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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

wohl entziehen. Wegen solcher Zuknnftsgedanteii, die er 1352 in einem Katechismus
des Rechts ausgesprochen hatte, ist er von Robert von Mohl als ein Irrsinniger
verspottet worden; heute würde ihm das kaum begegne". Als die wichtigste und
beachtenswerteste unter Plancks Schriften bezeichnet Hirzel das von Kostim bei
Fues in Tübingen hernusgegebne: Testament eines Deutschen.




Litteratur
Litteratur über Grillparzer.

Die Litteratur über Grillparzer schwillt
immer mehr an, und die späte Sühne, die dem bedeutendsten Dichter Dentsch-
östcrreichs gegeben wird, droht über olle berechtigten Grenzen hinauszuwachsen.
An sich konnte man sich ja nur freuen, wenn eine große künstlerische Persönlich¬
keit und namentlich ein Dichter, der, unabhängig von allen vorübergehenden ten¬
denziösen Strömungen und manieristischen Verirrungen, der höchsten poetischen
Aufgabe, die Welt darzustellen, treu geblieben ist, tiefer erkannt und nach Gebühr
geehrt wird. Auch käme wenig darauf an, ob bei dieser Gelegenheit ein paar
überflüssige Schriften und Aufsätze die Menge des Materials vermehrten, aus dem
eine künftige abschließende Biographie und Charakteristik des Dichters schöpfen muß.
Und endlich ist es nur gerecht, daß mau auf ein solches Werk nicht jahrzehntelang
schweigend wartet, sondern inzwischen der erlangten bewundernden Erkenntnis Ausdruck
giebt. Aber bedenklich ist die maßlose Überschätzung der persönlichen Anschauungen
Grillparzers, die Neigung, die ganze Entwicklungsgeschichte der deutschen Dichtung
zu Gunsten subjektiver Schrullen des mannichfach verbitterten und grämlich ein¬
seitig gewordnen Wiener Dichters umzugestalten, und die nachträgliche Anerken¬
nung von allem oder wenigstens von vielem, was in den dreißiger und vierziger
Jahren in Deutschösterreich Grillparzersche Schule hieß. Ohne Frage ist es schwer,
die richtige Linie einzuhalten, wenn es sich, wie bei Grillparzers Leben und
Schaffen, um die Abmessung ungünstiger allgemeiner und uugiiustiger individueller
Zustände handelt. Der Versuch, den Dichter nachträglich zu einem Naturalisten
modernsten Stils zu stempeln und den bei ihm allerdings mächtigen, meist etwas
herben realistischen Elementen eine ausschließliche Bedeutung zuzuschreiben, die ent¬
gegenwirkenden Elemente schlechthin zu leugnen, muß ebenso scheitern, wie der
Versuch, ihn zu einem Vertreter allerneuester politischer Anschauungen zu erhebe".
Da trifft es der jüngste Beurteiler der innern Entwicklung des Dichters, Emil
Reich, doch ungleich besser, wenn er sagt: "Grillparzer war stolz darauf, zu keiner
Schule zu gehören, man soll ihn mich keiner einreihen wollen; ungehindert durch
Parteischlagworte, gab er jedem Stoffe die ihm seinen innern Bedingungen noch
gemäße Form, bald stärker realistisch, bald absichtlich minder schroff individualisirend.
Über diesem Wechselspiel der Form darf jedoch die fortschreitende Entwicklung in
der Gesinnung des Dichters nicht übersehen werden, welche von dem durch die
Lebensumstände ihm aufgedrängten Pessimismus ausgehend sich zu einer sittlichen
Reife läutert, die bei trüber Resignation auf eignes Glück den Glauben an eine


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wohl entziehen. Wegen solcher Zuknnftsgedanteii, die er 1352 in einem Katechismus
des Rechts ausgesprochen hatte, ist er von Robert von Mohl als ein Irrsinniger
verspottet worden; heute würde ihm das kaum begegne». Als die wichtigste und
beachtenswerteste unter Plancks Schriften bezeichnet Hirzel das von Kostim bei
Fues in Tübingen hernusgegebne: Testament eines Deutschen.




Litteratur
Litteratur über Grillparzer.

