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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Fürstenwürde und Partikularismus

MG"le könnte es in Deutschland jemals vergessen werden, daß das
Bestreben der kleinen deutschen Fürsten, möglichst selbständig zu
sein, die Schwäche des alten deutschen Reichs verschuldet hat,
daß noch in der Neuzeit die Svnderrechte der Fürsten und ihre
Abneigung, sie preiszugeben, das Haupthemmnis der deutschen
Einigung waren? Nicht der gute Wille der Fürsten, sondern der Zwang der
Verhältnisse hat die Einschränkung ihrer Rechte bewirkt, die nötig war, wenn
das deutsche Reich einig und stark werden sollte.

Seitdem ist öfter mit Genugthuung hervorgehoben worden, daß die deut¬
scheu Fürsten die neugeschaffnem Verhältnisse freudig anerkennen. Aber ein
Vorfall, wie der jüngst so viel besprochne, zeigt, daß das doch nicht allgemein
zutrifft. Und darauf haben auch schon manche andre Erscheinungen schließen
lassen. Auch genügt es zur Beurteilung dieses Verhältnisses und der etwa
darin liegenden Gefahr nicht, daß man die Gesinnung der gegenwärtig herr¬
schenden Fürsten und vielleicht noch der Thronerben prüft. Es sollte viel¬
mehr erwogen werden, was in Zukunft eintreten könnte, welche Möglichkeit,
eine Svnderpolitik zu treiben, noch für einen ehrgeizigen Fürsten gelassen ist,
welche Stütze er vermutlich an der Stimmung der Bewohner seines Landes
finden würde, wenn die heute so deutlich hervortretende Mißstimmung weiter
zunimmt und in den Verhältnissen Nahrung findet.

Es könnte auch eingewandt werden, daß die Hauptgefahr nicht in der
Mißstimmung und dem verletzten Ehrgefühl der Fürsten zu suchen sei, sondern
in der Volksstimmung, in der alten und heute wieder auflebenden Stammes¬
feindschaft zwischen Nord und Süd. Es ist richtig, daß der Partikularismus
eine Hauptstütze findet in der Gesinnung, die man als spießbürgerlich zu be¬
zeichnen pflegt, und die in den Kreisen des kleinern Mittelstandes in der Stadt


Grenz boten II 1896 7Z


Fürstenwürde und Partikularismus

MG«le könnte es in Deutschland jemals vergessen werden, daß das
Bestreben der kleinen deutschen Fürsten, möglichst selbständig zu
sein, die Schwäche des alten deutschen Reichs verschuldet hat,
daß noch in der Neuzeit die Svnderrechte der Fürsten und ihre
Abneigung, sie preiszugeben, das Haupthemmnis der deutschen
Einigung waren? Nicht der gute Wille der Fürsten, sondern der Zwang der
Verhältnisse hat die Einschränkung ihrer Rechte bewirkt, die nötig war, wenn
das deutsche Reich einig und stark werden sollte.

Seitdem ist öfter mit Genugthuung hervorgehoben worden, daß die deut¬
scheu Fürsten die neugeschaffnem Verhältnisse freudig anerkennen. Aber ein
Vorfall, wie der jüngst so viel besprochne, zeigt, daß das doch nicht allgemein
zutrifft. Und darauf haben auch schon manche andre Erscheinungen schließen
lassen. Auch genügt es zur Beurteilung dieses Verhältnisses und der etwa
darin liegenden Gefahr nicht, daß man die Gesinnung der gegenwärtig herr¬
schenden Fürsten und vielleicht noch der Thronerben prüft. Es sollte viel¬
mehr erwogen werden, was in Zukunft eintreten könnte, welche Möglichkeit,
eine Svnderpolitik zu treiben, noch für einen ehrgeizigen Fürsten gelassen ist,
welche Stütze er vermutlich an der Stimmung der Bewohner seines Landes
finden würde, wenn die heute so deutlich hervortretende Mißstimmung weiter
zunimmt und in den Verhältnissen Nahrung findet.

Es könnte auch eingewandt werden, daß die Hauptgefahr nicht in der
Mißstimmung und dem verletzten Ehrgefühl der Fürsten zu suchen sei, sondern
in der Volksstimmung, in der alten und heute wieder auflebenden Stammes¬
feindschaft zwischen Nord und Süd. Es ist richtig, daß der Partikularismus
eine Hauptstütze findet in der Gesinnung, die man als spießbürgerlich zu be¬
zeichnen pflegt, und die in den Kreisen des kleinern Mittelstandes in der Stadt


Grenz boten II 1896 7Z
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[0585] [Abbildung] Fürstenwürde und Partikularismus MG«le könnte es in Deutschland jemals vergessen werden, daß das Bestreben der kleinen deutschen Fürsten, möglichst selbständig zu sein, die Schwäche des alten deutschen Reichs verschuldet hat, daß noch in der Neuzeit die Svnderrechte der Fürsten und ihre Abneigung, sie preiszugeben, das Haupthemmnis der deutschen Einigung waren? Nicht der gute Wille der Fürsten, sondern der Zwang der Verhältnisse hat die Einschränkung ihrer Rechte bewirkt, die nötig war, wenn das deutsche Reich einig und stark werden sollte. Seitdem ist öfter mit Genugthuung hervorgehoben worden, daß die deut¬ scheu Fürsten die neugeschaffnem Verhältnisse freudig anerkennen. Aber ein Vorfall, wie der jüngst so viel besprochne, zeigt, daß das doch nicht allgemein zutrifft. Und darauf haben auch schon manche andre Erscheinungen schließen lassen. Auch genügt es zur Beurteilung dieses Verhältnisses und der etwa darin liegenden Gefahr nicht, daß man die Gesinnung der gegenwärtig herr¬ schenden Fürsten und vielleicht noch der Thronerben prüft. Es sollte viel¬ mehr erwogen werden, was in Zukunft eintreten könnte, welche Möglichkeit, eine Svnderpolitik zu treiben, noch für einen ehrgeizigen Fürsten gelassen ist, welche Stütze er vermutlich an der Stimmung der Bewohner seines Landes finden würde, wenn die heute so deutlich hervortretende Mißstimmung weiter zunimmt und in den Verhältnissen Nahrung findet. Es könnte auch eingewandt werden, daß die Hauptgefahr nicht in der Mißstimmung und dem verletzten Ehrgefühl der Fürsten zu suchen sei, sondern in der Volksstimmung, in der alten und heute wieder auflebenden Stammes¬ feindschaft zwischen Nord und Süd. Es ist richtig, daß der Partikularismus eine Hauptstütze findet in der Gesinnung, die man als spießbürgerlich zu be¬ zeichnen pflegt, und die in den Kreisen des kleinern Mittelstandes in der Stadt Grenz boten II 1896 7Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/585>, abgerufen am 27.04.2024.