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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Unberechtigte und berechtigte Ausländerei

"
Mcum immer wieder die Klage erhöbe" wird, daß wir Deutschen
an der unverbesserlichen Sucht litten, unter Aufgebung unsers
nationalen Selbstgefühls, unsrer Anschauungen, Sitten und Ge¬
bräuche uns alles Ausländische zu eigen zu machen, aus keinem
andern Grunde, als weil wir allem Ausländischen von vornherein
ohne Überlegung, ohne Prüfung vor dem Einheimischen den
Vorzug geben, so ist das eine schwere Anklage, die nicht nur die Ehre des
Einzelnen angreift, gegen den sie in einem bestimmten Falle gerichtet ist, sondern
auch die der ganzen Nation, insofern diese "Ausländerei" als eine unsrer Nation
im allgemeinen anhaftende Schwäche hingestellt wird. Es liegt aber in dieser
Anklage eine Einseitigkeit, die ich einmal beleuchten möchte. Meine Absicht
ist dabei keineswegs, der Sucht nach Ausländischem das Wort zu reden oder
sie zu beschönigen; denn wie jeder vernünftige Mensch verabscheue auch ich
jegliche unbegründete, unberechtigte Ausländerei, die nur geübt wird, um damit
zu protzen, wie uns der Verfasser des kleinen Aufsatzes "Unsre Ausländerei"
im 13. Hefte der Grenzboten in dem Beispiel des Großindustriellen und Reichs-
tagsabgeordneten einen Fall dargestellt und mit Recht gegeißelt hat. Ich
möchte nur nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und solche Fälle widriger
und tadclswertcr Ausländerei verallgemeinern, als typisch für uns Deutsche
Hinstellen und mit Füllen andrer Art, wo die Ausländerei meiner Ansicht nach
begründet und berechtigt ist, in einen Topf werfen. Von der berechtigten
Ausländerei. die wir Deutschen treiben, ja noch mehr, als es bisher geschieht,
treiben müßten, möchte ich sprechen, um den allgemein verbreiteten einseitigen
Ansichten über unsre Ausländerei entgegenzutreten, diese selbst in etwas anderm
Lichte erscheinen zu lasten und dadurch den unberechtigten Anklagen ein Ende
zu machen.

Ich knüpfe an den erwähnten Aufsatz an. Hat der Textschreiber der
Gartenlaube den Satz: "Das junge Mädchen hat selbst etwas von dem Schliff
einer juiigen Amerikanerin angenommen" ohne alle Hintergedanken, d. h. ge¬
dankenlos hingeschrieben, so braucht sich auch ein vernünftiger Mensch keine
Gedanken darüber zu machen. Nehmen wir aber zu seinen Gunsten an. er
habe sich etwas dabei gedacht, so verstehe ich seine Worte dahin, daß das
junge Mädchen etwas von dem selbstbewußten Auftreten angenommen und zur
Schau getragen habe, das der Amerikanerin jeglichen Alters, besonders wenn
sie reist^ eigen ist. War das der Gedanke des Textschreibers, so hat er etwas
sehr vernünftiges gesagt, was zu denken geben kann. Und statt nur zu ver¬
raten, daß sich das junge Mädchen dieses selbstbewußte Auftreten in Amerika
erworben hatte, hätte er noch an alle jungen deutschen Mädchen den guten
Rat hinzufügen sollen, hinzugehen und desgleichen zu thun. Warum? Weil


Grenzboten II 1896 23


Unberechtigte und berechtigte Ausländerei


Mcum immer wieder die Klage erhöbe» wird, daß wir Deutschen
an der unverbesserlichen Sucht litten, unter Aufgebung unsers
nationalen Selbstgefühls, unsrer Anschauungen, Sitten und Ge¬
bräuche uns alles Ausländische zu eigen zu machen, aus keinem
andern Grunde, als weil wir allem Ausländischen von vornherein
ohne Überlegung, ohne Prüfung vor dem Einheimischen den
Vorzug geben, so ist das eine schwere Anklage, die nicht nur die Ehre des
Einzelnen angreift, gegen den sie in einem bestimmten Falle gerichtet ist, sondern
auch die der ganzen Nation, insofern diese „Ausländerei" als eine unsrer Nation
im allgemeinen anhaftende Schwäche hingestellt wird. Es liegt aber in dieser
Anklage eine Einseitigkeit, die ich einmal beleuchten möchte. Meine Absicht
ist dabei keineswegs, der Sucht nach Ausländischem das Wort zu reden oder
sie zu beschönigen; denn wie jeder vernünftige Mensch verabscheue auch ich
jegliche unbegründete, unberechtigte Ausländerei, die nur geübt wird, um damit
zu protzen, wie uns der Verfasser des kleinen Aufsatzes „Unsre Ausländerei"
im 13. Hefte der Grenzboten in dem Beispiel des Großindustriellen und Reichs-
tagsabgeordneten einen Fall dargestellt und mit Recht gegeißelt hat. Ich
möchte nur nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und solche Fälle widriger
und tadclswertcr Ausländerei verallgemeinern, als typisch für uns Deutsche
Hinstellen und mit Füllen andrer Art, wo die Ausländerei meiner Ansicht nach
begründet und berechtigt ist, in einen Topf werfen. Von der berechtigten
Ausländerei. die wir Deutschen treiben, ja noch mehr, als es bisher geschieht,
treiben müßten, möchte ich sprechen, um den allgemein verbreiteten einseitigen
Ansichten über unsre Ausländerei entgegenzutreten, diese selbst in etwas anderm
Lichte erscheinen zu lasten und dadurch den unberechtigten Anklagen ein Ende
zu machen.