Die Litteratur über Grillparzer schwillt
immer mehr an, und die späte Sühne, die dem bedeutendsten Dichter Dentsch-
östcrreichs gegeben wird, droht über olle berechtigten Grenzen hinauszuwachsen.
An sich konnte man sich ja nur freuen, wenn eine große künstlerische Persönlich¬
keit und namentlich ein Dichter, der, unabhängig von allen vorübergehenden ten¬
denziösen Strömungen und manieristischen Verirrungen, der höchsten poetischen
Aufgabe, die Welt darzustellen, treu geblieben ist, tiefer erkannt und nach Gebühr
geehrt wird. Auch käme wenig darauf an, ob bei dieser Gelegenheit ein paar
überflüssige Schriften und Aufsätze die Menge des Materials vermehrten, aus dem
eine künftige abschließende Biographie und Charakteristik des Dichters schöpfen muß.
Und endlich ist es nur gerecht, daß mau auf ein solches Werk nicht jahrzehntelang
schweigend wartet, sondern inzwischen der erlangten bewundernden Erkenntnis Ausdruck
giebt. Aber bedenklich ist die maßlose Überschätzung der persönlichen Anschauungen
Grillparzers, die Neigung, die ganze Entwicklungsgeschichte der deutschen Dichtung
zu Gunsten subjektiver Schrullen des mannichfach verbitterten und grämlich ein¬
seitig gewordnen Wiener Dichters umzugestalten, und die nachträgliche Anerken¬
nung von allem oder wenigstens von vielem, was in den dreißiger und vierziger
Jahren in Deutschösterreich Grillparzersche Schule hieß. Ohne Frage ist es schwer,
die richtige Linie einzuhalten, wenn es sich, wie bei Grillparzers Leben und
Schaffen, um die Abmessung ungünstiger allgemeiner und uugiiustiger individueller
Zustände handelt. Der Versuch, den Dichter nachträglich zu einem Naturalisten
modernsten Stils zu stempeln und den bei ihm allerdings mächtigen, meist etwas
herben realistischen Elementen eine ausschließliche Bedeutung zuzuschreiben, die ent¬
gegenwirkenden Elemente schlechthin zu leugnen, muß ebenso scheitern, wie der
Versuch, ihn zu einem Vertreter allerneuester politischer Anschauungen zu erhebe».
Da trifft es der jüngste Beurteiler der innern Entwicklung des Dichters, Emil
Reich, doch ungleich besser, wenn er sagt: „Grillparzer war stolz darauf, zu keiner
Schule zu gehören, man soll ihn mich keiner einreihen wollen; ungehindert durch
Parteischlagworte, gab er jedem Stoffe die ihm seinen innern Bedingungen noch
gemäße Form, bald stärker realistisch, bald absichtlich minder schroff individualisirend.
Über diesem Wechselspiel der Form darf jedoch die fortschreitende Entwicklung in
der Gesinnung des Dichters nicht übersehen werden, welche von dem durch die
Lebensumstände ihm aufgedrängten Pessimismus ausgehend sich zu einer sittlichen
Reife läutert, die bei trüber Resignation auf eignes Glück den Glauben an eine


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[0639] Litteratur wohl entziehen. Wegen solcher Zuknnftsgedanteii, die er 1352 in einem Katechismus des Rechts ausgesprochen hatte, ist er von Robert von Mohl als ein Irrsinniger verspottet worden; heute würde ihm das kaum begegne». Als die wichtigste und beachtenswerteste unter Plancks Schriften bezeichnet Hirzel das von Kostim bei Fues in Tübingen hernusgegebne: Testament eines Deutschen. Litteratur Litteratur über Grillparzer. Die Litteratur über Grillparzer schwillt immer mehr an, und die späte Sühne, die dem bedeutendsten Dichter Dentsch- östcrreichs gegeben wird, droht über olle berechtigten Grenzen hinauszuwachsen. An sich konnte man sich ja nur freuen, wenn eine große künstlerische Persönlich¬ keit und namentlich ein Dichter, der, unabhängig von allen vorübergehenden ten¬ denziösen Strömungen und manieristischen Verirrungen, der höchsten poetischen Aufgabe, die Welt darzustellen, treu geblieben ist, tiefer erkannt und nach Gebühr geehrt wird. Auch käme wenig darauf an, ob bei dieser Gelegenheit ein paar überflüssige Schriften und Aufsätze die Menge des Materials vermehrten, aus dem eine künftige abschließende Biographie und Charakteristik des Dichters schöpfen muß. Und endlich ist es nur gerecht, daß mau auf ein solches Werk nicht jahrzehntelang schweigend wartet, sondern inzwischen der erlangten bewundernden Erkenntnis Ausdruck giebt. Aber bedenklich ist die maßlose Überschätzung der persönlichen Anschauungen Grillparzers, die Neigung, die ganze Entwicklungsgeschichte der deutschen Dichtung zu Gunsten subjektiver Schrullen des mannichfach verbitterten und grämlich ein¬ seitig gewordnen Wiener Dichters umzugestalten, und die nachträgliche Anerken¬ nung von allem oder wenigstens von vielem, was in den dreißiger und vierziger Jahren in Deutschösterreich Grillparzersche Schule hieß. Ohne Frage ist es schwer, die richtige Linie einzuhalten, wenn es sich, wie bei Grillparzers Leben und Schaffen, um die Abmessung ungünstiger allgemeiner und uugiiustiger individueller Zustände handelt. Der Versuch, den Dichter nachträglich zu einem Naturalisten modernsten Stils zu stempeln und den bei ihm allerdings mächtigen, meist etwas herben realistischen Elementen eine ausschließliche Bedeutung zuzuschreiben, die ent¬ gegenwirkenden Elemente schlechthin zu leugnen, muß ebenso scheitern, wie der Versuch, ihn zu einem Vertreter allerneuester politischer Anschauungen zu erhebe». Da trifft es der jüngste Beurteiler der innern Entwicklung des Dichters, Emil Reich, doch ungleich besser, wenn er sagt: „Grillparzer war stolz darauf, zu keiner Schule zu gehören, man soll ihn mich keiner einreihen wollen; ungehindert durch Parteischlagworte, gab er jedem Stoffe die ihm seinen innern Bedingungen noch gemäße Form, bald stärker realistisch, bald absichtlich minder schroff individualisirend. Über diesem Wechselspiel der Form darf jedoch die fortschreitende Entwicklung in der Gesinnung des Dichters nicht übersehen werden, welche von dem durch die Lebensumstände ihm aufgedrängten Pessimismus ausgehend sich zu einer sittlichen Reife läutert, die bei trüber Resignation auf eignes Glück den Glauben an eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/639>, abgerufen am 28.04.2024.