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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Litteratur

im Bädeker stehen" (in frühern Auflagen das Vorwort). Sie laufen darauf
hinaus: wer nicht vorurteilsfrei genug ist, Italien und die Italiener zu nehmen,
wie sie sind, und nicht gebildet genug, das Land als das Ergebnis einer mehr
als zweitausendjährigen Kulturarbeit zu begreifen, der bleibe zu Hause, denn er
wird vieles vermissen, was er zu Hause hat, und manches finden, was ihn abstößt.
Aber für jeden Nordländer, der in der humanen Geistesbildung eines Goethe etwas
höheres sieht, als in dem Hetzen und Jagen nach Genuß und Gewinn, für den
ist eine nicht zu spät unternommne und verständig durchgeführte, also nicht zu
eilige Reise nach Italien ein unersetzliches und unentbehrliches Bildungsmittel, und
für solche wird dieses Buch immer ein anregender und geistvoll orientirender Weg¬
weiser bleiben.


Gedanken eines Einsamen. Aphorismen von Zi. Berger. Dresden und Leipzig,
E, Pierson, 1896

Einsame Leute siud in unserm Herdenzeitalter eine Seltenheit, sowohl solche,
die sich noch äußerer Einsammlen freuen können, wie solche, die sich innerlich ver¬
einsamt fühlen. Der Verfasser dieser Aphorismen will wohl in diesem doppelten
Sinne für einsam gelten; das Gefühl innerlicher Vereinsamung ist es aber vor
allem, was seinen Gedankengängen das Gepräge giebt. Im Gegensatz zu der Herden¬
meinung der großen Menge faßt Berger in knappen Sätzen seine Urteile über unser
öffentliches Leben, über sozialen Streit und Militarismus, über moderne Volks¬
bildung, besonders aber über Menschenbildung überhaupt zusammen, wobei er immer
die Notwendigkeit zu einer Erziehung zu reiner, tiefer Menschlichkeit betont.

Wenn auch gewiß recht viel davon schon irgendwo einmal gesagt worden ist,
so kann doch manchen gerade die Form, die Berger einem Gedanken ergiebt, er¬
freuen und ihn zu regem Weiterdenken und zu rechtem Handeln ermuntern. Drum
hier ein paar Proben: Für den Bessern ist der Schmerz der Ritterschlag Gottes.
Er erhebt ihn zum Adelsmenschen. -- Die roten Propheten sagen: Den Knoten,
den Liebesmangel geschürzt, lösen wir mit Haßvermehrung. -- Die Mehrzahl richtet
ihr Thun nach dem, was "die Leute dazu sagen." So wird immer einer der
Aufpasser des andern und verhindert, daß etwas vernünftiges geschieht. -- Jeder
soll seine Meinung über die wichtigsten politischen Fragen an der Wahlurne äußern.
Der Grundsatz wäre schon gut, wenn man nur wüßte, wer eine Meinung besitzt Me!j
und wer nicht. -- Ein gutes Buch sollte der Verständige loben und wieder loben,
denn das Publikum liest zwar schlechte, aber nie gute Bücher ohne Empfehlung. --
Wenn man sieht, trauernd sieht, was die große Menge des Volkes liest: elende
Schundromane und vergiftende Hetzschriften, billige, aber verdummende Zeitungen,
dann möchte mau fast bedauern, daß sie lesen kann. -- Es gilt hente, das Volk
aus der Geisteigenschaft der schlechten Presse, die schlimmer und verderblicher als
die Leibeigenschaft ist, zu befreien.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh, Grunow i" Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

im Bädeker stehen" (in frühern Auflagen das Vorwort). Sie laufen darauf
hinaus: wer nicht vorurteilsfrei genug ist, Italien und die Italiener zu nehmen,
wie sie sind, und nicht gebildet genug, das Land als das Ergebnis einer mehr
als zweitausendjährigen Kulturarbeit zu begreifen, der bleibe zu Hause, denn er
wird vieles vermissen, was er zu Hause hat, und manches finden, was ihn abstößt.
Aber für jeden Nordländer, der in der humanen Geistesbildung eines Goethe etwas
höheres sieht, als in dem Hetzen und Jagen nach Genuß und Gewinn, für den
ist eine nicht zu spät unternommne und verständig durchgeführte, also nicht zu
eilige Reise nach Italien ein unersetzliches und unentbehrliches Bildungsmittel, und
für solche wird dieses Buch immer ein anregender und geistvoll orientirender Weg¬
weiser bleiben.


Gedanken eines Einsamen. Aphorismen von Zi. Berger. Dresden und Leipzig,
E, Pierson, 1896

Einsame Leute siud in unserm Herdenzeitalter eine Seltenheit, sowohl solche,
die sich noch äußerer Einsammlen freuen können, wie solche, die sich innerlich ver¬
einsamt fühlen. Der Verfasser dieser Aphorismen will wohl in diesem doppelten
Sinne für einsam gelten; das Gefühl innerlicher Vereinsamung ist es aber vor
allem, was seinen Gedankengängen das Gepräge giebt. Im Gegensatz zu der Herden¬
meinung der großen Menge faßt Berger in knappen Sätzen seine Urteile über unser
öffentliches Leben, über sozialen Streit und Militarismus, über moderne Volks¬
bildung, besonders aber über Menschenbildung überhaupt zusammen, wobei er immer
die Notwendigkeit zu einer Erziehung zu reiner, tiefer Menschlichkeit betont.

