Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

Aitchison, der Gouverneur von Britischborneo, 1880 amtlich berichtete: "Die
Opiumfrage ist nicht eine Frage besserer oder schlechterer Sittlichkeit, sondern
es handelt sich um die Rettung eines ganzen Volks aus den Klauen eines
Lasters, das wir ihnen gebracht haben, und vom Ruin," so ist wohl nicht
bloß aus barem Nörgelgeist dieser Punkt der indischen Verwaltung so oft im
Parlament angegriffen worden. Es hilft aber nichts. Eine 1893 vom Par¬
lament eingesetzte Opiumkommission hat den Opiumgenusz in Indien harmlos,
ja zum Teil heilsam gefunden. Zwar wurden in der Parlamentssitzung vom
24. Mai 1895 die merkwürdigsten Enthüllungen über sie gemacht. Da jeder¬
mann in Indien weiß, daß die Negierung für das Opium als Hauptquelle
ihrer Einnahmen und Mittel zur Niederhaltung des Volks ist, sind die zwei¬
hundertvierzig Seiten Aussagen von Beamten nicht unparteiisch. Von hundert¬
dreißig Ärzten, die gefragt wurden, stehen zweiundachtzig im Dienst der Re¬
gierung. Gegen das Opium waren alle Missionare und die Hülste der nicht¬
bezahlten Ärzte. Wenn es in solchen Dingen eine Logik gäbe, so müßten die
Maßregeln zur Beschränkung des Branntweinhandels in Afrika in.noch schärferen
Maße gegen das weit verderblichere Opium ergriffen werden. Aber die Stärke
der englischen Politik liegt ja darin, daß sie sich an die schreiendsten Wider¬
sprüche zwischen Worte und Thaten und zwischen dein Handeln in Asien und
dem Handeln in Afrika nicht kehrt. Es ist ja eine besondre englische Logik darin.
Das indische Opium hilft England, indem es die indischen Finanzen verbessert,
der afrikanische Branntwein schadet ihm, weil er dem deutscheu, französischen,
belgischen Handel nützt, daher folgerichtig: gegen Branntwein und für Opium.
Man konnte jüngst in der Firnes eine Tirade gegen den Branntweinhandel in
Westafrika auf derselben Seite mit dem Bericht des indischen Finanzsekretärs
lesen, daß, Mur die Opiumpreise noch weiter so stiegen, in das indische
Budget für 1895 40 Lakh Rupien mehr Einnahmen gesetzt werden könnten.


5

Ceylon, so nahe bei Indien, bewohnt von Völkern, die größtenteils nach¬
weisbar indischen Ursprungs sind, ist doch ein ganz andres Land. Ceylon ist
eine Kronkolonie. Es ist als englischer Besitz jünger als Indien, denn erst
dreißig Jahre, nachdem Clive die Grundlage Englisch-Jndiens gelegt hatte, kamen
die holländischen Hafenplätze a" England, und erst 1815 riß es die ganze
Insel an sich. Die besondre Verwaltung hat Ceylons Eigentümlichkeiten stärker
hervortreten lassen, die besonders im Vergleich mit dem so nahen Südindien
auffallend sind: in der eingebornen Bevölkerung fast keine Mohammedaner
und eine mehr soziale als religiöse Kastengliederung, unter den Europäern
nichts von den Beamten und Offizieren Indiens, dafür ein starker Stand eng¬
lischer Pflanzer und Nachkömmlinge der Portugiesen und Holländer. Eine
Vergleichung Ceylons mit Indien ist lehrreich. Man erkennt sofort, welchen


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

Aitchison, der Gouverneur von Britischborneo, 1880 amtlich berichtete: „Die
Opiumfrage ist nicht eine Frage besserer oder schlechterer Sittlichkeit, sondern
es handelt sich um die Rettung eines ganzen Volks aus den Klauen eines
Lasters, das wir ihnen gebracht haben, und vom Ruin," so ist wohl nicht
bloß aus barem Nörgelgeist dieser Punkt der indischen Verwaltung so oft im
Parlament angegriffen worden. Es hilft aber nichts. Eine 1893 vom Par¬
lament eingesetzte Opiumkommission hat den Opiumgenusz in Indien harmlos,
ja zum Teil heilsam gefunden. Zwar wurden in der Parlamentssitzung vom
24. Mai 1895 die merkwürdigsten Enthüllungen über sie gemacht. Da jeder¬
mann in Indien weiß, daß die Negierung für das Opium als Hauptquelle
ihrer Einnahmen und Mittel zur Niederhaltung des Volks ist, sind die zwei¬
hundertvierzig Seiten Aussagen von Beamten nicht unparteiisch. Von hundert¬
dreißig Ärzten, die gefragt wurden, stehen zweiundachtzig im Dienst der Re¬
gierung. Gegen das Opium waren alle Missionare und die Hülste der nicht¬
bezahlten Ärzte. Wenn es in solchen Dingen eine Logik gäbe, so müßten die
Maßregeln zur Beschränkung des Branntweinhandels in Afrika in.noch schärferen
Maße gegen das weit verderblichere Opium ergriffen werden. Aber die Stärke
der englischen Politik liegt ja darin, daß sie sich an die schreiendsten Wider¬
sprüche zwischen Worte und Thaten und zwischen dein Handeln in Asien und
dem Handeln in Afrika nicht kehrt. Es ist ja eine besondre englische Logik darin.
Das indische Opium hilft England, indem es die indischen Finanzen verbessert,
der afrikanische Branntwein schadet ihm, weil er dem deutscheu, französischen,
belgischen Handel nützt, daher folgerichtig: gegen Branntwein und für Opium.
Man konnte jüngst in der Firnes eine Tirade gegen den Branntweinhandel in
Westafrika auf derselben Seite mit dem Bericht des indischen Finanzsekretärs
lesen, daß, Mur die Opiumpreise noch weiter so stiegen, in das indische
Budget für 1895 40 Lakh Rupien mehr Einnahmen gesetzt werden könnten.


