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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zum Schutze der Bauhandwerker

ganze Reihe von Verurteilungen erfahren hat. Zweitens bestehen aber auch
in Deutschland keine Gesetze, die eine so weitgehende Auslegung des Be¬
leidigungsbegriffs rechtfertigen könnten. Vielleicht ist die Anklage gegen Pro¬
fessor Delbrück erhoben worden, um den Beweis zu liefern, daß die bürger¬
liche Presse mit dem gleichen Maße wie die sozialdemokratische gemessen werde.
So löblich das Ware, so hoffen wir doch, daß das Reichsgericht, wenn es
erst seine prozessualer Bedenken aufgegeben hat, den Preßverfolgungen aller
Parteien ohne Unterschied ein Ende machen wird, solange sie der Polizei nichts
schlimmeres als unklugen, übertriebnen und voreingenommnen Amtseiser nach¬
sagen. Keinesfalls sind die Beleidigungsprozesse dazu da, den Beamten den
Besitz von Vollkommenheiten zu bescheinigen, die eine schätzbare Zugabe zu
ihrer Amtsführung sein mögen, deren Mangel sie aber nicht entehren kann,
weil er das Mittelmaß menschlicher Pflichterfüllung und den Menschenwert
des Beamten selbst unangetastet läßt. Worin die wahre Ehre, wenigstens die
vom Strafgesetz geschützte Ehre besteht, darüber ist die Strafrechtswissenschaft
niemals zweifelhaft gewesen. Ihre Ergebnisse sind erst vor kurzem von Binding
in der bekannten Schrift: "Die Ehre und ihre Verletzbarkcit" glänzend zu¬
sammengefaßt worden. Sie decken sich durchaus mit dem, was ernste, ehren¬
feste Männer als Forderungen des Nechtsgesühls empfinden. Die deutsche
Rechtsprechung ist schwer krank, wenn sie beide, die Wissenschaft und das
natürliche Rechtsgefühl des Volkes dauernd gegen sich hat.




Zum Schutze der Bauhandwerker

eit einigen Jahren wird die Frage erörtert, wie die Bauunter¬
nehmer und die beim Bau beschäftigten und beteiligten Handwerker,
Arbeiter und Lieferanten gegen die Verluste geschützt werdeu
könnten, die sie bei Bauten und insbesondre bei Neubauten in
großen Städten durch den Bauschwindel vielfach erleiden- Dieser
Bauschwindel wird am häufigsten in der Weise betrieben, daß die Baustelle
dem in der Regel vermögenslosen Bauherrn für einen Kaufpreis übereignet
wird, der den wahren Wert der Baustelle weit übersteigt, der aber nur zum
geringsten Teil bar ausgezahlt, zum größten Teil als Restkaufgeld auf das
Baugrundstück hypothekarisch eingetragen wird. Dieser Hypothek wird nach
der gegenwärtigen Gesetzgebung der nachträglich aufgeführte Bau sofort mit-


Zum Schutze der Bauhandwerker

ganze Reihe von Verurteilungen erfahren hat. Zweitens bestehen aber auch
in Deutschland keine Gesetze, die eine so weitgehende Auslegung des Be¬
leidigungsbegriffs rechtfertigen könnten. Vielleicht ist die Anklage gegen Pro¬
fessor Delbrück erhoben worden, um den Beweis zu liefern, daß die bürger¬
liche Presse mit dem gleichen Maße wie die sozialdemokratische gemessen werde.
So löblich das Ware, so hoffen wir doch, daß das Reichsgericht, wenn es
erst seine prozessualer Bedenken aufgegeben hat, den Preßverfolgungen aller
Parteien ohne Unterschied ein Ende machen wird, solange sie der Polizei nichts
schlimmeres als unklugen, übertriebnen und voreingenommnen Amtseiser nach¬
sagen. Keinesfalls sind die Beleidigungsprozesse dazu da, den Beamten den
Besitz von Vollkommenheiten zu bescheinigen, die eine schätzbare Zugabe zu
ihrer Amtsführung sein mögen, deren Mangel sie aber nicht entehren kann,
weil er das Mittelmaß menschlicher Pflichterfüllung und den Menschenwert
des Beamten selbst unangetastet läßt. Worin die wahre Ehre, wenigstens die
vom Strafgesetz geschützte Ehre besteht, darüber ist die Strafrechtswissenschaft
niemals zweifelhaft gewesen. Ihre Ergebnisse sind erst vor kurzem von Binding
in der bekannten Schrift: „Die Ehre und ihre Verletzbarkcit" glänzend zu¬
sammengefaßt worden. Sie decken sich durchaus mit dem, was ernste, ehren¬
feste Männer als Forderungen des Nechtsgesühls empfinden. Die deutsche
Rechtsprechung ist schwer krank, wenn sie beide, die Wissenschaft und das
natürliche Rechtsgefühl des Volkes dauernd gegen sich hat.




