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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland

zu haben. Mir war es vergönnt, schon lange vor der Krönung in Rußland
zu sein -- die Krönung selbst erlebte ich nur zufällig mit, allerdings unter
sehr günstigen Umständen --. und so glaube ich etwas mehr gesehen und be¬
obachtet zu haben, als viele von den eigens zur Kaiserkrönung und zur Aus¬
stellung in Nishnij Nowgorod entsandten Korrespondenten. Ich vermesse mich
uicht, lauter neues zu bieten, und will mich ganz und gar nicht als gründ¬
lichen Kenner russischer Dinge aufspielen; aber es war mir doch möglich, na¬
mentlich infolge verschiedner verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Be¬
ziehungen manchen Einblick in das russische Leben zu thun, gesellschaftliche
Verhältnisse zu beobachten und mir ein Urteil zu bilden über die Art. wie die
Russen über Religion und Politik, über Rußland und Europa denken.

1.

Etwas ähnliches an Glanz und Pracht wie die russische Kaiserkrönung
werde ich wohl nie wieder sehen; diese Vereinigung abendländischen, zum
höchsten Raffinement gesteigerten Prunks und morgenländischen Farbenreich¬
tums, verbunden mit dem Pomp der byzantinischen Kirche, und das alles
hineingestellt in die wirkungsvolle Szenerie des altertümlichen Moskaus mit
seinen grotesken und doch durch die Einheitlichkeit des Charakters schönen
Bauten: das ist etwas, was weder Rom noch Konstantinopel zu biete" vermag,
dergleichen giebt es nicht ein zweitesmal.

"Welch Schauspiel, aber ach -- ein Schauspiel nur!" Fragt mau nach
dem Kern der Sache, so bleibt doch nur eine Illusion. die Illusion, daß der
Herrscher aller Russen erst dann wirklich regierender Kaiser ist, wenn er sich
in der engen alten Uspenskij-Sabor, der Krvnungskathedrale, die Krone aus
Diamanten und Perlen aufs Haupt gesetzt und die heilige Salbung em¬
pfangen hat.

Und welche Opfer werden dieser Illusion gebracht! Zwanzig Millionen
Rubel soll die Krönung der Regierung selbst gekostet haben, und das will ich
gern glauben. Da ist aber doch noch gar nicht mit eingerechnet, was z. B.
die Stadtverwaltung von Moskau, der Adel des Moskaner Generalgouverne¬
ments, alle die Korporationen und besondern Behörden ausgegeben haben.
Dazu kommen die enormen Aufwendungen der fremden Gesandtschaften. Was
haben sich allein die reichen Kaufleute und Klubs an Mieter zahlen lassen für
die Überlassung ihrer Häuser in der Zeit der Krönung! Hunderttausende
wurden gefordert und gegeben. Da sind ferner die Geschenke, die dem Kaiser-
Paar dargebracht wurden. Hätte jede Korporation, jede Stadt etwas andres
geschenkt, irgend etwas sinniges, auch etwas brauchbares, so könnte man sichs
gefallen lassen; ähnliche Darreichungen an Fürsten sind ja auch bei uns etwas
übliches. Aber eine Stadt wie die andre, eine Behörde wie die andre, Adel
und Kaufmannsgilde und Zunft: sie alle schenkten immer dasselbe, einen großen


Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland

zu haben. Mir war es vergönnt, schon lange vor der Krönung in Rußland
zu sein — die Krönung selbst erlebte ich nur zufällig mit, allerdings unter
sehr günstigen Umständen —. und so glaube ich etwas mehr gesehen und be¬
obachtet zu haben, als viele von den eigens zur Kaiserkrönung und zur Aus¬
stellung in Nishnij Nowgorod entsandten Korrespondenten. Ich vermesse mich
uicht, lauter neues zu bieten, und will mich ganz und gar nicht als gründ¬
lichen Kenner russischer Dinge aufspielen; aber es war mir doch möglich, na¬
mentlich infolge verschiedner verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Be¬
ziehungen manchen Einblick in das russische Leben zu thun, gesellschaftliche
Verhältnisse zu beobachten und mir ein Urteil zu bilden über die Art. wie die
Russen über Religion und Politik, über Rußland und Europa denken.

1.

Etwas ähnliches an Glanz und Pracht wie die russische Kaiserkrönung
werde ich wohl nie wieder sehen; diese Vereinigung abendländischen, zum
höchsten Raffinement gesteigerten Prunks und morgenländischen Farbenreich¬
tums, verbunden mit dem Pomp der byzantinischen Kirche, und das alles
hineingestellt in die wirkungsvolle Szenerie des altertümlichen Moskaus mit
seinen grotesken und doch durch die Einheitlichkeit des Charakters schönen
Bauten: das ist etwas, was weder Rom noch Konstantinopel zu biete» vermag,
dergleichen giebt es nicht ein zweitesmal.

