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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Dramaturgisches und Dramatisches

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MWWn der Dramatischen Handwerkslehre von Avonianus
(Berlin, Hermann Walther, 1895) haben wir eine außerordent¬
lich fesselnd geschriebn? "Technik" des Dramas vor uns. Der
Verfasser, ein bekannter Dichter und Kritiker, keunt das Leben
in Nord- und Süddeutschland, er kennt die Großstadt und die
Verhältnisse der Bühne genau. Er ist alt genug geworden, sich nicht mehr
durch das erste Beste imponiren zu lassen (seltsamerweise verwandelt sich ganz
vereinzelt seine Kritik, wo man es am wenigsten begreift, nicht bei dichterischen,
sondern bei kritischen Arbeiten, in eine Hochachtung, die doch mehr als Höf¬
lichkeit zu sein scheint), er steht auch als Beobachter selbst bereits außerhalb
der Interessen, von denen aus die Thecitcrwelt regiert wird, und will nun
das ist sein Vorsatz -- aus einer reichen Erfahrung jungen dramatischen
Dichtern zeigen, vor was für Fehlern sie sich am meisten zu hüten haben. Er
spricht über die Wahl des Stoffes, über die Führung der Handlung, über die
Sprache und über moderne und alte Bühnentechnik, mit reichlichen Beispielen
nus Dramen von Shakespeare bis in die allerneueste Zeit. Seinem Stand¬
punkt nach ist er modern, insofern er nicht über Shakespeare zurückgeht, uus
das Altertum erläßt und die Schicksalstragvdie und die in den letzten Jahren
so vielfach besprochne tragische Schuld. Er hält sich also nur an das moderne
Leben. Aber er ist keineswegs modern in dem unangenehmen Sinne, den die
heutige Theaterwelt und die allerneueste Bühnentechnik erfunden und ausge¬
bildet hat. Hier greift er energisch und wohlthuend mit seiner Kritik ein und
Zeigt an den ältern Mustern das Nachahmenswerte, was zu weiteren Studium
für den Dramatiker von heute den Ausgangspunkt abgeben soll. Er hat also
junge Dichter im Ange, und die meisten davon verunglücken nach den ersten
dramatischen Versuchen; das zeigt er an zahlreichen Beispielen. Solchen Dichtern
möchte er helfen und sie vor Enttäuschungen bewahren. Aber sein Buch ist
vor allem doch auch ein Lesebuch für jeden gebildeten Menschen, um so mehr,
als die "Handwerkslehre" die verbrauchten Ausdrücke des ästhetischen Wort¬
vorrats vermeidet und einfach und deutlich zu jedermann über die Sachen spricht.
Der leitende Gedanke, der immer wieder zum Vorschein kommt, ist, daß ein
Drama kein Lesestück sein soll, sondern ein Bühnenstück. Ein Drama kann zu
Micr angenehmen, sogar zu einer erhebenden Lektüre werden, aber es soll ge-




Dramaturgisches und Dramatisches

^Mlö
^WUU
MWWn der Dramatischen Handwerkslehre von Avonianus
(Berlin, Hermann Walther, 1895) haben wir eine außerordent¬
lich fesselnd geschriebn? „Technik" des Dramas vor uns. Der
Verfasser, ein bekannter Dichter und Kritiker, keunt das Leben
in Nord- und Süddeutschland, er kennt die Großstadt und die
Verhältnisse der Bühne genau. Er ist alt genug geworden, sich nicht mehr
durch das erste Beste imponiren zu lassen (seltsamerweise verwandelt sich ganz
vereinzelt seine Kritik, wo man es am wenigsten begreift, nicht bei dichterischen,
sondern bei kritischen Arbeiten, in eine Hochachtung, die doch mehr als Höf¬
lichkeit zu sein scheint), er steht auch als Beobachter selbst bereits außerhalb
der Interessen, von denen aus die Thecitcrwelt regiert wird, und will nun
das ist sein Vorsatz — aus einer reichen Erfahrung jungen dramatischen
Dichtern zeigen, vor was für Fehlern sie sich am meisten zu hüten haben. Er
spricht über die Wahl des Stoffes, über die Führung der Handlung, über die
Sprache und über moderne und alte Bühnentechnik, mit reichlichen Beispielen
nus Dramen von Shakespeare bis in die allerneueste Zeit. Seinem Stand¬
punkt nach ist er modern, insofern er nicht über Shakespeare zurückgeht, uus
das Altertum erläßt und die Schicksalstragvdie und die in den letzten Jahren
so vielfach besprochne tragische Schuld. Er hält sich also nur an das moderne
Leben. Aber er ist keineswegs modern in dem unangenehmen Sinne, den die
heutige Theaterwelt und die allerneueste Bühnentechnik erfunden und ausge¬
bildet hat. Hier greift er energisch und wohlthuend mit seiner Kritik ein und
Zeigt an den ältern Mustern das Nachahmenswerte, was zu weiteren Studium
für den Dramatiker von heute den Ausgangspunkt abgeben soll. Er hat also
junge Dichter im Ange, und die meisten davon verunglücken nach den ersten
dramatischen Versuchen; das zeigt er an zahlreichen Beispielen. Solchen Dichtern
möchte er helfen und sie vor Enttäuschungen bewahren. Aber sein Buch ist
vor allem doch auch ein Lesebuch für jeden gebildeten Menschen, um so mehr,
als die „Handwerkslehre" die verbrauchten Ausdrücke des ästhetischen Wort¬
vorrats vermeidet und einfach und deutlich zu jedermann über die Sachen spricht.
Der leitende Gedanke, der immer wieder zum Vorschein kommt, ist, daß ein
Drama kein Lesestück sein soll, sondern ein Bühnenstück. Ein Drama kann zu
Micr angenehmen, sogar zu einer erhebenden Lektüre werden, aber es soll ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/437>, abgerufen am 30.05.2024.