Zum Schutze der Bauhandwerker

eit einigen Jahren wird die Frage erörtert, wie die Bauunter¬
nehmer und die beim Bau beschäftigten und beteiligten Handwerker,
Arbeiter und Lieferanten gegen die Verluste geschützt werdeu
könnten, die sie bei Bauten und insbesondre bei Neubauten in
großen Städten durch den Bauschwindel vielfach erleiden- Dieser
Bauschwindel wird am häufigsten in der Weise betrieben, daß die Baustelle
dem in der Regel vermögenslosen Bauherrn für einen Kaufpreis übereignet
wird, der den wahren Wert der Baustelle weit übersteigt, der aber nur zum
geringsten Teil bar ausgezahlt, zum größten Teil als Restkaufgeld auf das
Baugrundstück hypothekarisch eingetragen wird. Dieser Hypothek wird nach
der gegenwärtigen Gesetzgebung der nachträglich aufgeführte Bau sofort mit-


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[0463] Zum Schutze der Bauhandwerker ganze Reihe von Verurteilungen erfahren hat. Zweitens bestehen aber auch in Deutschland keine Gesetze, die eine so weitgehende Auslegung des Be¬ leidigungsbegriffs rechtfertigen könnten. Vielleicht ist die Anklage gegen Pro¬ fessor Delbrück erhoben worden, um den Beweis zu liefern, daß die bürger¬ liche Presse mit dem gleichen Maße wie die sozialdemokratische gemessen werde. So löblich das Ware, so hoffen wir doch, daß das Reichsgericht, wenn es erst seine prozessualer Bedenken aufgegeben hat, den Preßverfolgungen aller Parteien ohne Unterschied ein Ende machen wird, solange sie der Polizei nichts schlimmeres als unklugen, übertriebnen und voreingenommnen Amtseiser nach¬ sagen. Keinesfalls sind die Beleidigungsprozesse dazu da, den Beamten den Besitz von Vollkommenheiten zu bescheinigen, die eine schätzbare Zugabe zu ihrer Amtsführung sein mögen, deren Mangel sie aber nicht entehren kann, weil er das Mittelmaß menschlicher Pflichterfüllung und den Menschenwert des Beamten selbst unangetastet läßt. Worin die wahre Ehre, wenigstens die vom Strafgesetz geschützte Ehre besteht, darüber ist die Strafrechtswissenschaft niemals zweifelhaft gewesen. Ihre Ergebnisse sind erst vor kurzem von Binding in der bekannten Schrift: „Die Ehre und ihre Verletzbarkcit" glänzend zu¬ sammengefaßt worden. Sie decken sich durchaus mit dem, was ernste, ehren¬ feste Männer als Forderungen des Nechtsgesühls empfinden. Die deutsche Rechtsprechung ist schwer krank, wenn sie beide, die Wissenschaft und das natürliche Rechtsgefühl des Volkes dauernd gegen sich hat. Zum Schutze der Bauhandwerker eit einigen Jahren wird die Frage erörtert, wie die Bauunter¬ nehmer und die beim Bau beschäftigten und beteiligten Handwerker, Arbeiter und Lieferanten gegen die Verluste geschützt werdeu könnten, die sie bei Bauten und insbesondre bei Neubauten in großen Städten durch den Bauschwindel vielfach erleiden- Dieser Bauschwindel wird am häufigsten in der Weise betrieben, daß die Baustelle dem in der Regel vermögenslosen Bauherrn für einen Kaufpreis übereignet wird, der den wahren Wert der Baustelle weit übersteigt, der aber nur zum geringsten Teil bar ausgezahlt, zum größten Teil als Restkaufgeld auf das Baugrundstück hypothekarisch eingetragen wird. Dieser Hypothek wird nach der gegenwärtigen Gesetzgebung der nachträglich aufgeführte Bau sofort mit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/463>, abgerufen am 22.05.2024.