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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Ausdehnung des Hochschulunterrichts

Neigungen die Bekanntschaft mit den Zeitungen, die ich schon in meinen
Kinderjahren machte. Das soll heißen: wichtig war, daß ich schon in meinen
Kinderjahren mit den Zeitungen Bekanntschaft machte. Ein solcher Satz liegt
bereits dicht an dem Wege, der zu deu bekannten Späßen Wippchens führt: gebt
mir einen Haufen, damit ich den Feind darüberwerfen kann, und ähnlichem.
Ein ganz unglaubliches Beispiel dieser Art, zu dem ich auch noch kein Seiten¬
stück gefunden habe, begegnete mir vor kurzem in folgenden beiden Sätzen: "Den
Ansprüchen der Gegenwart auf Schutz des wirtschaftlich Schwachen wird in dem
Entwurf in hohem Grade Rechnung getragen. Im Vergleich mit den
bisherigen Rechtszuständen wird auch in dieser Rechnung (!) ein großer Fort¬
schritt gemacht." Buchstäblich so. Das sollte heißen: wird auch dabei (näm¬
lich bei diesem Rechnung tragen) ein großer Fortschritt gemacht. Der das
geschrieben hatte, war ein sehr gescheiter Mensch, ein scharf denkender Jurist.
Und doch hatte er nicht so viel Sprachgefühl, zwischen einer ganz formelhaften
Redensart wie Rechnung tragen*) und Wendungen, wie eine Rechnung
ausstellen, abschreiben, bezahlen, quittiren unterscheiden zu können.




Was kann Deutschland aus der Ausdehnung des
Hochschulunterrichts gewinnen? ')

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Micum wir von Franzosen oder Italienern die angebliche germanische
Gefahr in der bekannten Formel aussprechen hören: England ist
die wirtschaftliche und politische Weltmacht, Deutschland die wissen¬
schaftliche, so lächeln wir über eine Auffassung, die seit 1870
veraltet ist. Nicht das kommt uns seltsam vor, daß man uns
die erste Stelle in der Wissenschaft zuweist, denn die beanspruchen wir ja;
sondern daß man unsre wirtschaftlichen und politischen Leistungen über den
wissenschaftlichen zu unterschätzen scheint. Wie würde es uns aber berühren,
wenn man nun dort einmal sagte: Die Deutschen haben über großen und nicht
unfruchtbaren wirtschaftlichen und politischen Anstrengungen aufgehört, die Ersten
ni der Wissenschaft und in der Schule jedes Grades zu sein? Sie scheinen




*) Sie soll übrigens ziemlich jung sein, ein Erzeugnis des Jahres 1848.
**) Den Lesern, die sich über die sogenannte Ausdehnung des Hochschulunterrichts unter-
echten wollen, empfehlen mir als die beste Darstellung dieser Bewegung die Schrift von
^r. James Russell, Die Volkshochschule (Dxtsnsion ol vnivsrsit^ '1'o^ouinA) in England und
Amerika. Deutsch mit Anmerkungen von Otto Wilhelm Bener, Leipzig, Se. Voigtlnnder, INI-',.
Grenzboten II 1896 52
Ausdehnung des Hochschulunterrichts

Neigungen die Bekanntschaft mit den Zeitungen, die ich schon in meinen
Kinderjahren machte. Das soll heißen: wichtig war, daß ich schon in meinen
Kinderjahren mit den Zeitungen Bekanntschaft machte. Ein solcher Satz liegt
bereits dicht an dem Wege, der zu deu bekannten Späßen Wippchens führt: gebt
mir einen Haufen, damit ich den Feind darüberwerfen kann, und ähnlichem.
Ein ganz unglaubliches Beispiel dieser Art, zu dem ich auch noch kein Seiten¬
stück gefunden habe, begegnete mir vor kurzem in folgenden beiden Sätzen: „Den
Ansprüchen der Gegenwart auf Schutz des wirtschaftlich Schwachen wird in dem
Entwurf in hohem Grade Rechnung getragen. Im Vergleich mit den
bisherigen Rechtszuständen wird auch in dieser Rechnung (!) ein großer Fort¬
schritt gemacht." Buchstäblich so. Das sollte heißen: wird auch dabei (näm¬
lich bei diesem Rechnung tragen) ein großer Fortschritt gemacht. Der das
geschrieben hatte, war ein sehr gescheiter Mensch, ein scharf denkender Jurist.
Und doch hatte er nicht so viel Sprachgefühl, zwischen einer ganz formelhaften
Redensart wie Rechnung tragen*) und Wendungen, wie eine Rechnung
ausstellen, abschreiben, bezahlen, quittiren unterscheiden zu können.




