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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Noch einmal das deutsche Reich und die Kurie

le Grenzboten haben im 21. Hefte einen Aufsatz über das Ver¬
hältnis des deutschen Reichs zur Kurie gebracht, worin diese
wichtige Frage mit einer ganz hervorragenden Kenntnis des
Gegenstands behandelt wird. Gleich im Anfang spricht der Ver¬
fasser einen Satz aus, womit er für jeden, der über die Sache
nachgedacht hat, den Nagel auf den Kopf trifft: "Der Mangel an Vertraut¬
heit mit den Überlieferungen und mit der Sprache der Kurie hat zur Folge,
daß die öffentliche Meinung ^nämlich bei uns in Deutschland; in Frankreich
und vollends in Italien keineswegs!^ stets schwankt zwischen Überschätzung und
Unterschätzung der Kundgebungen, der Absichten und der Machtmittel Roms."
In diesem Nichtkennen und Nichtwissen hat ja, wie jeder jetzt leicht sagen kann,
das traurige Mißlingen unsers ganzen Kulturkampfs seinen Grund gehabt.

Zu den Kennern zu gehören, oder gar damals, als die Frage noch im
Fluß war, schon gehört zu haben, will ich mich nun nicht vermessen, wenn
ich heute zu jenem Aufsatze einige Nachträge zu geben versuche. Mein Wissen
beruht hier vielmehr auf dem, was mich kluge Männer zu verschiednen Zeiten
gelehrt haben. Man wolle diese Bemerkungen nur wie Illustrationen ansehen,
die ein Sonntagspolitiker gewissermaßen aus der Mappe seiner Erinnerungen
zu einem bereits feststehenden Texte giebt. Solche kleine Bilder können der
mit vollständiger Sachbeherrschung geschriebnen Darstellung nichts wesentliches
mehr hinzufügen. Vielleicht wird aber manchem Leser eine einfache Erzählung
ganz konkreter Züge noch deutlicher zum Bewußtsein bringen, in welchem
Maße der Verfasser jener Darstellung Recht hat. Er sagt, indem er zwei
Wendepunkte in der Geschichte dieser Frage scharf auseinanderhält: "Man hat
in Deutschland die Absichten der Kurie überschätzt, als der neue Glaubenssatz
von der Unfehlbarkeit des Papstes vorbereitet, beraten, beschlossen und ver-


Grenzboten II 1396 <;?


Noch einmal das deutsche Reich und die Kurie

le Grenzboten haben im 21. Hefte einen Aufsatz über das Ver¬
hältnis des deutschen Reichs zur Kurie gebracht, worin diese
wichtige Frage mit einer ganz hervorragenden Kenntnis des
Gegenstands behandelt wird. Gleich im Anfang spricht der Ver¬
fasser einen Satz aus, womit er für jeden, der über die Sache
nachgedacht hat, den Nagel auf den Kopf trifft: „Der Mangel an Vertraut¬
heit mit den Überlieferungen und mit der Sprache der Kurie hat zur Folge,
daß die öffentliche Meinung ^nämlich bei uns in Deutschland; in Frankreich
und vollends in Italien keineswegs!^ stets schwankt zwischen Überschätzung und
Unterschätzung der Kundgebungen, der Absichten und der Machtmittel Roms."
In diesem Nichtkennen und Nichtwissen hat ja, wie jeder jetzt leicht sagen kann,
das traurige Mißlingen unsers ganzen Kulturkampfs seinen Grund gehabt.

Zu den Kennern zu gehören, oder gar damals, als die Frage noch im
Fluß war, schon gehört zu haben, will ich mich nun nicht vermessen, wenn
ich heute zu jenem Aufsatze einige Nachträge zu geben versuche. Mein Wissen
beruht hier vielmehr auf dem, was mich kluge Männer zu verschiednen Zeiten
gelehrt haben. Man wolle diese Bemerkungen nur wie Illustrationen ansehen,
die ein Sonntagspolitiker gewissermaßen aus der Mappe seiner Erinnerungen
zu einem bereits feststehenden Texte giebt. Solche kleine Bilder können der
mit vollständiger Sachbeherrschung geschriebnen Darstellung nichts wesentliches
mehr hinzufügen. Vielleicht wird aber manchem Leser eine einfache Erzählung
ganz konkreter Züge noch deutlicher zum Bewußtsein bringen, in welchem
Maße der Verfasser jener Darstellung Recht hat. Er sagt, indem er zwei
Wendepunkte in der Geschichte dieser Frage scharf auseinanderhält: „Man hat
in Deutschland die Absichten der Kurie überschätzt, als der neue Glaubenssatz
von der Unfehlbarkeit des Papstes vorbereitet, beraten, beschlossen und ver-


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[0537] [Abbildung] Noch einmal das deutsche Reich und die Kurie le Grenzboten haben im 21. Hefte einen Aufsatz über das Ver¬ hältnis des deutschen Reichs zur Kurie gebracht, worin diese wichtige Frage mit einer ganz hervorragenden Kenntnis des Gegenstands behandelt wird. Gleich im Anfang spricht der Ver¬ fasser einen Satz aus, womit er für jeden, der über die Sache nachgedacht hat, den Nagel auf den Kopf trifft: „Der Mangel an Vertraut¬ heit mit den Überlieferungen und mit der Sprache der Kurie hat zur Folge, daß die öffentliche Meinung ^nämlich bei uns in Deutschland; in Frankreich und vollends in Italien keineswegs!^ stets schwankt zwischen Überschätzung und Unterschätzung der Kundgebungen, der Absichten und der Machtmittel Roms." In diesem Nichtkennen und Nichtwissen hat ja, wie jeder jetzt leicht sagen kann, das traurige Mißlingen unsers ganzen Kulturkampfs seinen Grund gehabt. Zu den Kennern zu gehören, oder gar damals, als die Frage noch im Fluß war, schon gehört zu haben, will ich mich nun nicht vermessen, wenn ich heute zu jenem Aufsatze einige Nachträge zu geben versuche. Mein Wissen beruht hier vielmehr auf dem, was mich kluge Männer zu verschiednen Zeiten gelehrt haben. Man wolle diese Bemerkungen nur wie Illustrationen ansehen, die ein Sonntagspolitiker gewissermaßen aus der Mappe seiner Erinnerungen zu einem bereits feststehenden Texte giebt. Solche kleine Bilder können der mit vollständiger Sachbeherrschung geschriebnen Darstellung nichts wesentliches mehr hinzufügen. Vielleicht wird aber manchem Leser eine einfache Erzählung ganz konkreter Züge noch deutlicher zum Bewußtsein bringen, in welchem Maße der Verfasser jener Darstellung Recht hat. Er sagt, indem er zwei Wendepunkte in der Geschichte dieser Frage scharf auseinanderhält: „Man hat in Deutschland die Absichten der Kurie überschätzt, als der neue Glaubenssatz von der Unfehlbarkeit des Papstes vorbereitet, beraten, beschlossen und ver- Grenzboten II 1396 <;?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/537>, abgerufen am 27.04.2024.