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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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unsre Zeiten recht deutlich hervortreten läßt. Dieser Wert besteht darin, daß die
kleinen Stadtstaaten des Altertums Paradigmen bilden, an denen man die Grund-
formen aller Politischen und sozialen Gestaltungen und Bewegungen studiren kann,
die in unsern modernen Staaten wegen ihrer Größe und ihrem verwickelten Ban
oft schwer aufzufinden sind, Adler chcircikterisirt die Seisachtheia in Verbindung
mit der Verfassungsänderung als eine Befreiung der attischen Bauernschaft von
einer brutalen und kurzsichtigen Junkerherrschaft und kommt im Gegensatz zu
Wilamowitz-Moellendorff, der in seinem Werke: Aristoteles und Athen, Solon nicht
zu den großen Staatsmännern rechnet, zu dem Ergebnis: "Solon war ein großer
Staatsmann: denn er hat die schweren Gebresten der Zeit klar erkannt und die
Mittel zu ihrer Heilung mit starker und sichrer Hand durchgeführt; seine Ma߬
regeln stellen die gewaltigste (?) soziale Reform dar, die jemals in der Weltgeschichte
auf friedlichem Wege zur Ausführung gelangt ist. Durch ihn ist thatsächlich
eine wahrhafte Bauernbefreiung großen Stils (?) durchgeführt und damit der Grund¬
stein zu der attischen Kultur, wie wir sie kennen, das Fundament zu Athens künf¬
tiger Größe gelegt worden." Die zwei Fragezeichen wollen besagen, daß das
Wort groß im räumlichen Sinne auf Attika und attische Verhältnisse überhaupt
nicht angewendet werden kann. Aber freilich ist es eben die räumliche Kleinheit
gewesen, was diese alten Staaten zu geeigneten Pflegstätteu geistiger Größe und
zu lehrreichen Vorbildern für spätere Zeiten gemacht hat.




Litteratur
Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten. Auf Grund archi-
valischer Quellen von Hugo Landwehr. Berlin, Ernst Hoffmann >d Co., 1S94

Der Verfasser will mit diesem Buche eine Lücke in der geschichtlichen Lit¬
teratur ausfüllen, da die evangelische Seite der Preußischen Kirchenpolitik in den
grundlegenden Werken von Droysen und Lehmann (Preußen und die katholische
Kirche) im wesentlichen nur gestreift, bei Hering (1778) dagegen, auf dem alle
spätern Darsteller, auch Brandes (1872), fußen, im einseitig'reformirten Sinne
aufgefaßt sei. Er will gegenüber dem herkömmlichen Urteil zeigen, daß die "Re-
formirten in Wahrheit doch ebenso kampflustig als ihre Gegner waren," damit aber
nun auch ein umfassendes, getreues Bild des kirchenpolitischen Strebens des Großen
Kurfürsten, nicht bloß als Landesfllrst, sondern auch als Reichsfürst, verbinden.

Friedrich Wilhelm war ein treuer Anhänger feines Bekenntnisses, wenn ihm
etwa zugemutet wurde, sür Erdenlohn seinen Glauben preiszugeben, sei es nun
den lutherischen Schweden für die Hand ihrer Königin Christine oder den Ka¬
tholiken für die Krone Polens, die er "einer Messe nicht wert" fand. Das hinderte
ihn aber nicht, die Freiheit des Evangeliums, deren Bedeutung sein hoher Geist
früh im oranischen Hause erfassen und an den niederländischen Zuständen auch


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unsre Zeiten recht deutlich hervortreten läßt. Dieser Wert besteht darin, daß die
kleinen Stadtstaaten des Altertums Paradigmen bilden, an denen man die Grund-
formen aller Politischen und sozialen Gestaltungen und Bewegungen studiren kann,
die in unsern modernen Staaten wegen ihrer Größe und ihrem verwickelten Ban
oft schwer aufzufinden sind, Adler chcircikterisirt die Seisachtheia in Verbindung
mit der Verfassungsänderung als eine Befreiung der attischen Bauernschaft von
einer brutalen und kurzsichtigen Junkerherrschaft und kommt im Gegensatz zu
Wilamowitz-Moellendorff, der in seinem Werke: Aristoteles und Athen, Solon nicht
zu den großen Staatsmännern rechnet, zu dem Ergebnis: „Solon war ein großer
Staatsmann: denn er hat die schweren Gebresten der Zeit klar erkannt und die
Mittel zu ihrer Heilung mit starker und sichrer Hand durchgeführt; seine Ma߬
regeln stellen die gewaltigste (?) soziale Reform dar, die jemals in der Weltgeschichte
auf friedlichem Wege zur Ausführung gelangt ist. Durch ihn ist thatsächlich
eine wahrhafte Bauernbefreiung großen Stils (?) durchgeführt und damit der Grund¬
stein zu der attischen Kultur, wie wir sie kennen, das Fundament zu Athens künf¬
tiger Größe gelegt worden." Die zwei Fragezeichen wollen besagen, daß das
Wort groß im räumlichen Sinne auf Attika und attische Verhältnisse überhaupt
nicht angewendet werden kann. Aber freilich ist es eben die räumliche Kleinheit
gewesen, was diese alten Staaten zu geeigneten Pflegstätteu geistiger Größe und
zu lehrreichen Vorbildern für spätere Zeiten gemacht hat.




