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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Lin Wort zum deutsch-dänischen Streit
Nachschrift.

Wem? das, was die Gesetzgebung beschließt, immer un¬
bedingt richtig wäre, so könnte man sich dabei beruhigen, daß in Nordschleswig
alles in schönster Ordnung sei. Im Abgeordnetenhaus wurden neulich die
Dänen, die eine Änderung der Sprachverfügung von 1888 beantragt hatten,
mit ihrer Forderung und ihren Klagen abgewiesen, und es wurde thuen be¬
deutet, daß ihre Klagen gänzlich unbegründet seien. Man ließ sie nicht einmal
zu Worte kommen. In demselben Abgeordnetenhaus?, wo oft lange Ver¬
handlungen gepflogen werden über Gegenstände, die eigentlich gar nicht zur
Befugnis dieser Körperschaft gehören, war diesmal keine Zeit, die Dünen und
die, die sich in dieser Frage auf die Seite der Dänen gestellt hatten, anzu¬
hören. Wozu auch sollte man wieder hören, was man oft genug gehört hat
und doch nicht glaubt? Die Wirkungen der bestehenden Sprachverfügung sind
durchaus zufriedenstellend. Die von Hause aus dänischredcnden Kinder lernen
das Deutsche gut und verhältnismäßig leicht. Sie lernen anch so viel Schrift¬
dänisch, wie sie brauchen, denn wozu brauchen sie überhaupt das Schrist-
dänische, das gar nicht einmal zu Recht ihre Muttersprache genannt werden
kann? So haben wir auch bei dieser Gelegenheit wieder vernommen von
Männern, die behaupten, daß sie ein Herz für die nordschleswigsche dänisch¬
redende Bevölkerung hätten, die auch sorgfältig und gewissenhaft Untersuchungen
angestellt und Umfrage gehalten haben bei Fachmüuneru und Kennern der
Verhältnisse. Freilich wohl nur bei solchen, die auf einem einseitigen Partei-
standpnnkt stehen. Bei dieser Auskunft hat sich dann das Abgeordnetenhaus
beruhigt und ist über den dänischen Antrag, dem Schulplan der Volksschule
in den hierfür bedürftigen Gegenden Nvrdschleswigs zwei Stunden wöchentlich
dänischen Sprachunterrichts einzufügen, zur Tagesordnung übergegangen. Und
auch im Lande beruhigt man sich dabei. Die Tagespresse verhält sich dieser
Frage gegenüber ziemlich teilnahmlos. Von einigen radikalen Blättern ab¬
gesehen, hat sie sich, so weit ich bemerkt habe, mit diesen Vorgängen fast gar
nicht beschäftigt.

Aber die Sache liegt doch nicht so einfach, und es scheint mir auch wenig
berechtigt, daß man die angeführten Urteile als maßgebend gelten läßt. Die
nordschleswigsche Frage ist keine von den bedeutenden, das deutsche Volk
tief bewegenden Fragen. Die nordschleswigsche" Dünen werden auch nicht
Revolution machen, und es steht keine befreundete bewaffnete Macht hinter
ihnen, die um ihretwillen Deutschland den Fehdehandschuh hinwerfen würde,
und die Deutschland zu fürchten hätte. Und doch ist die nordschleswige Frage
eine der Eiterbeulen am Körper des deutschen Reichs, und ob sie weiter
schwärt oder allmählich aufhellt, kann nicht gleichgiltig sein. Es ist ja auch
in der That gerade denen am wenigsten gleichgiltig, die in dieser Frage am
meisten das Wort zu ergreifen pflegen, deren Urteil, wie es scheint, auch für
den Beschluß des Abgeordnetenhauses bestimmend gewesen ist, den Führern


Lin Wort zum deutsch-dänischen Streit
Nachschrift.

Wem? das, was die Gesetzgebung beschließt, immer un¬
bedingt richtig wäre, so könnte man sich dabei beruhigen, daß in Nordschleswig
alles in schönster Ordnung sei. Im Abgeordnetenhaus wurden neulich die
Dänen, die eine Änderung der Sprachverfügung von 1888 beantragt hatten,
mit ihrer Forderung und ihren Klagen abgewiesen, und es wurde thuen be¬
deutet, daß ihre Klagen gänzlich unbegründet seien. Man ließ sie nicht einmal
zu Worte kommen. In demselben Abgeordnetenhaus?, wo oft lange Ver¬
handlungen gepflogen werden über Gegenstände, die eigentlich gar nicht zur
Befugnis dieser Körperschaft gehören, war diesmal keine Zeit, die Dünen und
die, die sich in dieser Frage auf die Seite der Dänen gestellt hatten, anzu¬
hören. Wozu auch sollte man wieder hören, was man oft genug gehört hat
und doch nicht glaubt? Die Wirkungen der bestehenden Sprachverfügung sind
durchaus zufriedenstellend. Die von Hause aus dänischredcnden Kinder lernen
das Deutsche gut und verhältnismäßig leicht. Sie lernen anch so viel Schrift¬
dänisch, wie sie brauchen, denn wozu brauchen sie überhaupt das Schrist-
dänische, das gar nicht einmal zu Recht ihre Muttersprache genannt werden
kann? So haben wir auch bei dieser Gelegenheit wieder vernommen von
Männern, die behaupten, daß sie ein Herz für die nordschleswigsche dänisch¬
redende Bevölkerung hätten, die auch sorgfältig und gewissenhaft Untersuchungen
angestellt und Umfrage gehalten haben bei Fachmüuneru und Kennern der
Verhältnisse. Freilich wohl nur bei solchen, die auf einem einseitigen Partei-
standpnnkt stehen. Bei dieser Auskunft hat sich dann das Abgeordnetenhaus
beruhigt und ist über den dänischen Antrag, dem Schulplan der Volksschule
in den hierfür bedürftigen Gegenden Nvrdschleswigs zwei Stunden wöchentlich
dänischen Sprachunterrichts einzufügen, zur Tagesordnung übergegangen. Und
auch im Lande beruhigt man sich dabei. Die Tagespresse verhält sich dieser
Frage gegenüber ziemlich teilnahmlos. Von einigen radikalen Blättern ab¬
gesehen, hat sie sich, so weit ich bemerkt habe, mit diesen Vorgängen fast gar
nicht beschäftigt.

