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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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die in ihrem Fache bisweilen manche Universitätsbibliothek übertreffen. Es
ist nicht mir ein wissenschaftliches Bedürfnis, es wäre auch eine Pflicht der
Pietät, solche Büchereien ungetrennt zu erhalten. Bibliophile in diesem Sinne
wäre eine wahrhaft nationale Sache. Welch schöne Früchte sie zeitigen kann,
sehen wir in Amerika, wo kein Jahr vergeht, ohne daß irgend eine reiche
Privatbibliothek durch Schenkung in öffentlichen Besitz gelangte. Auch die
kleinste Stube hat dort ihre ?roh libr-rr/, und manche kaun sich mit deutschen
Universitätsbibliotheken messen. Kein Wunder, daß, während sich in Europa
nach einer vor einigen Jahren veröffentlichten Statistik in den öffentlichen
Bibliotheken 21 Millionen Bücher befinden, Amerika deren 50 Millionen besitzt!
Möge auch für Deutschland die Zeit kommen, wo man in dieser Art von
Bibliophile die Bethätigung einer der schönsten Seiten des Patriotismus sieht!




Gretna-Green

.W^MWGmes Tages rollte eine elegante Mietkutsche über das holprige
Pflaster eines kleinen schottischen Dorfes. Sie hielt vor der statt¬
lichen Schmiede. Der Schmied war schon vor die Thür getreten,
als er die Kutsche herannahen hörte. Es stieg eine feine junge Dame
aus, der mau ansah, daß sie in Überfluß gelebt und die Arbeit der
Hände nicht gekannt hatte, und ein wohlgekleideter junger Mann
von stattlichem, aber derbem Äußern, der den Eindruck machte, daß er bisher der
körperlichen Arbeit und nicht dem Genusse gelebt habe. Der Schmied nötigte das
Paar in ein Zimmer, entfernte sich und kehrte nach einigen Minuten, frisch ge¬
waschen und mit einem saubern Hemd und reinem Schurzfell bekleidet, zurück.
Nachdem er den Namen der Fremden in ein großes Buch eingetragen hatte, das
den Titel "Trauungen" führte, nahm er sie mit sich in die Werkstatt, ergriff den
großen Hammer und führte drei gewaltige Schläge auf den Amboß, indem er
sprach: "Möge euer Bund immer so fest bleiben, daß ihn keine Schläge des Schick¬
sals, auch wenn sie so gewaltig fallen, wie diese Hammerschläge, zerreißen können."
Das Paar drückte dem Schmied ein Geldgeschenk in die schwielige Hand, verab¬
schiedete sich und fuhr davon. Als Brautpaar waren die jungen Leute vor einer
Viertelstunde gekommen, als Eheleute zogen sie von dünnen. Das war in Gretua-Geer.

An diesen Zufluchtsort der mit widrigen Verhältnissen kämpfenden Liebe wurde
ich durch eine Verhandlung erinnert, die vor kurzem vor dem Zivilgcricht in Paris
stattgefunden hat. Darnach hat es vor noch nicht langer Zeit eine Art Gretna-
Green ganz in unsrer Nähe gegeben, nur daß sich hier der erste Alt, und nicht,
wie in dem schottischen Dorfe, der Schlußakt in dem Drama des Sieges der Liebe
über die Verhältnisse abspielte.

Eine reizende und geistvolle Pariserin, eine Schriftstellerin, die unter den


Gretna-Gree»

die in ihrem Fache bisweilen manche Universitätsbibliothek übertreffen. Es
ist nicht mir ein wissenschaftliches Bedürfnis, es wäre auch eine Pflicht der
Pietät, solche Büchereien ungetrennt zu erhalten. Bibliophile in diesem Sinne
wäre eine wahrhaft nationale Sache. Welch schöne Früchte sie zeitigen kann,
sehen wir in Amerika, wo kein Jahr vergeht, ohne daß irgend eine reiche
Privatbibliothek durch Schenkung in öffentlichen Besitz gelangte. Auch die
kleinste Stube hat dort ihre ?roh libr-rr/, und manche kaun sich mit deutschen
Universitätsbibliotheken messen. Kein Wunder, daß, während sich in Europa
nach einer vor einigen Jahren veröffentlichten Statistik in den öffentlichen
Bibliotheken 21 Millionen Bücher befinden, Amerika deren 50 Millionen besitzt!
Möge auch für Deutschland die Zeit kommen, wo man in dieser Art von
Bibliophile die Bethätigung einer der schönsten Seiten des Patriotismus sieht!