Litteratur
Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten. Auf Grund archi-
valischer Quellen von Hugo Landwehr. Berlin, Ernst Hoffmann >d Co., 1S94

Der Verfasser will mit diesem Buche eine Lücke in der geschichtlichen Lit¬
teratur ausfüllen, da die evangelische Seite der Preußischen Kirchenpolitik in den
grundlegenden Werken von Droysen und Lehmann (Preußen und die katholische
Kirche) im wesentlichen nur gestreift, bei Hering (1778) dagegen, auf dem alle
spätern Darsteller, auch Brandes (1872), fußen, im einseitig'reformirten Sinne
aufgefaßt sei. Er will gegenüber dem herkömmlichen Urteil zeigen, daß die „Re-
formirten in Wahrheit doch ebenso kampflustig als ihre Gegner waren," damit aber
nun auch ein umfassendes, getreues Bild des kirchenpolitischen Strebens des Großen
Kurfürsten, nicht bloß als Landesfllrst, sondern auch als Reichsfürst, verbinden.

Friedrich Wilhelm war ein treuer Anhänger feines Bekenntnisses, wenn ihm
etwa zugemutet wurde, sür Erdenlohn seinen Glauben preiszugeben, sei es nun
den lutherischen Schweden für die Hand ihrer Königin Christine oder den Ka¬
tholiken für die Krone Polens, die er „einer Messe nicht wert" fand. Das hinderte
ihn aber nicht, die Freiheit des Evangeliums, deren Bedeutung sein hoher Geist
früh im oranischen Hause erfassen und an den niederländischen Zuständen auch


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[0543] Litteratur unsre Zeiten recht deutlich hervortreten läßt. Dieser Wert besteht darin, daß die kleinen Stadtstaaten des Altertums Paradigmen bilden, an denen man die Grund- formen aller Politischen und sozialen Gestaltungen und Bewegungen studiren kann, die in unsern modernen Staaten wegen ihrer Größe und ihrem verwickelten Ban oft schwer aufzufinden sind, Adler chcircikterisirt die Seisachtheia in Verbindung mit der Verfassungsänderung als eine Befreiung der attischen Bauernschaft von einer brutalen und kurzsichtigen Junkerherrschaft und kommt im Gegensatz zu Wilamowitz-Moellendorff, der in seinem Werke: Aristoteles und Athen, Solon nicht zu den großen Staatsmännern rechnet, zu dem Ergebnis: „Solon war ein großer Staatsmann: denn er hat die schweren Gebresten der Zeit klar erkannt und die Mittel zu ihrer Heilung mit starker und sichrer Hand durchgeführt; seine Ma߬ regeln stellen die gewaltigste (?) soziale Reform dar, die jemals in der Weltgeschichte auf friedlichem Wege zur Ausführung gelangt ist. Durch ihn ist thatsächlich eine wahrhafte Bauernbefreiung großen Stils (?) durchgeführt und damit der Grund¬ stein zu der attischen Kultur, wie wir sie kennen, das Fundament zu Athens künf¬ tiger Größe gelegt worden." Die zwei Fragezeichen wollen besagen, daß das Wort groß im räumlichen Sinne auf Attika und attische Verhältnisse überhaupt nicht angewendet werden kann. Aber freilich ist es eben die räumliche Kleinheit gewesen, was diese alten Staaten zu geeigneten Pflegstätteu geistiger Größe und zu lehrreichen Vorbildern für spätere Zeiten gemacht hat. Litteratur Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, des Großen Kurfürsten. Auf Grund archi- valischer Quellen von Hugo Landwehr. Berlin, Ernst Hoffmann >d Co., 1S94 Der Verfasser will mit diesem Buche eine Lücke in der geschichtlichen Lit¬ teratur ausfüllen, da die evangelische Seite der Preußischen Kirchenpolitik in den grundlegenden Werken von Droysen und Lehmann (Preußen und die katholische Kirche) im wesentlichen nur gestreift, bei Hering (1778) dagegen, auf dem alle spätern Darsteller, auch Brandes (1872), fußen, im einseitig'reformirten Sinne aufgefaßt sei. Er will gegenüber dem herkömmlichen Urteil zeigen, daß die „Re- formirten in Wahrheit doch ebenso kampflustig als ihre Gegner waren," damit aber nun auch ein umfassendes, getreues Bild des kirchenpolitischen Strebens des Großen Kurfürsten, nicht bloß als Landesfllrst, sondern auch als Reichsfürst, verbinden. Friedrich Wilhelm war ein treuer Anhänger feines Bekenntnisses, wenn ihm etwa zugemutet wurde, sür Erdenlohn seinen Glauben preiszugeben, sei es nun den lutherischen Schweden für die Hand ihrer Königin Christine oder den Ka¬ tholiken für die Krone Polens, die er „einer Messe nicht wert" fand. Das hinderte ihn aber nicht, die Freiheit des Evangeliums, deren Bedeutung sein hoher Geist früh im oranischen Hause erfassen und an den niederländischen Zuständen auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/543>, abgerufen am 28.04.2024.