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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der zerstreute Storch
Lin Aprilmärchen

ille, zu Tisch! sagte die Störchin zu ihrem Manne.

Aber der Storch schien diese Aufforderung gar nicht gehört zu
bilden, denn er war in ein großes, altes Lotosblättermanuskript ver¬
tieft, in das er mit sehr gelehrter Miene hineinblickte.

Hast du uicht gehört, Alterchen? Bitte, zum Mittagessen! wieder¬
holte seine Frau etwas lauter und energischer. Dann trat sie an
ihn heran, streichelte ihm zärtlich den roten Schnaliel mit ihrem weichen Flügel
und sagte: Nachher mußt du dir wirklich etwas Ruhe gönnen und ein Mittags¬
schläfchen machen. Den ganzen Morgen hast du nachgedacht, das strengt doch um!
Du siehst ganz angegriffen aus!

Sie sah ihn mit liebevoller Besorgnis von der Seite an und setzte ihm dann
eine delikate Froschkarbonade vor und einen in Sumpfwnsser marinirter Aal, sein
Leibgericht, denn sie war schlau wie alle Frauen und wußte, daß die Männer
stets besonders guter Laune werden, wenn sie gut zu essen bekommen.

Und wirklich, sie hatte sich auch nicht getäuscht, denn nachdem der Storch
gegessen hatte, klapperte er behaglich, zog ein Bein in die Hohe und machte einen
kurzen Hals. Da wußte seine Frau, daß er auf einem guten Fuß mit ihr stand,
und daß sie es wohl wagen konnte, zu reden, wie ihr der Schnabel gewachsen war.

Liebes Männchen, soll ich dir noch den Schlafrock und die Pantoffeln bringen,
bis du den Frack anziehst? fragte sie heuchlerisch.

Ich, Frack? Um Gottes willen! Wieso Frack? rief der Storch, riß die Augen
vor Schreck weit auf und schüttelte sich, wie die meisten Männer, wenn sie an
dieses Kleidungsstück nur denken.

Aber lieber Mann, sagte Frau Storch mit überlegner Sanftmut, mau könnte
wirklich glaube", du wärest ein Philister geworden. Du scheinst über dem Stu-
diren ganz deinen eigentlichen Beruf zu vergessen! Wozu hast du denn dein gutes
Renommee, wenn du es nicht ausnutzen willst? Wer etwas bedeuten will, muß
unter Menschen gehen und sich fortwährend bemerkbar machen. Klappern gehört
nun einmal zum Handwerk.

Na Alte, daß du wieder etwas im Schilde führtest, aHute mir schon längst
bei deiner unheimlichen Liebenswürdigkeit, sagte der Storch mit gutmütigen Spott.
Auch kann ich mir schon denken, "vorauf du mich wieder Hetzen willst. Daß euch
Weiber doch der Ehrgeiz nicht fchlnfen läßt! Aber komm nur zur Sache und zieh
deinen Frosch raus, ich meine, drücke dich deutlicher ans.

Wenn du es denn durchaus haben willst, sagte die Störchin, so will ich mich
ordentlich aussprechen. Wir sind nun schon seit Ende März hier, und du warst
noch nicht ein einzigesmal am Zikvnienteich, ja du scheinst das junge Ehepaar in
deinem Revier noch gar nicht bemerkt zu haben, dieses junge, hübsche, allerliebste
Ehepaar, dem du doch jetzt durchaus etwas bringen mußt.




Der zerstreute Storch
Lin Aprilmärchen

ille, zu Tisch! sagte die Störchin zu ihrem Manne.

Aber der Storch schien diese Aufforderung gar nicht gehört zu
bilden, denn er war in ein großes, altes Lotosblättermanuskript ver¬
tieft, in das er mit sehr gelehrter Miene hineinblickte.

Hast du uicht gehört, Alterchen? Bitte, zum Mittagessen! wieder¬
holte seine Frau etwas lauter und energischer. Dann trat sie an
ihn heran, streichelte ihm zärtlich den roten Schnaliel mit ihrem weichen Flügel
und sagte: Nachher mußt du dir wirklich etwas Ruhe gönnen und ein Mittags¬
schläfchen machen. Den ganzen Morgen hast du nachgedacht, das strengt doch um!
Du siehst ganz angegriffen aus!

Sie sah ihn mit liebevoller Besorgnis von der Seite an und setzte ihm dann
eine delikate Froschkarbonade vor und einen in Sumpfwnsser marinirter Aal, sein
Leibgericht, denn sie war schlau wie alle Frauen und wußte, daß die Männer
stets besonders guter Laune werden, wenn sie gut zu essen bekommen.

Und wirklich, sie hatte sich auch nicht getäuscht, denn nachdem der Storch
gegessen hatte, klapperte er behaglich, zog ein Bein in die Hohe und machte einen
kurzen Hals. Da wußte seine Frau, daß er auf einem guten Fuß mit ihr stand,
und daß sie es wohl wagen konnte, zu reden, wie ihr der Schnabel gewachsen war.

Liebes Männchen, soll ich dir noch den Schlafrock und die Pantoffeln bringen,
bis du den Frack anziehst? fragte sie heuchlerisch.

Ich, Frack? Um Gottes willen! Wieso Frack? rief der Storch, riß die Augen
vor Schreck weit auf und schüttelte sich, wie die meisten Männer, wenn sie an
dieses Kleidungsstück nur denken.

Aber lieber Mann, sagte Frau Storch mit überlegner Sanftmut, mau könnte
wirklich glaube», du wärest ein Philister geworden. Du scheinst über dem Stu-
diren ganz deinen eigentlichen Beruf zu vergessen! Wozu hast du denn dein gutes
Renommee, wenn du es nicht ausnutzen willst? Wer etwas bedeuten will, muß
unter Menschen gehen und sich fortwährend bemerkbar machen. Klappern gehört
nun einmal zum Handwerk.

Na Alte, daß du wieder etwas im Schilde führtest, aHute mir schon längst
bei deiner unheimlichen Liebenswürdigkeit, sagte der Storch mit gutmütigen Spott.
Auch kann ich mir schon denken, »vorauf du mich wieder Hetzen willst. Daß euch
Weiber doch der Ehrgeiz nicht fchlnfen läßt! Aber komm nur zur Sache und zieh
deinen Frosch raus, ich meine, drücke dich deutlicher ans.

Wenn du es denn durchaus haben willst, sagte die Störchin, so will ich mich
ordentlich aussprechen. Wir sind nun schon seit Ende März hier, und du warst
noch nicht ein einzigesmal am Zikvnienteich, ja du scheinst das junge Ehepaar in
deinem Revier noch gar nicht bemerkt zu haben, dieses junge, hübsche, allerliebste
Ehepaar, dem du doch jetzt durchaus etwas bringen mußt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/43>, abgerufen am 27.04.2024.