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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Landwirtschaftliche Reinertrage

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/S^-^M,?^,n einem niederschlesischen Vciuerndorfe geboren und mit aufrich¬
tiger Liebe an meiner Heimat hängend, habe ich mit besonderen
Interesse wahrgenommen, wie die agrarische Bewegung von den
Bauern meines Geburtsorts aufgenommen worden ist. Die Leute
sind für jede Art von Agitation schwer zugänglich. Im besten
Sinne wirtschaftlich und politisch konservativ, haben sie es verstanden, die alte
Grundbesitzverteilung, überhaupt die ganze soziale Gliederung in der Gemeinde
auch den Stürmen der drei letzten Jahrzehnte gegenüber zu erhalten, ohne deshalb
in dem technischen Betrieb ihrer Wirtschaften oder auch in ihrer ganzen Lebens¬
weise bemerkbar zurückgeblieben zu sein. Natürlich leiden sie unter den niedrigen
Getreidepreisen, wie ihre Väter und Großväter in den zwanziger Jahren auch
darunter gelitten haben, aber wie es diese damals verstanden, sich in schlechten
Zeiten nach der Decke zu strecken, so verstehen sie das heute auch, zumal da
ihre dem Notstände angepaßte Lebensweise immer noch besser ist, als es die
der Väter selbst in den guten Zeiten der fünfziger Jahre war.

Unter solchen Umständen ist es nun sehr beachtenswert, daß die agra¬
rische Agitation auch bei diesen Leuten wenigstens nach einer Richtung bereits
zu wirken angefangen hat. Gerade einige der reichen und unverschuldeten Be¬
sitzer schworen heute auf die bekannte Agitationsformel, daß der Boden die
Bewirtschaftung nicht mehr lohne, und daß von einem landwirtschaftlichen Rein¬
ertrag auch für den unverschuldeten Besitzer nicht mehr die Rede sein könne.
So wie die Verhältnisse in dieser Gemeinde liegen, erscheint das fast unglaub¬
lich. Jedes Wirtschaftsjahr in jeder Wirtschaft beweist dem unbefangnen,
praktischen Manne die Unrichtigkeit der Behauptung. Aber wie die sozial¬
demokratischen Doktrinen die Herzen auch ganz verständiger und vorher zu¬
friedner Arbeiter trotz allen Widersinns gefangen nehmen, so fassen hier ver¬
kehrte Anschauungen in den Herzen der Bauern Wurzel und drohen, die
politische, soziale und wirtschaftliche Tüchtigkeit des deutschen Bauernstandes
ernsthaft zu gefährden. Es ist für den Freund des deutschen Bauernstandes
sehr schmerzlich, zu sehen, wie auch hier durch eine an die Begehrlichkeit sich
wendende Agitation ein vorzüglicher Menschenschlag des klaren Blicks und der
Zufriedenheit beraubt wird.




Landwirtschaftliche Reinertrage

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/S^-^M,?^,n einem niederschlesischen Vciuerndorfe geboren und mit aufrich¬
tiger Liebe an meiner Heimat hängend, habe ich mit besonderen
Interesse wahrgenommen, wie die agrarische Bewegung von den
Bauern meines Geburtsorts aufgenommen worden ist. Die Leute
sind für jede Art von Agitation schwer zugänglich. Im besten
Sinne wirtschaftlich und politisch konservativ, haben sie es verstanden, die alte
Grundbesitzverteilung, überhaupt die ganze soziale Gliederung in der Gemeinde
auch den Stürmen der drei letzten Jahrzehnte gegenüber zu erhalten, ohne deshalb
in dem technischen Betrieb ihrer Wirtschaften oder auch in ihrer ganzen Lebens¬
weise bemerkbar zurückgeblieben zu sein. Natürlich leiden sie unter den niedrigen
Getreidepreisen, wie ihre Väter und Großväter in den zwanziger Jahren auch
darunter gelitten haben, aber wie es diese damals verstanden, sich in schlechten
Zeiten nach der Decke zu strecken, so verstehen sie das heute auch, zumal da
ihre dem Notstände angepaßte Lebensweise immer noch besser ist, als es die
der Väter selbst in den guten Zeiten der fünfziger Jahre war.