Gretna-Green

.W^MWGmes Tages rollte eine elegante Mietkutsche über das holprige
Pflaster eines kleinen schottischen Dorfes. Sie hielt vor der statt¬
lichen Schmiede. Der Schmied war schon vor die Thür getreten,
als er die Kutsche herannahen hörte. Es stieg eine feine junge Dame
aus, der mau ansah, daß sie in Überfluß gelebt und die Arbeit der
Hände nicht gekannt hatte, und ein wohlgekleideter junger Mann
von stattlichem, aber derbem Äußern, der den Eindruck machte, daß er bisher der
körperlichen Arbeit und nicht dem Genusse gelebt habe. Der Schmied nötigte das
Paar in ein Zimmer, entfernte sich und kehrte nach einigen Minuten, frisch ge¬
waschen und mit einem saubern Hemd und reinem Schurzfell bekleidet, zurück.
Nachdem er den Namen der Fremden in ein großes Buch eingetragen hatte, das
den Titel „Trauungen" führte, nahm er sie mit sich in die Werkstatt, ergriff den
großen Hammer und führte drei gewaltige Schläge auf den Amboß, indem er
sprach: „Möge euer Bund immer so fest bleiben, daß ihn keine Schläge des Schick¬
sals, auch wenn sie so gewaltig fallen, wie diese Hammerschläge, zerreißen können."
Das Paar drückte dem Schmied ein Geldgeschenk in die schwielige Hand, verab¬
schiedete sich und fuhr davon. Als Brautpaar waren die jungen Leute vor einer
Viertelstunde gekommen, als Eheleute zogen sie von dünnen. Das war in Gretua-Geer.

An diesen Zufluchtsort der mit widrigen Verhältnissen kämpfenden Liebe wurde
ich durch eine Verhandlung erinnert, die vor kurzem vor dem Zivilgcricht in Paris
stattgefunden hat. Darnach hat es vor noch nicht langer Zeit eine Art Gretna-
Green ganz in unsrer Nähe gegeben, nur daß sich hier der erste Alt, und nicht,
wie in dem schottischen Dorfe, der Schlußakt in dem Drama des Sieges der Liebe
über die Verhältnisse abspielte.

Eine reizende und geistvolle Pariserin, eine Schriftstellerin, die unter den


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[0102] Gretna-Gree» die in ihrem Fache bisweilen manche Universitätsbibliothek übertreffen. Es ist nicht mir ein wissenschaftliches Bedürfnis, es wäre auch eine Pflicht der Pietät, solche Büchereien ungetrennt zu erhalten. Bibliophile in diesem Sinne wäre eine wahrhaft nationale Sache. Welch schöne Früchte sie zeitigen kann, sehen wir in Amerika, wo kein Jahr vergeht, ohne daß irgend eine reiche Privatbibliothek durch Schenkung in öffentlichen Besitz gelangte. Auch die kleinste Stube hat dort ihre ?roh libr-rr/, und manche kaun sich mit deutschen Universitätsbibliotheken messen. Kein Wunder, daß, während sich in Europa nach einer vor einigen Jahren veröffentlichten Statistik in den öffentlichen Bibliotheken 21 Millionen Bücher befinden, Amerika deren 50 Millionen besitzt! Möge auch für Deutschland die Zeit kommen, wo man in dieser Art von Bibliophile die Bethätigung einer der schönsten Seiten des Patriotismus sieht! Gretna-Green .W^MWGmes Tages rollte eine elegante Mietkutsche über das holprige Pflaster eines kleinen schottischen Dorfes. Sie hielt vor der statt¬ lichen Schmiede. Der Schmied war schon vor die Thür getreten, als er die Kutsche herannahen hörte. Es stieg eine feine junge Dame aus, der mau ansah, daß sie in Überfluß gelebt und die Arbeit der Hände nicht gekannt hatte, und ein wohlgekleideter junger Mann von stattlichem, aber derbem Äußern, der den Eindruck machte, daß er bisher der körperlichen Arbeit und nicht dem Genusse gelebt habe. Der Schmied nötigte das Paar in ein Zimmer, entfernte sich und kehrte nach einigen Minuten, frisch ge¬ waschen und mit einem saubern Hemd und reinem Schurzfell bekleidet, zurück. Nachdem er den Namen der Fremden in ein großes Buch eingetragen hatte, das den Titel „Trauungen" führte, nahm er sie mit sich in die Werkstatt, ergriff den großen Hammer und führte drei gewaltige Schläge auf den Amboß, indem er sprach: „Möge euer Bund immer so fest bleiben, daß ihn keine Schläge des Schick¬ sals, auch wenn sie so gewaltig fallen, wie diese Hammerschläge, zerreißen können." Das Paar drückte dem Schmied ein Geldgeschenk in die schwielige Hand, verab¬ schiedete sich und fuhr davon. Als Brautpaar waren die jungen Leute vor einer Viertelstunde gekommen, als Eheleute zogen sie von dünnen. Das war in Gretua-Geer. An diesen Zufluchtsort der mit widrigen Verhältnissen kämpfenden Liebe wurde ich durch eine Verhandlung erinnert, die vor kurzem vor dem Zivilgcricht in Paris stattgefunden hat. Darnach hat es vor noch nicht langer Zeit eine Art Gretna- Green ganz in unsrer Nähe gegeben, nur daß sich hier der erste Alt, und nicht, wie in dem schottischen Dorfe, der Schlußakt in dem Drama des Sieges der Liebe über die Verhältnisse abspielte. Eine reizende und geistvolle Pariserin, eine Schriftstellerin, die unter den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/102>, abgerufen am 30.05.2024.