Ich knüpfe an den erwähnten Aufsatz an. Hat der Textschreiber der
Gartenlaube den Satz: „Das junge Mädchen hat selbst etwas von dem Schliff
einer juiigen Amerikanerin angenommen" ohne alle Hintergedanken, d. h. ge¬
dankenlos hingeschrieben, so braucht sich auch ein vernünftiger Mensch keine
Gedanken darüber zu machen. Nehmen wir aber zu seinen Gunsten an. er
habe sich etwas dabei gedacht, so verstehe ich seine Worte dahin, daß das
junge Mädchen etwas von dem selbstbewußten Auftreten angenommen und zur
Schau getragen habe, das der Amerikanerin jeglichen Alters, besonders wenn
sie reist^ eigen ist. War das der Gedanke des Textschreibers, so hat er etwas
sehr vernünftiges gesagt, was zu denken geben kann. Und statt nur zu ver¬
raten, daß sich das junge Mädchen dieses selbstbewußte Auftreten in Amerika
erworben hatte, hätte er noch an alle jungen deutschen Mädchen den guten
Rat hinzufügen sollen, hinzugehen und desgleichen zu thun. Warum? Weil


Grenzboten II 1896 23
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[0185] [Abbildung] Unberechtigte und berechtigte Ausländerei „ Mcum immer wieder die Klage erhöbe» wird, daß wir Deutschen an der unverbesserlichen Sucht litten, unter Aufgebung unsers nationalen Selbstgefühls, unsrer Anschauungen, Sitten und Ge¬ bräuche uns alles Ausländische zu eigen zu machen, aus keinem andern Grunde, als weil wir allem Ausländischen von vornherein ohne Überlegung, ohne Prüfung vor dem Einheimischen den Vorzug geben, so ist das eine schwere Anklage, die nicht nur die Ehre des Einzelnen angreift, gegen den sie in einem bestimmten Falle gerichtet ist, sondern auch die der ganzen Nation, insofern diese „Ausländerei" als eine unsrer Nation im allgemeinen anhaftende Schwäche hingestellt wird. Es liegt aber in dieser Anklage eine Einseitigkeit, die ich einmal beleuchten möchte. Meine Absicht ist dabei keineswegs, der Sucht nach Ausländischem das Wort zu reden oder sie zu beschönigen; denn wie jeder vernünftige Mensch verabscheue auch ich jegliche unbegründete, unberechtigte Ausländerei, die nur geübt wird, um damit zu protzen, wie uns der Verfasser des kleinen Aufsatzes „Unsre Ausländerei" im 13. Hefte der Grenzboten in dem Beispiel des Großindustriellen und Reichs- tagsabgeordneten einen Fall dargestellt und mit Recht gegeißelt hat. Ich möchte nur nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und solche Fälle widriger und tadclswertcr Ausländerei verallgemeinern, als typisch für uns Deutsche Hinstellen und mit Füllen andrer Art, wo die Ausländerei meiner Ansicht nach begründet und berechtigt ist, in einen Topf werfen. Von der berechtigten Ausländerei. die wir Deutschen treiben, ja noch mehr, als es bisher geschieht, treiben müßten, möchte ich sprechen, um den allgemein verbreiteten einseitigen Ansichten über unsre Ausländerei entgegenzutreten, diese selbst in etwas anderm Lichte erscheinen zu lasten und dadurch den unberechtigten Anklagen ein Ende zu machen. Ich knüpfe an den erwähnten Aufsatz an. Hat der Textschreiber der Gartenlaube den Satz: „Das junge Mädchen hat selbst etwas von dem Schliff einer juiigen Amerikanerin angenommen" ohne alle Hintergedanken, d. h. ge¬ dankenlos hingeschrieben, so braucht sich auch ein vernünftiger Mensch keine Gedanken darüber zu machen. Nehmen wir aber zu seinen Gunsten an. er habe sich etwas dabei gedacht, so verstehe ich seine Worte dahin, daß das junge Mädchen etwas von dem selbstbewußten Auftreten angenommen und zur Schau getragen habe, das der Amerikanerin jeglichen Alters, besonders wenn sie reist^ eigen ist. War das der Gedanke des Textschreibers, so hat er etwas sehr vernünftiges gesagt, was zu denken geben kann. Und statt nur zu ver¬ raten, daß sich das junge Mädchen dieses selbstbewußte Auftreten in Amerika erworben hatte, hätte er noch an alle jungen deutschen Mädchen den guten Rat hinzufügen sollen, hinzugehen und desgleichen zu thun. Warum? Weil Grenzboten II 1896 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/185>, abgerufen am 28.04.2024.