5

Ceylon, so nahe bei Indien, bewohnt von Völkern, die größtenteils nach¬
weisbar indischen Ursprungs sind, ist doch ein ganz andres Land. Ceylon ist
eine Kronkolonie. Es ist als englischer Besitz jünger als Indien, denn erst
dreißig Jahre, nachdem Clive die Grundlage Englisch-Jndiens gelegt hatte, kamen
die holländischen Hafenplätze a» England, und erst 1815 riß es die ganze
Insel an sich. Die besondre Verwaltung hat Ceylons Eigentümlichkeiten stärker
hervortreten lassen, die besonders im Vergleich mit dem so nahen Südindien
auffallend sind: in der eingebornen Bevölkerung fast keine Mohammedaner
und eine mehr soziale als religiöse Kastengliederung, unter den Europäern
nichts von den Beamten und Offizieren Indiens, dafür ein starker Stand eng¬
lischer Pflanzer und Nachkömmlinge der Portugiesen und Holländer. Eine
Vergleichung Ceylons mit Indien ist lehrreich. Man erkennt sofort, welchen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0511" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220837"/>
            <fw type="header" place="top"> Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1996" prev="#ID_1995"> Aitchison, der Gouverneur von Britischborneo, 1880 amtlich berichtete: &#x201E;Die<lb/>
Opiumfrage ist nicht eine Frage besserer oder schlechterer Sittlichkeit, sondern<lb/>
es handelt sich um die Rettung eines ganzen Volks aus den Klauen eines<lb/>
Lasters, das wir ihnen gebracht haben, und vom Ruin," so ist wohl nicht<lb/>
bloß aus barem Nörgelgeist dieser Punkt der indischen Verwaltung so oft im<lb/>
Parlament angegriffen worden. Es hilft aber nichts. Eine 1893 vom Par¬<lb/>
lament eingesetzte Opiumkommission hat den Opiumgenusz in Indien harmlos,<lb/>
ja zum Teil heilsam gefunden. Zwar wurden in der Parlamentssitzung vom<lb/>
24. Mai 1895 die merkwürdigsten Enthüllungen über sie gemacht. Da jeder¬<lb/>
mann in Indien weiß, daß die Negierung für das Opium als Hauptquelle<lb/>
ihrer Einnahmen und Mittel zur Niederhaltung des Volks ist, sind die zwei¬<lb/>
hundertvierzig Seiten Aussagen von Beamten nicht unparteiisch. Von hundert¬<lb/>
dreißig Ärzten, die gefragt wurden, stehen zweiundachtzig im Dienst der Re¬<lb/>
gierung. Gegen das Opium waren alle Missionare und die Hülste der nicht¬<lb/>
bezahlten Ärzte. Wenn es in solchen Dingen eine Logik gäbe, so müßten die<lb/>
Maßregeln zur Beschränkung des Branntweinhandels in Afrika in.noch schärferen<lb/>
Maße gegen das weit verderblichere Opium ergriffen werden. Aber die Stärke<lb/>
der englischen Politik liegt ja darin, daß sie sich an die schreiendsten Wider¬<lb/>
sprüche zwischen Worte und Thaten und zwischen dein Handeln in Asien und<lb/>
dem Handeln in Afrika nicht kehrt. Es ist ja eine besondre englische Logik darin.<lb/>
Das indische Opium hilft England, indem es die indischen Finanzen verbessert,<lb/>
der afrikanische Branntwein schadet ihm, weil er dem deutscheu, französischen,<lb/>
belgischen Handel nützt, daher folgerichtig: gegen Branntwein und für Opium.<lb/>
Man konnte jüngst in der Firnes eine Tirade gegen den Branntweinhandel in<lb/>
Westafrika auf derselben Seite mit dem Bericht des indischen Finanzsekretärs<lb/>
lesen, daß, Mur die Opiumpreise noch weiter so stiegen, in das indische<lb/>
Budget für 1895 40 Lakh Rupien mehr Einnahmen gesetzt werden könnten.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 5</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1997" next="#ID_1998"> Ceylon, so nahe bei Indien, bewohnt von Völkern, die größtenteils nach¬<lb/>
weisbar indischen Ursprungs sind, ist doch ein ganz andres Land. Ceylon ist<lb/>
eine Kronkolonie. Es ist als englischer Besitz jünger als Indien, denn erst<lb/>
dreißig Jahre, nachdem Clive die Grundlage Englisch-Jndiens gelegt hatte, kamen<lb/>
