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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Unterm Schlehdorn

Er trifft sie nach Jahresfrist in eben jenem Försterhause. Das schöne junge
Mädchen aber, das ihm einst den Weg wies, ist seines toten Freundes Schwester,
und Affe selbst ist schon Offizier geworden. Noch einmal kommt er wieder
und sagt beim Abschied: ,,Nanna, leben Sie wohl, bis wir uns wiedersehen."
Dazwischen liegen Schlachten, und Zeitungen kommen und bringen neue Nach¬
richt von seinem wachsenden Ruhme in das stille Försterhaus. Und je höher
Affe steigt, desto mehr schwindet Nanna die Hoffnung, ob er wohl kommen
wird. Endlich kommt er als Generalmajor angeritten, kurz vor dem Einzuge
der Truppen in Kopenhagen, wo wir schon die Braut im Hause seiner Eltern
gesehen haben. Was sich aber die zwei vorher sagten im Garten des Förster¬
hauses, das ist sehr schön ausgedrückt, eignet sich aber besser dazu, von dem
Leser selbst gelesen, als im kurzen Auszuge hier wiedergegeben zu werden.

So findet denn die dänische Charakternovelle einen für alle Beteiligten
befriedigenden, wohlthuenden Abschluß. Das geistvolle Buch ist auch gut
übersetzt, und daß das in der deutschen Kanfmannsstadt geschehen ist, wo
übrigens der Spiritus wohl häufiger in seinem Originalzustande angetroffen
werden möchte, als in seiner deutschen Übersetzung, ist nebenbei auch noch
recht hübsch und erfreulich.




Unterm Schlehdorn

or mir auf dem Schreibtisch, in einer Vase mit Wasser, steht ein
blühender Schlehdornzweig und streut mir sacht ein weißes Blättchen
nach dem andern aufs Papier. Ich trage mir gern Blumen aus
der freien Natur ins Haus; denn wenn man sich aus der Gärtnerei
einen Fliederstrauß oder etwas derartiges holen läßt, weiß man nie,
ob die Dinger nicht etwa veredelt, gekreuzt, getrieben, hochgezüchtet
oder auf eine andre Weise Verbastert sind. Man thut es ja heutzutage nicht
anders: selbst die Petersilie in der Suppe muß von einer aufs höchste verfeinerten
Kulturrasse stammen.

Er ist mir ans Herz gewachsen dieser wehrhafte Strauch, der seine keusche
Blütenpracht mit tausend Speeren schirmt und draußen in vergessenen Ackerwinkeln,
an vertretenen Wegrändern sich mit zäher Kraft an die Scholle klammert und um
sein schwer bedrohtes Dasein ringt. Eine gute halbe Stunde vor der Stadt haben
die Feldmesser seinerzeit bei der Grundstückszusammenlegung, als sie alle Hecken
und wildwachsenden Sträucher ausrotteten, einen Feldrain stehen lassen, vermutlich
lveil sie nichts damit anzufangen mußten. Es ist der Abhang einer alten diluvialen
Flußterrasse, und er ist so stark geneigt, daß es zu umständlich war, ihn einzu¬
ebnen. So zieht er sich nun in einer Länge von etlichen hundert Metern hin,
bis er, niedriger und niedriger werdend, sich zwischen üppigen Saatfeldern verliert.


Unterm Schlehdorn

Er trifft sie nach Jahresfrist in eben jenem Försterhause. Das schöne junge
Mädchen aber, das ihm einst den Weg wies, ist seines toten Freundes Schwester,
und Affe selbst ist schon Offizier geworden. Noch einmal kommt er wieder
und sagt beim Abschied: ,,Nanna, leben Sie wohl, bis wir uns wiedersehen."
Dazwischen liegen Schlachten, und Zeitungen kommen und bringen neue Nach¬
richt von seinem wachsenden Ruhme in das stille Försterhaus. Und je höher
Affe steigt, desto mehr schwindet Nanna die Hoffnung, ob er wohl kommen
wird. Endlich kommt er als Generalmajor angeritten, kurz vor dem Einzuge
der Truppen in Kopenhagen, wo wir schon die Braut im Hause seiner Eltern
gesehen haben. Was sich aber die zwei vorher sagten im Garten des Förster¬
hauses, das ist sehr schön ausgedrückt, eignet sich aber besser dazu, von dem
Leser selbst gelesen, als im kurzen Auszuge hier wiedergegeben zu werden.

So findet denn die dänische Charakternovelle einen für alle Beteiligten
befriedigenden, wohlthuenden Abschluß. Das geistvolle Buch ist auch gut
übersetzt, und daß das in der deutschen Kanfmannsstadt geschehen ist, wo
übrigens der Spiritus wohl häufiger in seinem Originalzustande angetroffen
werden möchte, als in seiner deutschen Übersetzung, ist nebenbei auch noch
recht hübsch und erfreulich.