Wenn auch gewiß recht viel davon schon irgendwo einmal gesagt worden ist,
so kann doch manchen gerade die Form, die Berger einem Gedanken ergiebt, er¬
freuen und ihn zu regem Weiterdenken und zu rechtem Handeln ermuntern. Drum
hier ein paar Proben: Für den Bessern ist der Schmerz der Ritterschlag Gottes.
Er erhebt ihn zum Adelsmenschen. — Die roten Propheten sagen: Den Knoten,
den Liebesmangel geschürzt, lösen wir mit Haßvermehrung. — Die Mehrzahl richtet
ihr Thun nach dem, was „die Leute dazu sagen." So wird immer einer der
Aufpasser des andern und verhindert, daß etwas vernünftiges geschieht. — Jeder
soll seine Meinung über die wichtigsten politischen Fragen an der Wahlurne äußern.
Der Grundsatz wäre schon gut, wenn man nur wüßte, wer eine Meinung besitzt Me!j
und wer nicht. — Ein gutes Buch sollte der Verständige loben und wieder loben,
denn das Publikum liest zwar schlechte, aber nie gute Bücher ohne Empfehlung. —
Wenn man sieht, trauernd sieht, was die große Menge des Volkes liest: elende
Schundromane und vergiftende Hetzschriften, billige, aber verdummende Zeitungen,
dann möchte mau fast bedauern, daß sie lesen kann. — Es gilt hente, das Volk
aus der Geisteigenschaft der schlechten Presse, die schlimmer und verderblicher als
die Leibeigenschaft ist, zu befreien.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh, Grunow i» Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0248] Litteratur im Bädeker stehen" (in frühern Auflagen das Vorwort). Sie laufen darauf hinaus: wer nicht vorurteilsfrei genug ist, Italien und die Italiener zu nehmen, wie sie sind, und nicht gebildet genug, das Land als das Ergebnis einer mehr als zweitausendjährigen Kulturarbeit zu begreifen, der bleibe zu Hause, denn er wird vieles vermissen, was er zu Hause hat, und manches finden, was ihn abstößt. Aber für jeden Nordländer, der in der humanen Geistesbildung eines Goethe etwas höheres sieht, als in dem Hetzen und Jagen nach Genuß und Gewinn, für den ist eine nicht zu spät unternommne und verständig durchgeführte, also nicht zu eilige Reise nach Italien ein unersetzliches und unentbehrliches Bildungsmittel, und für solche wird dieses Buch immer ein anregender und geistvoll orientirender Weg¬ weiser bleiben. Gedanken eines Einsamen. Aphorismen von Zi. Berger. Dresden und Leipzig, E, Pierson, 1896 Einsame Leute siud in unserm Herdenzeitalter eine Seltenheit, sowohl solche, die sich noch äußerer Einsammlen freuen können, wie solche, die sich innerlich ver¬ einsamt fühlen. Der Verfasser dieser Aphorismen will wohl in diesem doppelten Sinne für einsam gelten; das Gefühl innerlicher Vereinsamung ist es aber vor allem, was seinen Gedankengängen das Gepräge giebt. Im Gegensatz zu der Herden¬ meinung der großen Menge faßt Berger in knappen Sätzen seine Urteile über unser öffentliches Leben, über sozialen Streit und Militarismus, über moderne Volks¬ bildung, besonders aber über Menschenbildung überhaupt zusammen, wobei er immer die Notwendigkeit zu einer Erziehung zu reiner, tiefer Menschlichkeit betont. Wenn auch gewiß recht viel davon schon irgendwo einmal gesagt worden ist, so kann doch manchen gerade die Form, die Berger einem Gedanken ergiebt, er¬ freuen und ihn zu regem Weiterdenken und zu rechtem Handeln ermuntern. Drum hier ein paar Proben: Für den Bessern ist der Schmerz der Ritterschlag Gottes. Er erhebt ihn zum Adelsmenschen. — Die roten Propheten sagen: Den Knoten, den Liebesmangel geschürzt, lösen wir mit Haßvermehrung. — Die Mehrzahl richtet ihr Thun nach dem, was „die Leute dazu sagen." So wird immer einer der Aufpasser des andern und verhindert, daß etwas vernünftiges geschieht. — Jeder soll seine Meinung über die wichtigsten politischen Fragen an der Wahlurne äußern. Der Grundsatz wäre schon gut, wenn man nur wüßte, wer eine Meinung besitzt Me!j und wer nicht. — Ein gutes Buch sollte der Verständige loben und wieder loben, denn das Publikum liest zwar schlechte, aber nie gute Bücher ohne Empfehlung. — Wenn man sieht, trauernd sieht, was die große Menge des Volkes liest: elende Schundromane und vergiftende Hetzschriften, billige, aber verdummende Zeitungen, dann möchte mau fast bedauern, daß sie lesen kann. — Es gilt hente, das Volk aus der Geisteigenschaft der schlechten Presse, die schlimmer und verderblicher als die Leibeigenschaft ist, zu befreien. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh, Grunow i» Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/248>, abgerufen am 28.04.2024.