„Welch Schauspiel, aber ach — ein Schauspiel nur!" Fragt mau nach
dem Kern der Sache, so bleibt doch nur eine Illusion. die Illusion, daß der
Herrscher aller Russen erst dann wirklich regierender Kaiser ist, wenn er sich
in der engen alten Uspenskij-Sabor, der Krvnungskathedrale, die Krone aus
Diamanten und Perlen aufs Haupt gesetzt und die heilige Salbung em¬
pfangen hat.

Und welche Opfer werden dieser Illusion gebracht! Zwanzig Millionen
Rubel soll die Krönung der Regierung selbst gekostet haben, und das will ich
gern glauben. Da ist aber doch noch gar nicht mit eingerechnet, was z. B.
die Stadtverwaltung von Moskau, der Adel des Moskaner Generalgouverne¬
ments, alle die Korporationen und besondern Behörden ausgegeben haben.
Dazu kommen die enormen Aufwendungen der fremden Gesandtschaften. Was
haben sich allein die reichen Kaufleute und Klubs an Mieter zahlen lassen für
die Überlassung ihrer Häuser in der Zeit der Krönung! Hunderttausende
wurden gefordert und gegeben. Da sind ferner die Geschenke, die dem Kaiser-
Paar dargebracht wurden. Hätte jede Korporation, jede Stadt etwas andres
geschenkt, irgend etwas sinniges, auch etwas brauchbares, so könnte man sichs
gefallen lassen; ähnliche Darreichungen an Fürsten sind ja auch bei uns etwas
übliches. Aber eine Stadt wie die andre, eine Behörde wie die andre, Adel
und Kaufmannsgilde und Zunft: sie alle schenkten immer dasselbe, einen großen


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[0037] Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland zu haben. Mir war es vergönnt, schon lange vor der Krönung in Rußland zu sein — die Krönung selbst erlebte ich nur zufällig mit, allerdings unter sehr günstigen Umständen —. und so glaube ich etwas mehr gesehen und be¬ obachtet zu haben, als viele von den eigens zur Kaiserkrönung und zur Aus¬ stellung in Nishnij Nowgorod entsandten Korrespondenten. Ich vermesse mich uicht, lauter neues zu bieten, und will mich ganz und gar nicht als gründ¬ lichen Kenner russischer Dinge aufspielen; aber es war mir doch möglich, na¬ mentlich infolge verschiedner verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Be¬ ziehungen manchen Einblick in das russische Leben zu thun, gesellschaftliche Verhältnisse zu beobachten und mir ein Urteil zu bilden über die Art. wie die Russen über Religion und Politik, über Rußland und Europa denken. 1. Etwas ähnliches an Glanz und Pracht wie die russische Kaiserkrönung werde ich wohl nie wieder sehen; diese Vereinigung abendländischen, zum höchsten Raffinement gesteigerten Prunks und morgenländischen Farbenreich¬ tums, verbunden mit dem Pomp der byzantinischen Kirche, und das alles hineingestellt in die wirkungsvolle Szenerie des altertümlichen Moskaus mit seinen grotesken und doch durch die Einheitlichkeit des Charakters schönen Bauten: das ist etwas, was weder Rom noch Konstantinopel zu biete» vermag, dergleichen giebt es nicht ein zweitesmal. „Welch Schauspiel, aber ach — ein Schauspiel nur!" Fragt mau nach dem Kern der Sache, so bleibt doch nur eine Illusion. die Illusion, daß der Herrscher aller Russen erst dann wirklich regierender Kaiser ist, wenn er sich in der engen alten Uspenskij-Sabor, der Krvnungskathedrale, die Krone aus Diamanten und Perlen aufs Haupt gesetzt und die heilige Salbung em¬ pfangen hat. Und welche Opfer werden dieser Illusion gebracht! Zwanzig Millionen Rubel soll die Krönung der Regierung selbst gekostet haben, und das will ich gern glauben. Da ist aber doch noch gar nicht mit eingerechnet, was z. B. die Stadtverwaltung von Moskau, der Adel des Moskaner Generalgouverne¬ ments, alle die Korporationen und besondern Behörden ausgegeben haben. Dazu kommen die enormen Aufwendungen der fremden Gesandtschaften. Was haben sich allein die reichen Kaufleute und Klubs an Mieter zahlen lassen für die Überlassung ihrer Häuser in der Zeit der Krönung! Hunderttausende wurden gefordert und gegeben. Da sind ferner die Geschenke, die dem Kaiser- Paar dargebracht wurden. Hätte jede Korporation, jede Stadt etwas andres geschenkt, irgend etwas sinniges, auch etwas brauchbares, so könnte man sichs gefallen lassen; ähnliche Darreichungen an Fürsten sind ja auch bei uns etwas übliches. Aber eine Stadt wie die andre, eine Behörde wie die andre, Adel und Kaufmannsgilde und Zunft: sie alle schenkten immer dasselbe, einen großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/37>, abgerufen am 30.05.2024.