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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland

5

Besonders beliebt und geachtet sind die Deutschen gegenwärtig nicht in
Nußland, das braucht Wohl kaum gesagt zu werden. Freilich teilen sie dieses
Gegenteil von Liebe mit andern Ausländern, nur daß sie etwas mehr darunter
zu leiden haben als etwa Engländer, Holländer und Franzosen. Aus nahe¬
liegenden Gründen. Erstens spielt die politische Lage etwas mit, aber das
ist nicht das entscheidende. Mit politischen Dingen in Zusammenhang steht
der zweite Grund: die Russen sprechen gern von der "Undankbarkeit" des
deutschen Volkes; 1870 hätten wir nur gesiegt, weil sie auf unsrer Seite
gestanden hätten, und der Dank sei 1878 beim Berliner Kongreß abgestattet
worden. Bismarck habe aus Neid und Mißgunst gegen Rußlands Größe den
Russen Konstantinopel entwunden -- das ist die landläufige Vorstellung, die
man auch ganz verständigen Russen beim besten Willen nicht ausreden kann. "Bis-
marck ist unser Feind," das ist für sie unbestreitbar, selbst die Petersburger Deutsche
Zeitung bekennt sich zu diesem Standpunkt. Der Haß gegen Bismarck ist ja gewisser¬
maßen instinktiv; sie hassen ihn nicht bloß wegen 1878 oder wegen des Kriegs
gegen den Papierrubel, sie hassen ihn, weil er aus Deutschland einen mächtigen
und darum unbequemen Nachbar gemacht hat, und wie Bismarck, glauben sie,
sei ganz Deutschland gegen sie mit Neid erfüllt. Mit ganz naivem Hochmut
verlangen sie, daß. wenn Deutschland ihr "Freund" sein wolle, es alles thun
müsse, was sie wollen. Ich will hier nicht untersuchen, wie weit die frühere
preußische Politik hieran schuld ist -- hat doch schon Friedrich der Große die
russischen Machthaber in dieser Beziehung gründlich verwöhnt --; ohne Frage
spricht sich in dieser Auffassung von Rußlands Stellung im Weltkonzert die
kindliche Anschanung eines jungen, kraftstrotzenden, sich seiner ungeheuern
Macht bewußten Volkes aus.

Aber auch dieses allgemein verbreitete Gefühl des Argwohns gegen das
neue deutsche Reich ist nicht der eigentliche Grund des Deutschenhasses. Der
liegt vielmehr darin, daß der Deutsche mehr als die andern ihr Schulmeister
gewesen ist. In des Wortes eigentlichster Bedeutung sind sie beim Deutschen
in die Schule gegangen, und ebenso in der übertragnen Bedeutung des Wortes.
Weil es Deutsche waren, die ihnen nach höhern Gesichtspunkten Handel zu
treiben beibrachten, die ihnen ihre wissenschaftlichen Institute einrichteten, ihnen
in der Industrie, in der Technik und überall, wo es auf den Kopf und nicht
bloß auf die Hände ankam, Bahn brachen und den Weg zeigten, darum können
sie diese Deutschen jetzt, wo sie etwas von ihnen gelernt haben und sie ihrer
Meinung nach nicht mehr brauchen, nicht leiden. Sie können sich jetzt
nicht genug thun in dem Spott über diese schwerfälligen, alles besser wissenden,
pedantischen Deutschen. Es ist das Gefühl des Schuljungen, der aus der
Schule gelaufen ist und nun seinem Haß und seinem Hohn gegen den Schul¬
meister ungestraft Ausdruck geben kann.


Grenzboten IV 1896 17
Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland

5

Besonders beliebt und geachtet sind die Deutschen gegenwärtig nicht in
Nußland, das braucht Wohl kaum gesagt zu werden. Freilich teilen sie dieses
Gegenteil von Liebe mit andern Ausländern, nur daß sie etwas mehr darunter
zu leiden haben als etwa Engländer, Holländer und Franzosen. Aus nahe¬
liegenden Gründen. Erstens spielt die politische Lage etwas mit, aber das
ist nicht das entscheidende. Mit politischen Dingen in Zusammenhang steht
der zweite Grund: die Russen sprechen gern von der „Undankbarkeit" des
deutschen Volkes; 1870 hätten wir nur gesiegt, weil sie auf unsrer Seite
gestanden hätten, und der Dank sei 1878 beim Berliner Kongreß abgestattet
worden. Bismarck habe aus Neid und Mißgunst gegen Rußlands Größe den
Russen Konstantinopel entwunden — das ist die landläufige Vorstellung, die
man auch ganz verständigen Russen beim besten Willen nicht ausreden kann. „Bis-
marck ist unser Feind," das ist für sie unbestreitbar, selbst die Petersburger Deutsche
Zeitung bekennt sich zu diesem Standpunkt. Der Haß gegen Bismarck ist ja gewisser¬
maßen instinktiv; sie hassen ihn nicht bloß wegen 1878 oder wegen des Kriegs
gegen den Papierrubel, sie hassen ihn, weil er aus Deutschland einen mächtigen
und darum unbequemen Nachbar gemacht hat, und wie Bismarck, glauben sie,
sei ganz Deutschland gegen sie mit Neid erfüllt. Mit ganz naivem Hochmut
verlangen sie, daß. wenn Deutschland ihr „Freund" sein wolle, es alles thun
müsse, was sie wollen. Ich will hier nicht untersuchen, wie weit die frühere
preußische Politik hieran schuld ist — hat doch schon Friedrich der Große die
russischen Machthaber in dieser Beziehung gründlich verwöhnt —; ohne Frage
spricht sich in dieser Auffassung von Rußlands Stellung im Weltkonzert die
kindliche Anschanung eines jungen, kraftstrotzenden, sich seiner ungeheuern
Macht bewußten Volkes aus.