Was kann Deutschland aus der Ausdehnung des
Hochschulunterrichts gewinnen? ')

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Micum wir von Franzosen oder Italienern die angebliche germanische
Gefahr in der bekannten Formel aussprechen hören: England ist
die wirtschaftliche und politische Weltmacht, Deutschland die wissen¬
schaftliche, so lächeln wir über eine Auffassung, die seit 1870
veraltet ist. Nicht das kommt uns seltsam vor, daß man uns
die erste Stelle in der Wissenschaft zuweist, denn die beanspruchen wir ja;
sondern daß man unsre wirtschaftlichen und politischen Leistungen über den
wissenschaftlichen zu unterschätzen scheint. Wie würde es uns aber berühren,
wenn man nun dort einmal sagte: Die Deutschen haben über großen und nicht
unfruchtbaren wirtschaftlichen und politischen Anstrengungen aufgehört, die Ersten
ni der Wissenschaft und in der Schule jedes Grades zu sein? Sie scheinen




*) Sie soll übrigens ziemlich jung sein, ein Erzeugnis des Jahres 1848.
**) Den Lesern, die sich über die sogenannte Ausdehnung des Hochschulunterrichts unter-
echten wollen, empfehlen mir als die beste Darstellung dieser Bewegung die Schrift von
^r. James Russell, Die Volkshochschule (Dxtsnsion ol vnivsrsit^ '1'o^ouinA) in England und
Amerika. Deutsch mit Anmerkungen von Otto Wilhelm Bener, Leipzig, Se. Voigtlnnder, INI-',.
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[0417] Ausdehnung des Hochschulunterrichts Neigungen die Bekanntschaft mit den Zeitungen, die ich schon in meinen Kinderjahren machte. Das soll heißen: wichtig war, daß ich schon in meinen Kinderjahren mit den Zeitungen Bekanntschaft machte. Ein solcher Satz liegt bereits dicht an dem Wege, der zu deu bekannten Späßen Wippchens führt: gebt mir einen Haufen, damit ich den Feind darüberwerfen kann, und ähnlichem. Ein ganz unglaubliches Beispiel dieser Art, zu dem ich auch noch kein Seiten¬ stück gefunden habe, begegnete mir vor kurzem in folgenden beiden Sätzen: „Den Ansprüchen der Gegenwart auf Schutz des wirtschaftlich Schwachen wird in dem Entwurf in hohem Grade Rechnung getragen. Im Vergleich mit den bisherigen Rechtszuständen wird auch in dieser Rechnung (!) ein großer Fort¬ schritt gemacht." Buchstäblich so. Das sollte heißen: wird auch dabei (näm¬ lich bei diesem Rechnung tragen) ein großer Fortschritt gemacht. Der das geschrieben hatte, war ein sehr gescheiter Mensch, ein scharf denkender Jurist. Und doch hatte er nicht so viel Sprachgefühl, zwischen einer ganz formelhaften Redensart wie Rechnung tragen*) und Wendungen, wie eine Rechnung ausstellen, abschreiben, bezahlen, quittiren unterscheiden zu können. Was kann Deutschland aus der Ausdehnung des Hochschulunterrichts gewinnen? ') kMlv>MWL»>«^> ^^i°W» Micum wir von Franzosen oder Italienern die angebliche germanische Gefahr in der bekannten Formel aussprechen hören: England ist die wirtschaftliche und politische Weltmacht, Deutschland die wissen¬ schaftliche, so lächeln wir über eine Auffassung, die seit 1870 veraltet ist. Nicht das kommt uns seltsam vor, daß man uns die erste Stelle in der Wissenschaft zuweist, denn die beanspruchen wir ja; sondern daß man unsre wirtschaftlichen und politischen Leistungen über den wissenschaftlichen zu unterschätzen scheint. Wie würde es uns aber berühren, wenn man nun dort einmal sagte: Die Deutschen haben über großen und nicht unfruchtbaren wirtschaftlichen und politischen Anstrengungen aufgehört, die Ersten ni der Wissenschaft und in der Schule jedes Grades zu sein? Sie scheinen *) Sie soll übrigens ziemlich jung sein, ein Erzeugnis des Jahres 1848. **) Den Lesern, die sich über die sogenannte Ausdehnung des Hochschulunterrichts unter- echten wollen, empfehlen mir als die beste Darstellung dieser Bewegung die Schrift von ^r. James Russell, Die Volkshochschule (Dxtsnsion ol vnivsrsit^ '1'o^ouinA) in England und Amerika. Deutsch mit Anmerkungen von Otto Wilhelm Bener, Leipzig, Se. Voigtlnnder, INI-',. Grenzboten II 1896 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/417>, abgerufen am 27.04.2024.