Aber die Sache liegt doch nicht so einfach, und es scheint mir auch wenig
berechtigt, daß man die angeführten Urteile als maßgebend gelten läßt. Die
nordschleswigsche Frage ist keine von den bedeutenden, das deutsche Volk
tief bewegenden Fragen. Die nordschleswigsche» Dünen werden auch nicht
Revolution machen, und es steht keine befreundete bewaffnete Macht hinter
ihnen, die um ihretwillen Deutschland den Fehdehandschuh hinwerfen würde,
und die Deutschland zu fürchten hätte. Und doch ist die nordschleswige Frage
eine der Eiterbeulen am Körper des deutschen Reichs, und ob sie weiter
schwärt oder allmählich aufhellt, kann nicht gleichgiltig sein. Es ist ja auch
in der That gerade denen am wenigsten gleichgiltig, die in dieser Frage am
meisten das Wort zu ergreifen pflegen, deren Urteil, wie es scheint, auch für
den Beschluß des Abgeordnetenhauses bestimmend gewesen ist, den Führern


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[0605] Lin Wort zum deutsch-dänischen Streit Nachschrift. Wem? das, was die Gesetzgebung beschließt, immer un¬ bedingt richtig wäre, so könnte man sich dabei beruhigen, daß in Nordschleswig alles in schönster Ordnung sei. Im Abgeordnetenhaus wurden neulich die Dänen, die eine Änderung der Sprachverfügung von 1888 beantragt hatten, mit ihrer Forderung und ihren Klagen abgewiesen, und es wurde thuen be¬ deutet, daß ihre Klagen gänzlich unbegründet seien. Man ließ sie nicht einmal zu Worte kommen. In demselben Abgeordnetenhaus?, wo oft lange Ver¬ handlungen gepflogen werden über Gegenstände, die eigentlich gar nicht zur Befugnis dieser Körperschaft gehören, war diesmal keine Zeit, die Dünen und die, die sich in dieser Frage auf die Seite der Dänen gestellt hatten, anzu¬ hören. Wozu auch sollte man wieder hören, was man oft genug gehört hat und doch nicht glaubt? Die Wirkungen der bestehenden Sprachverfügung sind durchaus zufriedenstellend. Die von Hause aus dänischredcnden Kinder lernen das Deutsche gut und verhältnismäßig leicht. Sie lernen anch so viel Schrift¬ dänisch, wie sie brauchen, denn wozu brauchen sie überhaupt das Schrist- dänische, das gar nicht einmal zu Recht ihre Muttersprache genannt werden kann? So haben wir auch bei dieser Gelegenheit wieder vernommen von Männern, die behaupten, daß sie ein Herz für die nordschleswigsche dänisch¬ redende Bevölkerung hätten, die auch sorgfältig und gewissenhaft Untersuchungen angestellt und Umfrage gehalten haben bei Fachmüuneru und Kennern der Verhältnisse. Freilich wohl nur bei solchen, die auf einem einseitigen Partei- standpnnkt stehen. Bei dieser Auskunft hat sich dann das Abgeordnetenhaus beruhigt und ist über den dänischen Antrag, dem Schulplan der Volksschule in den hierfür bedürftigen Gegenden Nvrdschleswigs zwei Stunden wöchentlich dänischen Sprachunterrichts einzufügen, zur Tagesordnung übergegangen. Und auch im Lande beruhigt man sich dabei. Die Tagespresse verhält sich dieser Frage gegenüber ziemlich teilnahmlos. Von einigen radikalen Blättern ab¬ gesehen, hat sie sich, so weit ich bemerkt habe, mit diesen Vorgängen fast gar nicht beschäftigt. Aber die Sache liegt doch nicht so einfach, und es scheint mir auch wenig berechtigt, daß man die angeführten Urteile als maßgebend gelten läßt. Die nordschleswigsche Frage ist keine von den bedeutenden, das deutsche Volk tief bewegenden Fragen. Die nordschleswigsche» Dünen werden auch nicht Revolution machen, und es steht keine befreundete bewaffnete Macht hinter ihnen, die um ihretwillen Deutschland den Fehdehandschuh hinwerfen würde, und die Deutschland zu fürchten hätte. Und doch ist die nordschleswige Frage eine der Eiterbeulen am Körper des deutschen Reichs, und ob sie weiter schwärt oder allmählich aufhellt, kann nicht gleichgiltig sein. Es ist ja auch in der That gerade denen am wenigsten gleichgiltig, die in dieser Frage am meisten das Wort zu ergreifen pflegen, deren Urteil, wie es scheint, auch für den Beschluß des Abgeordnetenhauses bestimmend gewesen ist, den Führern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/605>, abgerufen am 28.04.2024.