Unter solchen Umständen ist es nun sehr beachtenswert, daß die agra¬
rische Agitation auch bei diesen Leuten wenigstens nach einer Richtung bereits
zu wirken angefangen hat. Gerade einige der reichen und unverschuldeten Be¬
sitzer schworen heute auf die bekannte Agitationsformel, daß der Boden die
Bewirtschaftung nicht mehr lohne, und daß von einem landwirtschaftlichen Rein¬
ertrag auch für den unverschuldeten Besitzer nicht mehr die Rede sein könne.
So wie die Verhältnisse in dieser Gemeinde liegen, erscheint das fast unglaub¬
lich. Jedes Wirtschaftsjahr in jeder Wirtschaft beweist dem unbefangnen,
praktischen Manne die Unrichtigkeit der Behauptung. Aber wie die sozial¬
demokratischen Doktrinen die Herzen auch ganz verständiger und vorher zu¬
friedner Arbeiter trotz allen Widersinns gefangen nehmen, so fassen hier ver¬
kehrte Anschauungen in den Herzen der Bauern Wurzel und drohen, die
politische, soziale und wirtschaftliche Tüchtigkeit des deutschen Bauernstandes
ernsthaft zu gefährden. Es ist für den Freund des deutschen Bauernstandes
sehr schmerzlich, zu sehen, wie auch hier durch eine an die Begehrlichkeit sich
wendende Agitation ein vorzüglicher Menschenschlag des klaren Blicks und der
Zufriedenheit beraubt wird.


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[0166] [Abbildung] Landwirtschaftliche Reinertrage '^MW»«' /S^-^M,?^,n einem niederschlesischen Vciuerndorfe geboren und mit aufrich¬ tiger Liebe an meiner Heimat hängend, habe ich mit besonderen Interesse wahrgenommen, wie die agrarische Bewegung von den Bauern meines Geburtsorts aufgenommen worden ist. Die Leute sind für jede Art von Agitation schwer zugänglich. Im besten Sinne wirtschaftlich und politisch konservativ, haben sie es verstanden, die alte Grundbesitzverteilung, überhaupt die ganze soziale Gliederung in der Gemeinde auch den Stürmen der drei letzten Jahrzehnte gegenüber zu erhalten, ohne deshalb in dem technischen Betrieb ihrer Wirtschaften oder auch in ihrer ganzen Lebens¬ weise bemerkbar zurückgeblieben zu sein. Natürlich leiden sie unter den niedrigen Getreidepreisen, wie ihre Väter und Großväter in den zwanziger Jahren auch darunter gelitten haben, aber wie es diese damals verstanden, sich in schlechten Zeiten nach der Decke zu strecken, so verstehen sie das heute auch, zumal da ihre dem Notstände angepaßte Lebensweise immer noch besser ist, als es die der Väter selbst in den guten Zeiten der fünfziger Jahre war. Unter solchen Umständen ist es nun sehr beachtenswert, daß die agra¬ rische Agitation auch bei diesen Leuten wenigstens nach einer Richtung bereits zu wirken angefangen hat. Gerade einige der reichen und unverschuldeten Be¬ sitzer schworen heute auf die bekannte Agitationsformel, daß der Boden die Bewirtschaftung nicht mehr lohne, und daß von einem landwirtschaftlichen Rein¬ ertrag auch für den unverschuldeten Besitzer nicht mehr die Rede sein könne. So wie die Verhältnisse in dieser Gemeinde liegen, erscheint das fast unglaub¬ lich. Jedes Wirtschaftsjahr in jeder Wirtschaft beweist dem unbefangnen, praktischen Manne die Unrichtigkeit der Behauptung. Aber wie die sozial¬ demokratischen Doktrinen die Herzen auch ganz verständiger und vorher zu¬ friedner Arbeiter trotz allen Widersinns gefangen nehmen, so fassen hier ver¬ kehrte Anschauungen in den Herzen der Bauern Wurzel und drohen, die politische, soziale und wirtschaftliche Tüchtigkeit des deutschen Bauernstandes ernsthaft zu gefährden. Es ist für den Freund des deutschen Bauernstandes sehr schmerzlich, zu sehen, wie auch hier durch eine an die Begehrlichkeit sich wendende Agitation ein vorzüglicher Menschenschlag des klaren Blicks und der Zufriedenheit beraubt wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/166>, abgerufen am 28.04.2024.