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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zum Börsengesetzentwurf

er Bericht der neunten Reichstagskommission, die "zur Vor¬
bereitung des Entwurfs eines Börsengesetzes" eingesetzt war, liegt
vor, und die Entscheidung im Plenum wird in wenigen Tagen
fallen. Mit Spannung wird sie in weiten Kreisen erwartet.
Die Agrarier hoffen von der "Börsenreform" sicherlich weit mehr,
als sie leisten kann, und thun ihr möglichstes, um noch in letzter Stunde
mancherlei Verschärfungen des Entwurfs durchzusetzen. Die an der Börse
arbeitenden Kaufleute haben sich wohl oder übel mit dem Gedanken vertraut
machen müssen, daß abermals ein Gesetz -- das wievielte in den letzten zehn
bis fünfzehn Jahren? -- tief in ihre Verhältnisse eingreifen u"d zunächst
sicherlich manche Unbequemlichkeiten und Schädigungen mit sich bringen wird.
Im großen und ganzen wird unbefangne Betrachtung zu dem Ergebnis führen,
daß der Regierungsentwurf die richtige Mitte hält zwischen den Anforderungen,
die zur Beseitigung unleugbar vorhandner Mißstände an das Gesetz gestellt
werden müssen, und den Bedürfnissen des großen Verkehrs, des Welthandels
unsrer Börsen, dessen Gedeihen mit unsrer wirtschaftlichen Gesamtwohlfahrt
aufs engste verknüpft ist. Von solchen Erwägungen hat sich freilich die Mehrheit
der Neichstagskommissiou in der ersten Lesung nicht leiten lassen. Die damals
beschlossenen Abänderungen des Entwurfs riefen berechtigte Opposition der
deutschen Kaufmannschaft hervor, die ihren Eindruck nicht verfehlt hat. Dank
der entschiednen Haltung der Neichsregierung sind denn auch in der zweiten
Lesung die meisten Verballhvrnuugen des Entwurfs von der Kommission selbst
wieder beseitigt worden. Aber die Gefahr ist damit keineswegs vorüber. Die
Wiederaufnahme mancher Antrüge ist für das Plenum ausdrücklich angekündigt
worden. Wir wollen daher die wichtigsten dieser Vorschlüge auf.ihre Be¬
deutung und Berechtigung prüfen.


Grenzboten II I8S6 25


Zum Börsengesetzentwurf

er Bericht der neunten Reichstagskommission, die „zur Vor¬
bereitung des Entwurfs eines Börsengesetzes" eingesetzt war, liegt
vor, und die Entscheidung im Plenum wird in wenigen Tagen
fallen. Mit Spannung wird sie in weiten Kreisen erwartet.
Die Agrarier hoffen von der „Börsenreform" sicherlich weit mehr,
als sie leisten kann, und thun ihr möglichstes, um noch in letzter Stunde
mancherlei Verschärfungen des Entwurfs durchzusetzen. Die an der Börse
arbeitenden Kaufleute haben sich wohl oder übel mit dem Gedanken vertraut
machen müssen, daß abermals ein Gesetz — das wievielte in den letzten zehn
bis fünfzehn Jahren? — tief in ihre Verhältnisse eingreifen u»d zunächst
sicherlich manche Unbequemlichkeiten und Schädigungen mit sich bringen wird.
Im großen und ganzen wird unbefangne Betrachtung zu dem Ergebnis führen,
daß der Regierungsentwurf die richtige Mitte hält zwischen den Anforderungen,
die zur Beseitigung unleugbar vorhandner Mißstände an das Gesetz gestellt
werden müssen, und den Bedürfnissen des großen Verkehrs, des Welthandels
unsrer Börsen, dessen Gedeihen mit unsrer wirtschaftlichen Gesamtwohlfahrt
aufs engste verknüpft ist. Von solchen Erwägungen hat sich freilich die Mehrheit
der Neichstagskommissiou in der ersten Lesung nicht leiten lassen. Die damals
beschlossenen Abänderungen des Entwurfs riefen berechtigte Opposition der
deutschen Kaufmannschaft hervor, die ihren Eindruck nicht verfehlt hat. Dank
der entschiednen Haltung der Neichsregierung sind denn auch in der zweiten
Lesung die meisten Verballhvrnuugen des Entwurfs von der Kommission selbst
wieder beseitigt worden. Aber die Gefahr ist damit keineswegs vorüber. Die
Wiederaufnahme mancher Antrüge ist für das Plenum ausdrücklich angekündigt
worden. Wir wollen daher die wichtigsten dieser Vorschlüge auf.ihre Be¬
deutung und Berechtigung prüfen.


Grenzboten II I8S6 25
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[0201] [Abbildung] Zum Börsengesetzentwurf er Bericht der neunten Reichstagskommission, die „zur Vor¬ bereitung des Entwurfs eines Börsengesetzes" eingesetzt war, liegt vor, und die Entscheidung im Plenum wird in wenigen Tagen fallen. Mit Spannung wird sie in weiten Kreisen erwartet. Die Agrarier hoffen von der „Börsenreform" sicherlich weit mehr, als sie leisten kann, und thun ihr möglichstes, um noch in letzter Stunde mancherlei Verschärfungen des Entwurfs durchzusetzen. Die an der Börse arbeitenden Kaufleute haben sich wohl oder übel mit dem Gedanken vertraut machen müssen, daß abermals ein Gesetz — das wievielte in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren? — tief in ihre Verhältnisse eingreifen u»d zunächst sicherlich manche Unbequemlichkeiten und Schädigungen mit sich bringen wird. Im großen und ganzen wird unbefangne Betrachtung zu dem Ergebnis führen, daß der Regierungsentwurf die richtige Mitte hält zwischen den Anforderungen, die zur Beseitigung unleugbar vorhandner Mißstände an das Gesetz gestellt werden müssen, und den Bedürfnissen des großen Verkehrs, des Welthandels unsrer Börsen, dessen Gedeihen mit unsrer wirtschaftlichen Gesamtwohlfahrt aufs engste verknüpft ist. Von solchen Erwägungen hat sich freilich die Mehrheit der Neichstagskommissiou in der ersten Lesung nicht leiten lassen. Die damals beschlossenen Abänderungen des Entwurfs riefen berechtigte Opposition der deutschen Kaufmannschaft hervor, die ihren Eindruck nicht verfehlt hat. Dank der entschiednen Haltung der Neichsregierung sind denn auch in der zweiten Lesung die meisten Verballhvrnuugen des Entwurfs von der Kommission selbst wieder beseitigt worden. Aber die Gefahr ist damit keineswegs vorüber. Die Wiederaufnahme mancher Antrüge ist für das Plenum ausdrücklich angekündigt worden. Wir wollen daher die wichtigsten dieser Vorschlüge auf.ihre Be¬ deutung und Berechtigung prüfen. Grenzboten II I8S6 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/201>, abgerufen am 27.04.2024.