wird mehr Freiheit lind weniger Opfer wollen. Es wird aus der Armut
herausstreben. Da würden die Steuern und die riesigen Ausgaben ein auf¬
regendes Thema abgeben. Die indischen Steuern belasten das indische Volk
im Verhältnis doppelt so stark, als das englische belastet ist, und tragen etwa
ein Zwanzigstel auf den Kopf von dem ein, was das arme Irland bringt.
Und dabei ist die Salzsteuer so unvernünftig und drückend, daß von ihrer
Anwendung in England gar nicht die Rede sein könnte. Bedenkt man nun,
daß an Gehalten und Pensionen von mehr als tausend Rupien Indien jährlich
etwa vierhundert Millionen aufbringen muß, wozu die indischen Mitglieder
im Indian Council höchstens ein paar Reden halten, woran sie aber sachlich
nichts ändern dürfen, so begreift man, daß sich die Unzufriedenheit mit den
Finanzen rasch verbreitet und heute die schwerste Sorge det anglo-indischen
Staatsmänner bildet.

Was man Hoins-od^Sö nennt, die von Indien nach England jährlich
abfließenden Summen für Kapitalzinsen, geleistete Arbeit oder für Einrich¬
tungen, die auf Rechnung Indiens erhalten werden, ist sehr oft Gegenstand
Parlamentarischer Erörterung gewesen. Lord Northbrook, früher selbst Vize-
könig und Staatssekretär für Indien, brachte sie 1893 zur Sprache, als sie
durch die Verschlechterung der indischen Währung ins Unerträgliche gewachsen


Zur Aenntnis der englischen Weltpolitik

größern Anteil an einflußreichen und lohnenden Beamtenstellen erhalten.
Außerdem ist hier auch der Hindu auf dem wirtschaftlichen Gebiet an der
Spitze, ebenso wie er einst die politischen Bewegungen ins Leben rief und
leitete, die zu den indischen Nntioncilkongresfen führten.


4

Die wirtschaftlichen Fragen, die in allen Kolonien den eigentlichen Kern
der politischen Probleme bilden, müssen in Indien doppelt wichtig sein, das
kein so einfacher wirtschaftlicher Organismus ist wie das Rohstoffe liefernde
und Jnduftrieerzeugnisfe aufnehmende Australien oder Kapland. Indien hat
seine alteiuheimische Industrie, seinen gewaltigen, ganz von den Eingebornen
geleiteten Handels- und Geldverkehr und die entsprechende zahlreiche, wirt¬
schaftlich reichgegliederte Bevölkerung. Das macht diese Kolonie dem Mutter-
lande ähnlicher als irgend eine andre, und daher die wirtschaftliche Eifersucht,
von der wir gesprochen haben. Sie ist ein schlimmer Zug, auf den die lei¬
tenden Leute in England immer wohl achten müssen. Es ist gar nicht zu
vermeiden, daß die beiden Länder eine gleichlaufende industrielle Entwicklung
durchmachen, die in Indien nur um ein paar Geschlechter später einsetzt als
in England. England kann zunächst noch mit Ruhe dem Einfluß der Selb-
ständigmachung Japans auf dem politischen Gebiete zusehen, wenn er auch ohne
Zweifel in Indien antieuropäisch wirken wird. Aber dem Beispiel des wirt¬
schaftlichen Aufschwungs im fernen Osten wird Indien nicht widerstehen können.
Es wird mehr Freiheit lind weniger Opfer wollen. Es wird aus der Armut
herausstreben. Da würden die Steuern und die riesigen Ausgaben ein auf¬
regendes Thema abgeben. Die indischen Steuern belasten das indische Volk
im Verhältnis doppelt so stark, als das englische belastet ist, und tragen etwa
ein Zwanzigstel auf den Kopf von dem ein, was das arme Irland bringt.
Und dabei ist die Salzsteuer so unvernünftig und drückend, daß von ihrer
Anwendung in England gar nicht die Rede sein könnte. Bedenkt man nun,
daß an Gehalten und Pensionen von mehr als tausend Rupien Indien jährlich
etwa vierhundert Millionen aufbringen muß, wozu die indischen Mitglieder
im Indian Council höchstens ein paar Reden halten, woran sie aber sachlich
nichts ändern dürfen, so begreift man, daß sich die Unzufriedenheit mit den
Finanzen rasch verbreitet und heute die schwerste Sorge det anglo-indischen
Staatsmänner bildet.