Unterm Schlehdorn

or mir auf dem Schreibtisch, in einer Vase mit Wasser, steht ein
blühender Schlehdornzweig und streut mir sacht ein weißes Blättchen
nach dem andern aufs Papier. Ich trage mir gern Blumen aus
der freien Natur ins Haus; denn wenn man sich aus der Gärtnerei
einen Fliederstrauß oder etwas derartiges holen läßt, weiß man nie,
ob die Dinger nicht etwa veredelt, gekreuzt, getrieben, hochgezüchtet
oder auf eine andre Weise Verbastert sind. Man thut es ja heutzutage nicht
anders: selbst die Petersilie in der Suppe muß von einer aufs höchste verfeinerten
Kulturrasse stammen.

Er ist mir ans Herz gewachsen dieser wehrhafte Strauch, der seine keusche
Blütenpracht mit tausend Speeren schirmt und draußen in vergessenen Ackerwinkeln,
an vertretenen Wegrändern sich mit zäher Kraft an die Scholle klammert und um
sein schwer bedrohtes Dasein ringt. Eine gute halbe Stunde vor der Stadt haben
die Feldmesser seinerzeit bei der Grundstückszusammenlegung, als sie alle Hecken
und wildwachsenden Sträucher ausrotteten, einen Feldrain stehen lassen, vermutlich
lveil sie nichts damit anzufangen mußten. Es ist der Abhang einer alten diluvialen
Flußterrasse, und er ist so stark geneigt, daß es zu umständlich war, ihn einzu¬
ebnen. So zieht er sich nun in einer Länge von etlichen hundert Metern hin,
bis er, niedriger und niedriger werdend, sich zwischen üppigen Saatfeldern verliert.


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[0526] Unterm Schlehdorn Er trifft sie nach Jahresfrist in eben jenem Försterhause. Das schöne junge Mädchen aber, das ihm einst den Weg wies, ist seines toten Freundes Schwester, und Affe selbst ist schon Offizier geworden. Noch einmal kommt er wieder und sagt beim Abschied: ,,Nanna, leben Sie wohl, bis wir uns wiedersehen." Dazwischen liegen Schlachten, und Zeitungen kommen und bringen neue Nach¬ richt von seinem wachsenden Ruhme in das stille Försterhaus. Und je höher Affe steigt, desto mehr schwindet Nanna die Hoffnung, ob er wohl kommen wird. Endlich kommt er als Generalmajor angeritten, kurz vor dem Einzuge der Truppen in Kopenhagen, wo wir schon die Braut im Hause seiner Eltern gesehen haben. Was sich aber die zwei vorher sagten im Garten des Förster¬ hauses, das ist sehr schön ausgedrückt, eignet sich aber besser dazu, von dem Leser selbst gelesen, als im kurzen Auszuge hier wiedergegeben zu werden. So findet denn die dänische Charakternovelle einen für alle Beteiligten befriedigenden, wohlthuenden Abschluß. Das geistvolle Buch ist auch gut übersetzt, und daß das in der deutschen Kanfmannsstadt geschehen ist, wo übrigens der Spiritus wohl häufiger in seinem Originalzustande angetroffen werden möchte, als in seiner deutschen Übersetzung, ist nebenbei auch noch recht hübsch und erfreulich. Unterm Schlehdorn or mir auf dem Schreibtisch, in einer Vase mit Wasser, steht ein blühender Schlehdornzweig und streut mir sacht ein weißes Blättchen nach dem andern aufs Papier. Ich trage mir gern Blumen aus der freien Natur ins Haus; denn wenn man sich aus der Gärtnerei einen Fliederstrauß oder etwas derartiges holen läßt, weiß man nie, ob die Dinger nicht etwa veredelt, gekreuzt, getrieben, hochgezüchtet oder auf eine andre Weise Verbastert sind. Man thut es ja heutzutage nicht anders: selbst die Petersilie in der Suppe muß von einer aufs höchste verfeinerten Kulturrasse stammen. Er ist mir ans Herz gewachsen dieser wehrhafte Strauch, der seine keusche Blütenpracht mit tausend Speeren schirmt und draußen in vergessenen Ackerwinkeln, an vertretenen Wegrändern sich mit zäher Kraft an die Scholle klammert und um sein schwer bedrohtes Dasein ringt. Eine gute halbe Stunde vor der Stadt haben die Feldmesser seinerzeit bei der Grundstückszusammenlegung, als sie alle Hecken und wildwachsenden Sträucher ausrotteten, einen Feldrain stehen lassen, vermutlich lveil sie nichts damit anzufangen mußten. Es ist der Abhang einer alten diluvialen Flußterrasse, und er ist so stark geneigt, daß es zu umständlich war, ihn einzu¬ ebnen. So zieht er sich nun in einer Länge von etlichen hundert Metern hin, bis er, niedriger und niedriger werdend, sich zwischen üppigen Saatfeldern verliert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/526>, abgerufen am 27.04.2024.