Aber auch dieses allgemein verbreitete Gefühl des Argwohns gegen das
neue deutsche Reich ist nicht der eigentliche Grund des Deutschenhasses. Der
liegt vielmehr darin, daß der Deutsche mehr als die andern ihr Schulmeister
gewesen ist. In des Wortes eigentlichster Bedeutung sind sie beim Deutschen
in die Schule gegangen, und ebenso in der übertragnen Bedeutung des Wortes.
Weil es Deutsche waren, die ihnen nach höhern Gesichtspunkten Handel zu
treiben beibrachten, die ihnen ihre wissenschaftlichen Institute einrichteten, ihnen
in der Industrie, in der Technik und überall, wo es auf den Kopf und nicht
bloß auf die Hände ankam, Bahn brachen und den Weg zeigten, darum können
sie diese Deutschen jetzt, wo sie etwas von ihnen gelernt haben und sie ihrer
Meinung nach nicht mehr brauchen, nicht leiden. Sie können sich jetzt
nicht genug thun in dem Spott über diese schwerfälligen, alles besser wissenden,
pedantischen Deutschen. Es ist das Gefühl des Schuljungen, der aus der
Schule gelaufen ist und nun seinem Haß und seinem Hohn gegen den Schul¬
meister ungestraft Ausdruck geben kann.


Grenzboten IV 1896 17
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[0137] Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland 5 Besonders beliebt und geachtet sind die Deutschen gegenwärtig nicht in Nußland, das braucht Wohl kaum gesagt zu werden. Freilich teilen sie dieses Gegenteil von Liebe mit andern Ausländern, nur daß sie etwas mehr darunter zu leiden haben als etwa Engländer, Holländer und Franzosen. Aus nahe¬ liegenden Gründen. Erstens spielt die politische Lage etwas mit, aber das ist nicht das entscheidende. Mit politischen Dingen in Zusammenhang steht der zweite Grund: die Russen sprechen gern von der „Undankbarkeit" des deutschen Volkes; 1870 hätten wir nur gesiegt, weil sie auf unsrer Seite gestanden hätten, und der Dank sei 1878 beim Berliner Kongreß abgestattet worden. Bismarck habe aus Neid und Mißgunst gegen Rußlands Größe den Russen Konstantinopel entwunden — das ist die landläufige Vorstellung, die man auch ganz verständigen Russen beim besten Willen nicht ausreden kann. „Bis- marck ist unser Feind," das ist für sie unbestreitbar, selbst die Petersburger Deutsche Zeitung bekennt sich zu diesem Standpunkt. Der Haß gegen Bismarck ist ja gewisser¬ maßen instinktiv; sie hassen ihn nicht bloß wegen 1878 oder wegen des Kriegs gegen den Papierrubel, sie hassen ihn, weil er aus Deutschland einen mächtigen und darum unbequemen Nachbar gemacht hat, und wie Bismarck, glauben sie, sei ganz Deutschland gegen sie mit Neid erfüllt. Mit ganz naivem Hochmut verlangen sie, daß. wenn Deutschland ihr „Freund" sein wolle, es alles thun müsse, was sie wollen. Ich will hier nicht untersuchen, wie weit die frühere preußische Politik hieran schuld ist — hat doch schon Friedrich der Große die russischen Machthaber in dieser Beziehung gründlich verwöhnt —; ohne Frage spricht sich in dieser Auffassung von Rußlands Stellung im Weltkonzert die kindliche Anschanung eines jungen, kraftstrotzenden, sich seiner ungeheuern Macht bewußten Volkes aus. Aber auch dieses allgemein verbreitete Gefühl des Argwohns gegen das neue deutsche Reich ist nicht der eigentliche Grund des Deutschenhasses. Der liegt vielmehr darin, daß der Deutsche mehr als die andern ihr Schulmeister gewesen ist. In des Wortes eigentlichster Bedeutung sind sie beim Deutschen in die Schule gegangen, und ebenso in der übertragnen Bedeutung des Wortes. Weil es Deutsche waren, die ihnen nach höhern Gesichtspunkten Handel zu treiben beibrachten, die ihnen ihre wissenschaftlichen Institute einrichteten, ihnen in der Industrie, in der Technik und überall, wo es auf den Kopf und nicht bloß auf die Hände ankam, Bahn brachen und den Weg zeigten, darum können sie diese Deutschen jetzt, wo sie etwas von ihnen gelernt haben und sie ihrer Meinung nach nicht mehr brauchen, nicht leiden. Sie können sich jetzt nicht genug thun in dem Spott über diese schwerfälligen, alles besser wissenden, pedantischen Deutschen. Es ist das Gefühl des Schuljungen, der aus der Schule gelaufen ist und nun seinem Haß und seinem Hohn gegen den Schul¬ meister ungestraft Ausdruck geben kann. Grenzboten IV 1896 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/137>, abgerufen am 30.05.2024.