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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

aber ist die Sache bald erledigt. Nur die temperamentvollern Thiere machen
etwas länger Unbequemlichkeiten, brauchen auch mehr Zeit, bis sie das Heim¬
weh nach dem weggenommenem Kalb überwunden haben.

Die armen Dinger! Nimmt man sie ihnen denn bald weg?
"

Je nachdem. Wie mans "in der Mode hat. So lange man das Kalb
bei der Mutter läßt, muß man auf den Milchertrag verzichten. Auf der
andern Seite: je länger man es bei ihr läßt, desto besser wird es als Schlacht¬
vieh, versteht sich. Unsre bleiben gewöhnlich zwei bis drei Wochen bei der
Alten; dann werden sie noch bis zu sechs Wochen abgesondert von der Mutter
im Stall gefüttert, mit frischer Milch aus dem Eimer und etwas Heu.
Schließlich kommen sie dann hinaus in die Koppel.

Und dann?

Werden sie entweder nach und nach zum Schlachten verkauft oder wachsen
heran, um sich weiter nützlich zu machen. Besonders schöne Exemplare werden
zur Zucht bestimmt. So eins ist der kleine schwarze Stier von der Bleß. --
Haben Sie sich jetzt über seinen Mangel an Symmetrie beruhigt, Rademacher?

Zu Befehl. Habe mich sogar besonders mit ihm angefreundet.

Na, sehen Sie. -- Die Bleß also hat ein sehr feuriges Temperament,
weißt du, und denkt, sie braucht sich das nicht gefallen zu lassen, das Melken.
Es gilt nun, ihr klar zu machen, daß wir davon mehr verstehen als sie. Mit
Grobheit richtet man da natürlich nichts aus, wie Mamselling sehr richtig
bemerkt hat. Man muß ihr auf andre Weise beikommen.

Aber wie? fragte Margarete, ganz bei der Sache.

Kann ich jetzt noch nicht wissen, Kind; muß ich erst sehen. Man kann
ja doch nicht ein Tier wie das andre behandeln. Auch die Kühe haben ihre
Individualität.

(Fortselmnn folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Nützliche Feindschaften.

Seitdem Protestanten und Katholiken einander
nicht mehr gegenseitig in Masse abschlachten, stiftet die feindliche Konkurrenz der
beiden Konfessionen mehr Nutzen als Schaden. Auch in der Alexianerangelegenheit
hat sie dem Gemeinwesen einen wichtigen Dienst erwiesen. Die Klagen über Übel¬
stünde in der Behandlung der Irren und im Entmündigimgsverfahren sind jahre¬
lang bei den Behörden und beim angesehenern Teile der Presse unbeachtet geblieben.
Jetzt auf einmal, da es sich um eine klösterliche Anstalt handelt, haben wir eine
lebhafte, von der Presse geleitete Volksbewegung, eine sensationelle Verhandlung im
preußischen Abgeordnetenhause, die feierliche Versicherung des zuständigen Ministers,
daß Wandel geschafft werden solle, und die gar uicht zu verachtende Beihilfe des
Kladderadatsch. Wir sind weit entfernt davon, den Sachverständigen: Ärzten und
Juristen (oder ist Juristen und Ärzten die richtige Rangordnung?) vorgreifen zu


Maßgebliches und Unmaßgebliches

aber ist die Sache bald erledigt. Nur die temperamentvollern Thiere machen
etwas länger Unbequemlichkeiten, brauchen auch mehr Zeit, bis sie das Heim¬
weh nach dem weggenommenem Kalb überwunden haben.

Die armen Dinger! Nimmt man sie ihnen denn bald weg?
"

Je nachdem. Wie mans „in der Mode hat. So lange man das Kalb
bei der Mutter läßt, muß man auf den Milchertrag verzichten. Auf der
andern Seite: je länger man es bei ihr läßt, desto besser wird es als Schlacht¬
vieh, versteht sich. Unsre bleiben gewöhnlich zwei bis drei Wochen bei der
Alten; dann werden sie noch bis zu sechs Wochen abgesondert von der Mutter
im Stall gefüttert, mit frischer Milch aus dem Eimer und etwas Heu.
Schließlich kommen sie dann hinaus in die Koppel.

Und dann?

Werden sie entweder nach und nach zum Schlachten verkauft oder wachsen
heran, um sich weiter nützlich zu machen. Besonders schöne Exemplare werden
zur Zucht bestimmt. So eins ist der kleine schwarze Stier von der Bleß. —
Haben Sie sich jetzt über seinen Mangel an Symmetrie beruhigt, Rademacher?

Zu Befehl. Habe mich sogar besonders mit ihm angefreundet.

Na, sehen Sie. — Die Bleß also hat ein sehr feuriges Temperament,
weißt du, und denkt, sie braucht sich das nicht gefallen zu lassen, das Melken.
Es gilt nun, ihr klar zu machen, daß wir davon mehr verstehen als sie. Mit
Grobheit richtet man da natürlich nichts aus, wie Mamselling sehr richtig
bemerkt hat. Man muß ihr auf andre Weise beikommen.

Aber wie? fragte Margarete, ganz bei der Sache.

Kann ich jetzt noch nicht wissen, Kind; muß ich erst sehen. Man kann
ja doch nicht ein Tier wie das andre behandeln. Auch die Kühe haben ihre
Individualität.

(Fortselmnn folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Nützliche Feindschaften.

Seitdem Protestanten und Katholiken einander
nicht mehr gegenseitig in Masse abschlachten, stiftet die feindliche Konkurrenz der
beiden Konfessionen mehr Nutzen als Schaden. Auch in der Alexianerangelegenheit
hat sie dem Gemeinwesen einen wichtigen Dienst erwiesen. Die Klagen über Übel¬
stünde in der Behandlung der Irren und im Entmündigimgsverfahren sind jahre¬
lang bei den Behörden und beim angesehenern Teile der Presse unbeachtet geblieben.
Jetzt auf einmal, da es sich um eine klösterliche Anstalt handelt, haben wir eine
lebhafte, von der Presse geleitete Volksbewegung, eine sensationelle Verhandlung im
preußischen Abgeordnetenhause, die feierliche Versicherung des zuständigen Ministers,
daß Wandel geschafft werden solle, und die gar uicht zu verachtende Beihilfe des
Kladderadatsch. Wir sind weit entfernt davon, den Sachverständigen: Ärzten und
Juristen (oder ist Juristen und Ärzten die richtige Rangordnung?) vorgreifen zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/58>, abgerufen am 28.04.2024.