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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der erste Beste

den Draußenstehenden Achtung und Anteil abzunötigen und uns allen schließlich
zu bringen, was uns not thut: ein tiefer begründetes Verhältnis -- nicht
Zur Kunstgeschichte, aber zur Kunst!


Rudolf Aautzsch


Der erste Beste
Erzählung von Veto Verdeck (Fortsetzung)

dents gab es einige Verwunderung auf dem Wirtschaftshofe
Knechte und Mägde steckten die Köpfe zusammen. "Uns Fru"
war mit dem Herrn herübergekommen und ins Kuhhaus ge¬
gangen. Was hatte das wohl zu bedeuten? Das mußte man
sich doch ansehen. Drinnen war große Versammlung um die
Bleß, das "tücksche Biese." Die stand und zerrte das Gras aus
der Raufe und schlug mit dem Schwänze nach den Fliegen und warf den
Kopf, daß die Kette klang, so unbekümmert, als wenn sie kein Wässerchen ge¬
trübt hätte. Sie war noch nicht "dran"; ihre Reihe war die letzte unten ein der
Wand. Breite Sonnenstreifen flimmerten an den geöffneten Thüren auf den
Steinfliesen. Schwalben schössen aus und ein und tauchten blitzschnell aus
der Helligkeit in die tiefe Dämmerung des langen, breiten Raumes.

Margarete war anfangs nahe am Eingange stehen geblieben; es war ihr
doch wieder sehr bänglich in der dumpfen Luft. Sie sah nach Fritz, der, ohne
sich weiter um sie zü kümmern, den Steig entlang gegangen war, bis zur
Bleß. Langsam blickte sie dann über die Reihen der Kühe hin, über die
weißen, braunen und gefleckten Rücken, horchte auf die unbestimmten Töne,
das Schnaufen der in den Krippen wühlenden Mäuler, das dumpfe Stampfen
der Hufe auf der Streu, das Klappern der Holzschuhe, in denen die Mügde
mit Melkkübel und Schemel von Platz zu Platz schlurrten, das matte Zischen,
mit dem beim Melken der dünne weiße Strahl in den Eimer schoß.

Gerade neben ihr wandte jetzt ein schönes, dunkles Tier langsam den Kopf,
sah sie ein Weilchen aus den großen, stumpfsinnig melancholischen Augen an
und drehte das nasse Maul zur Krippe zurück. Sie meint, was ich wohl hier
will, dachte Margarete beklommen. Es braucht mich freilich niemand hier.
Da drüben geht Mamselling. Sie sieht mich nicht. Sie hat auch zu thun.
Wie lange werd ich hier noch stehen? Ich trau mich nicht vom Fleck.

Etwas kaltes, feuchtes rührte ihre Hand an. Sie zuckte zusammen und
sah sich um. Es war Karo, Fritzens Jagdhund, der sie mit der Schnauze
berührt hatte. Du wunderst dich wohl auch? fragte sie leise, indem sie sich
zu ihm neigte und seinen schönen Kopf streichelte. Er sah ihr aufmerksam
ins Gesicht.


Der erste Beste

den Draußenstehenden Achtung und Anteil abzunötigen und uns allen schließlich
zu bringen, was uns not thut: ein tiefer begründetes Verhältnis — nicht
Zur Kunstgeschichte, aber zur Kunst!


Rudolf Aautzsch


Der erste Beste
Erzählung von Veto Verdeck (Fortsetzung)

dents gab es einige Verwunderung auf dem Wirtschaftshofe
Knechte und Mägde steckten die Köpfe zusammen. „Uns Fru"
war mit dem Herrn herübergekommen und ins Kuhhaus ge¬
gangen. Was hatte das wohl zu bedeuten? Das mußte man
sich doch ansehen. Drinnen war große Versammlung um die
Bleß, das „tücksche Biese." Die stand und zerrte das Gras aus
der Raufe und schlug mit dem Schwänze nach den Fliegen und warf den
Kopf, daß die Kette klang, so unbekümmert, als wenn sie kein Wässerchen ge¬
trübt hätte. Sie war noch nicht „dran"; ihre Reihe war die letzte unten ein der
Wand. Breite Sonnenstreifen flimmerten an den geöffneten Thüren auf den
Steinfliesen. Schwalben schössen aus und ein und tauchten blitzschnell aus
der Helligkeit in die tiefe Dämmerung des langen, breiten Raumes.

Margarete war anfangs nahe am Eingange stehen geblieben; es war ihr
doch wieder sehr bänglich in der dumpfen Luft. Sie sah nach Fritz, der, ohne
sich weiter um sie zü kümmern, den Steig entlang gegangen war, bis zur
Bleß. Langsam blickte sie dann über die Reihen der Kühe hin, über die
weißen, braunen und gefleckten Rücken, horchte auf die unbestimmten Töne,
das Schnaufen der in den Krippen wühlenden Mäuler, das dumpfe Stampfen
der Hufe auf der Streu, das Klappern der Holzschuhe, in denen die Mügde
mit Melkkübel und Schemel von Platz zu Platz schlurrten, das matte Zischen,
mit dem beim Melken der dünne weiße Strahl in den Eimer schoß.

Gerade neben ihr wandte jetzt ein schönes, dunkles Tier langsam den Kopf,
sah sie ein Weilchen aus den großen, stumpfsinnig melancholischen Augen an
und drehte das nasse Maul zur Krippe zurück. Sie meint, was ich wohl hier
will, dachte Margarete beklommen. Es braucht mich freilich niemand hier.
Da drüben geht Mamselling. Sie sieht mich nicht. Sie hat auch zu thun.
Wie lange werd ich hier noch stehen? Ich trau mich nicht vom Fleck.

Etwas kaltes, feuchtes rührte ihre Hand an. Sie zuckte zusammen und
sah sich um. Es war Karo, Fritzens Jagdhund, der sie mit der Schnauze
berührt hatte. Du wunderst dich wohl auch? fragte sie leise, indem sie sich
zu ihm neigte und seinen schönen Kopf streichelte. Er sah ihr aufmerksam
ins Gesicht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/96>, abgerufen am 27.04.2024.