Was man Hoins-od^Sö nennt, die von Indien nach England jährlich
abfließenden Summen für Kapitalzinsen, geleistete Arbeit oder für Einrich¬
tungen, die auf Rechnung Indiens erhalten werden, ist sehr oft Gegenstand
Parlamentarischer Erörterung gewesen. Lord Northbrook, früher selbst Vize-
könig und Staatssekretär für Indien, brachte sie 1893 zur Sprache, als sie
durch die Verschlechterung der indischen Währung ins Unerträgliche gewachsen


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[0508] Zur Aenntnis der englischen Weltpolitik größern Anteil an einflußreichen und lohnenden Beamtenstellen erhalten. Außerdem ist hier auch der Hindu auf dem wirtschaftlichen Gebiet an der Spitze, ebenso wie er einst die politischen Bewegungen ins Leben rief und leitete, die zu den indischen Nntioncilkongresfen führten. 4 Die wirtschaftlichen Fragen, die in allen Kolonien den eigentlichen Kern der politischen Probleme bilden, müssen in Indien doppelt wichtig sein, das kein so einfacher wirtschaftlicher Organismus ist wie das Rohstoffe liefernde und Jnduftrieerzeugnisfe aufnehmende Australien oder Kapland. Indien hat seine alteiuheimische Industrie, seinen gewaltigen, ganz von den Eingebornen geleiteten Handels- und Geldverkehr und die entsprechende zahlreiche, wirt¬ schaftlich reichgegliederte Bevölkerung. Das macht diese Kolonie dem Mutter- lande ähnlicher als irgend eine andre, und daher die wirtschaftliche Eifersucht, von der wir gesprochen haben. Sie ist ein schlimmer Zug, auf den die lei¬ tenden Leute in England immer wohl achten müssen. Es ist gar nicht zu vermeiden, daß die beiden Länder eine gleichlaufende industrielle Entwicklung durchmachen, die in Indien nur um ein paar Geschlechter später einsetzt als in England. England kann zunächst noch mit Ruhe dem Einfluß der Selb- ständigmachung Japans auf dem politischen Gebiete zusehen, wenn er auch ohne Zweifel in Indien antieuropäisch wirken wird. Aber dem Beispiel des wirt¬ schaftlichen Aufschwungs im fernen Osten wird Indien nicht widerstehen können. Es wird mehr Freiheit lind weniger Opfer wollen. Es wird aus der Armut herausstreben. Da würden die Steuern und die riesigen Ausgaben ein auf¬ regendes Thema abgeben. Die indischen Steuern belasten das indische Volk im Verhältnis doppelt so stark, als das englische belastet ist, und tragen etwa ein Zwanzigstel auf den Kopf von dem ein, was das arme Irland bringt. Und dabei ist die Salzsteuer so unvernünftig und drückend, daß von ihrer Anwendung in England gar nicht die Rede sein könnte. Bedenkt man nun, daß an Gehalten und Pensionen von mehr als tausend Rupien Indien jährlich etwa vierhundert Millionen aufbringen muß, wozu die indischen Mitglieder im Indian Council höchstens ein paar Reden halten, woran sie aber sachlich nichts ändern dürfen, so begreift man, daß sich die Unzufriedenheit mit den Finanzen rasch verbreitet und heute die schwerste Sorge det anglo-indischen Staatsmänner bildet. Was man Hoins-od^Sö nennt, die von Indien nach England jährlich abfließenden Summen für Kapitalzinsen, geleistete Arbeit oder für Einrich¬ tungen, die auf Rechnung Indiens erhalten werden, ist sehr oft Gegenstand Parlamentarischer Erörterung gewesen. Lord Northbrook, früher selbst Vize- könig und Staatssekretär für Indien, brachte sie 1893 zur Sprache, als sie durch die Verschlechterung der indischen Währung ins Unerträgliche gewachsen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/508>, abgerufen am 28.04.2024.