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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Infektionskrankheiten
von H. Böing

or etwa Jahresfrist veröffentlichte ich in diesen Blättern einen
Aufsatz über Behring und Virchow, worin ich sür Behring eine
Lanze brach und sein mannhaftes Eintreten für seine neue Ent¬
deckung gegen die Schrullen der Wissenschaft und der Ärzte ver¬
teidigte. Heute wäre eine solche Verteidigung überflüssig; die
Ohnmacht der Ärzte gegen die mörderische Krankheit verbunden mit den gün¬
stigen Berichten der Presse über das neue Mittel und mit der Notlage der
Kranken haben genügt, dem Diphtherieheilserum rasch Eingang zu verschaffen.
Dazu kam das Wohlwollen der höchsten Medizinnlbehörde Preußens und die
Freigebigkeit mancher Magistrate, die ziemlich bedeutende Mittel bewilligten,
um Versuche im großen, in Krankenhäusern zu veranstalten und auf diese
Weise sichere thatsächliche Unterlagen sür die Prüfung des Mittels auf seine
Heilwirkung und seine Ungefährlichkeit zu gewinnen. Diese Prüfung ist günstig
ausgefallen: vor mir liegt der von Professor Guttstadt verfaßte Bericht des
Ausschusses über die Ergebnisse der Sammelsorschung. die der Kultusminister
or. Bosse im Dezember 1894 über die bis zum Schlüsse des Jahres mit
Diphtherieheilserum behandelten Krankheitsfülle angeordnet hatte, und wenn
auch dieser Bericht heute durch neuere Veröffentlichungen vieler Kliniker und
Ärzte nach mancher Richtung überholt ist, so glaube ich doch, größern Kreisen
einen Dienst zu erweisen, wenn ich ihnen aus diesem zuverlässigen Material,
das aus sämtlichen Regierungsbezirken Preußens stammt, das mitteile, was
zur Beurteilung des Werth des neuen Heilmittels wichtig ist.*)

Der Bericht enthält die Beobachtungen von 1349 Ärzten über 6626
Diphtheriefälle; von diesen wurden geheilt 5726, d. h. 86,5 Prozent, es starben
855, d. h. 12,9 Prozent, in Behandlung blieben 45, d. h. 0,6 Prozent.

Von der Gesamtzahl wurden behandelt in Krankenhäusern 4460 mit
80 Prozent Heilungen, in der Privatpraxis 2166 mit 91 Prozent Heilungen.



Auch Herr Virchow ist jetzt von der Heilwirkung des Behringschen Serums überzeugt:
det einem Besuch, den die Kaiserin Friedrich am 22. Dezember dem nach ihr und ihrem Ge¬
mahl benannten Krankenhause in Berlin machte, erklärte er, daß von 335 seit dem Monat
April nach Behring behandelten Diphtheriekranken mir 35 gestorben seien, und daß die Sterb-
"abtut von 43 aus 9'/, Prozent gesunken sei.


Die Infektionskrankheiten
von H. Böing

or etwa Jahresfrist veröffentlichte ich in diesen Blättern einen
Aufsatz über Behring und Virchow, worin ich sür Behring eine
Lanze brach und sein mannhaftes Eintreten für seine neue Ent¬
deckung gegen die Schrullen der Wissenschaft und der Ärzte ver¬
teidigte. Heute wäre eine solche Verteidigung überflüssig; die
Ohnmacht der Ärzte gegen die mörderische Krankheit verbunden mit den gün¬
stigen Berichten der Presse über das neue Mittel und mit der Notlage der
Kranken haben genügt, dem Diphtherieheilserum rasch Eingang zu verschaffen.
Dazu kam das Wohlwollen der höchsten Medizinnlbehörde Preußens und die
Freigebigkeit mancher Magistrate, die ziemlich bedeutende Mittel bewilligten,
um Versuche im großen, in Krankenhäusern zu veranstalten und auf diese
Weise sichere thatsächliche Unterlagen sür die Prüfung des Mittels auf seine
Heilwirkung und seine Ungefährlichkeit zu gewinnen. Diese Prüfung ist günstig
ausgefallen: vor mir liegt der von Professor Guttstadt verfaßte Bericht des
Ausschusses über die Ergebnisse der Sammelsorschung. die der Kultusminister
or. Bosse im Dezember 1894 über die bis zum Schlüsse des Jahres mit
Diphtherieheilserum behandelten Krankheitsfülle angeordnet hatte, und wenn
auch dieser Bericht heute durch neuere Veröffentlichungen vieler Kliniker und
Ärzte nach mancher Richtung überholt ist, so glaube ich doch, größern Kreisen
einen Dienst zu erweisen, wenn ich ihnen aus diesem zuverlässigen Material,
das aus sämtlichen Regierungsbezirken Preußens stammt, das mitteile, was
zur Beurteilung des Werth des neuen Heilmittels wichtig ist.*)