die holländischen Hafenplätze a» England, und erst 1815 riß es die ganze<lb/>
Insel an sich. Die besondre Verwaltung hat Ceylons Eigentümlichkeiten stärker<lb/>
hervortreten lassen, die besonders im Vergleich mit dem so nahen Südindien<lb/>
auffallend sind: in der eingebornen Bevölkerung fast keine Mohammedaner<lb/>
und eine mehr soziale als religiöse Kastengliederung, unter den Europäern<lb/>
nichts von den Beamten und Offizieren Indiens, dafür ein starker Stand eng¬<lb/>
lischer Pflanzer und Nachkömmlinge der Portugiesen und Holländer. Eine<lb/>
Vergleichung Ceylons mit Indien ist lehrreich.  Man erkennt sofort, welchen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0511] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik Aitchison, der Gouverneur von Britischborneo, 1880 amtlich berichtete: „Die Opiumfrage ist nicht eine Frage besserer oder schlechterer Sittlichkeit, sondern es handelt sich um die Rettung eines ganzen Volks aus den Klauen eines Lasters, das wir ihnen gebracht haben, und vom Ruin," so ist wohl nicht bloß aus barem Nörgelgeist dieser Punkt der indischen Verwaltung so oft im Parlament angegriffen worden. Es hilft aber nichts. Eine 1893 vom Par¬ lament eingesetzte Opiumkommission hat den Opiumgenusz in Indien harmlos, ja zum Teil heilsam gefunden. Zwar wurden in der Parlamentssitzung vom 24. Mai 1895 die merkwürdigsten Enthüllungen über sie gemacht. Da jeder¬ mann in Indien weiß, daß die Negierung für das Opium als Hauptquelle ihrer Einnahmen und Mittel zur Niederhaltung des Volks ist, sind die zwei¬ hundertvierzig Seiten Aussagen von Beamten nicht unparteiisch. Von hundert¬ dreißig Ärzten, die gefragt wurden, stehen zweiundachtzig im Dienst der Re¬ gierung. Gegen das Opium waren alle Missionare und die Hülste der nicht¬ bezahlten Ärzte. Wenn es in solchen Dingen eine Logik gäbe, so müßten die Maßregeln zur Beschränkung des Branntweinhandels in Afrika in.noch schärferen Maße gegen das weit verderblichere Opium ergriffen werden. Aber die Stärke der englischen Politik liegt ja darin, daß sie sich an die schreiendsten Wider¬ sprüche zwischen Worte und Thaten und zwischen dein Handeln in Asien und dem Handeln in Afrika nicht kehrt. Es ist ja eine besondre englische Logik darin. Das indische Opium hilft England, indem es die indischen Finanzen verbessert, der afrikanische Branntwein schadet ihm, weil er dem deutscheu, französischen, belgischen Handel nützt, daher folgerichtig: gegen Branntwein und für Opium. Man konnte jüngst in der Firnes eine Tirade gegen den Branntweinhandel in Westafrika auf derselben Seite mit dem Bericht des indischen Finanzsekretärs lesen, daß, Mur die Opiumpreise noch weiter so stiegen, in das indische Budget für 1895 40 Lakh Rupien mehr Einnahmen gesetzt werden könnten. 5 Ceylon, so nahe bei Indien, bewohnt von Völkern, die größtenteils nach¬ weisbar indischen Ursprungs sind, ist doch ein ganz andres Land. Ceylon ist eine Kronkolonie. Es ist als englischer Besitz jünger als Indien, denn erst dreißig Jahre, nachdem Clive die Grundlage Englisch-Jndiens gelegt hatte, kamen die holländischen Hafenplätze a» England, und erst 1815 riß es die ganze Insel an sich. Die besondre Verwaltung hat Ceylons Eigentümlichkeiten stärker hervortreten lassen, die besonders im Vergleich mit dem so nahen Südindien auffallend sind: in der eingebornen Bevölkerung fast keine Mohammedaner und eine mehr soziale als religiöse Kastengliederung, unter den Europäern nichts von den Beamten und Offizieren Indiens, dafür ein starker Stand eng¬ lischer Pflanzer und Nachkömmlinge der Portugiesen und Holländer. Eine Vergleichung Ceylons mit Indien ist lehrreich. Man erkennt sofort, welchen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/511
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/511>, abgerufen am 27.04.2024.