Der Bericht enthält die Beobachtungen von 1349 Ärzten über 6626
Diphtheriefälle; von diesen wurden geheilt 5726, d. h. 86,5 Prozent, es starben
855, d. h. 12,9 Prozent, in Behandlung blieben 45, d. h. 0,6 Prozent.

Von der Gesamtzahl wurden behandelt in Krankenhäusern 4460 mit
80 Prozent Heilungen, in der Privatpraxis 2166 mit 91 Prozent Heilungen.



Auch Herr Virchow ist jetzt von der Heilwirkung des Behringschen Serums überzeugt:
det einem Besuch, den die Kaiserin Friedrich am 22. Dezember dem nach ihr und ihrem Ge¬
mahl benannten Krankenhause in Berlin machte, erklärte er, daß von 335 seit dem Monat
April nach Behring behandelten Diphtheriekranken mir 35 gestorben seien, und daß die Sterb-
"abtut von 43 aus 9'/, Prozent gesunken sei.
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[0027] [Abbildung] Die Infektionskrankheiten von H. Böing or etwa Jahresfrist veröffentlichte ich in diesen Blättern einen Aufsatz über Behring und Virchow, worin ich sür Behring eine Lanze brach und sein mannhaftes Eintreten für seine neue Ent¬ deckung gegen die Schrullen der Wissenschaft und der Ärzte ver¬ teidigte. Heute wäre eine solche Verteidigung überflüssig; die Ohnmacht der Ärzte gegen die mörderische Krankheit verbunden mit den gün¬ stigen Berichten der Presse über das neue Mittel und mit der Notlage der Kranken haben genügt, dem Diphtherieheilserum rasch Eingang zu verschaffen. Dazu kam das Wohlwollen der höchsten Medizinnlbehörde Preußens und die Freigebigkeit mancher Magistrate, die ziemlich bedeutende Mittel bewilligten, um Versuche im großen, in Krankenhäusern zu veranstalten und auf diese Weise sichere thatsächliche Unterlagen sür die Prüfung des Mittels auf seine Heilwirkung und seine Ungefährlichkeit zu gewinnen. Diese Prüfung ist günstig ausgefallen: vor mir liegt der von Professor Guttstadt verfaßte Bericht des Ausschusses über die Ergebnisse der Sammelsorschung. die der Kultusminister or. Bosse im Dezember 1894 über die bis zum Schlüsse des Jahres mit Diphtherieheilserum behandelten Krankheitsfülle angeordnet hatte, und wenn auch dieser Bericht heute durch neuere Veröffentlichungen vieler Kliniker und Ärzte nach mancher Richtung überholt ist, so glaube ich doch, größern Kreisen einen Dienst zu erweisen, wenn ich ihnen aus diesem zuverlässigen Material, das aus sämtlichen Regierungsbezirken Preußens stammt, das mitteile, was zur Beurteilung des Werth des neuen Heilmittels wichtig ist.*) Der Bericht enthält die Beobachtungen von 1349 Ärzten über 6626 Diphtheriefälle; von diesen wurden geheilt 5726, d. h. 86,5 Prozent, es starben 855, d. h. 12,9 Prozent, in Behandlung blieben 45, d. h. 0,6 Prozent. Von der Gesamtzahl wurden behandelt in Krankenhäusern 4460 mit 80 Prozent Heilungen, in der Privatpraxis 2166 mit 91 Prozent Heilungen. Auch Herr Virchow ist jetzt von der Heilwirkung des Behringschen Serums überzeugt: det einem Besuch, den die Kaiserin Friedrich am 22. Dezember dem nach ihr und ihrem Ge¬ mahl benannten Krankenhause in Berlin machte, erklärte er, daß von 335 seit dem Monat April nach Behring behandelten Diphtheriekranken mir 35 gestorben seien, und daß die Sterb- "abtut von 43 aus 9'/, Prozent gesunken sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/27>, abgerufen am 19.05.2024.