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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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stimmende, moderne Entwicklung der hausgewerblichen Arbeit zu kümmern,
wird die Unbrauchbarkeit der Gewerbeordnung nicht gemindert, sondern noch
wesentlich erhöht werden.


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Wenden wir uns nun zu den einzelnen Forderungen, die man zur Be¬
kämpfung der Mißstände in der deutschen Konfektionsindustrie aufgestellt hat.
Bei den Vernehmungen ist zunächst vielfach die Frage erörtert worden, ob
die Herbeiführung des ausschließlichen Fabrikbetriebes im Gegensatz zum haus¬
industriellen und namentlich die Beseitigung des sogenannten Zwischenmeister¬
systems zu empfehlen sei. Aus dem vorigen Abschnitt ist hinreichend zu er¬
sehen, daß Nachteile für die Arbeiterschaft mit dem Heimbetriebe im Vergleich
mit dem Fabrikbetriebe verbunden sind. Wir geben der Fabrikarbeit vor der
hausindustriellen Arbeit für die Massen der männlichen Arbeiterschaft im all¬
gemeinen den Vorzug. In der Konfektionsindustrie spielt aber der männliche
Heimarbeiter eine so unbedeutende Rolle, daß wir ihn hier ganz außer Be¬
tracht lassen dürfen. Es giebt wohl auch örtliche, technische und andre Um¬
stände, unter denen auch die Fabrikarbeit der Weiber dem Wohle der Arbeiter¬
schaft mehr entspricht als die Heimarbeit. Selbst in der Konfektionsindustrie
mag das vorkommen. Im allgemeinen aber lassen uns die Vernehmungen und
alle sonstigen Quellen darüber keinen Zweifel, daß die Fabrikarbeit der Frauen
in der Konfektionsindustrie im Vergleich zu der Heimarbeit für das Wohl
der Arbeiterkreise keineswegs vorteilhaft, daß also die Beseitigung der Heim¬
arbeit nicht wünschenswert ist. Daß von gewissen Gesichtspunkten aus auch
hier das Zusammenfassen aller Arbeiter in Fabrikbetriebe im Parteiinteresse
verlangt wird, ist uns bekannt, kann uns aber natürlich noch weniger für
die Fabrikarbeit einnehmen, wie die an sich gerechtfertigte Klage, daß das
Vorherrschen des Heimbetriebs die Organisation der Konfektionsarbeiterinneu
zum Widerstande gegen unbillige Ausbeutung erschwere.

Wenn wir nach den Ergebnissen der Vernehmungen das Verlangen nach
Beseitigung der Heimarbeit entschieden abweisen müssen, so legen wir dabei
wenig Gewicht auf die namentlich von den Konfektionären geltend gemachten
Bedenken, daß die Herstellung der erforderlichen großen Betriebsräume sehr
kostspielig sein und, wenn auch nicht die ganze Konfektionsindustrie lahm¬
legen, so doch die Großbetriebe zum Auswandern aufs Land zwingen würde.
Ausschlaggebend ist sür uns, daß, wie dies gerade die Aussagen der Arbeite¬
rinnen bestätigen, bei ausschließlichem Fabrikbetriebe die Mehrzahl der Frauen,
die jetzt als Heimarbeiterinnen ihr kümmerliches und oft nur als Zubuße¬
verdienst anzusehendes, aber doch unentbehrliches Brot finden, dieses Brots ver¬
lustig gehen müßten. Es wäre das thatsächlich eine Einschränkung des Angebots
von Arbeit, eine Ausschließung ganzer Bevölkerungsklassen vom Arbeitsverdienst,
viel schroffer und rücksichtsloser, als sie in Amerika vereinzelt gegen russische


stimmende, moderne Entwicklung der hausgewerblichen Arbeit zu kümmern,
wird die Unbrauchbarkeit der Gewerbeordnung nicht gemindert, sondern noch
wesentlich erhöht werden.


4

Wenden wir uns nun zu den einzelnen Forderungen, die man zur Be¬
kämpfung der Mißstände in der deutschen Konfektionsindustrie aufgestellt hat.
Bei den Vernehmungen ist zunächst vielfach die Frage erörtert worden, ob
die Herbeiführung des ausschließlichen Fabrikbetriebes im Gegensatz zum haus¬
industriellen und namentlich die Beseitigung des sogenannten Zwischenmeister¬
systems zu empfehlen sei. Aus dem vorigen Abschnitt ist hinreichend zu er¬
sehen, daß Nachteile für die Arbeiterschaft mit dem Heimbetriebe im Vergleich
mit dem Fabrikbetriebe verbunden sind. Wir geben der Fabrikarbeit vor der
hausindustriellen Arbeit für die Massen der männlichen Arbeiterschaft im all¬
gemeinen den Vorzug. In der Konfektionsindustrie spielt aber der männliche
Heimarbeiter eine so unbedeutende Rolle, daß wir ihn hier ganz außer Be¬
tracht lassen dürfen. Es giebt wohl auch örtliche, technische und andre Um¬
stände, unter denen auch die Fabrikarbeit der Weiber dem Wohle der Arbeiter¬
schaft mehr entspricht als die Heimarbeit. Selbst in der Konfektionsindustrie
mag das vorkommen. Im allgemeinen aber lassen uns die Vernehmungen und
alle sonstigen Quellen darüber keinen Zweifel, daß die Fabrikarbeit der Frauen
in der Konfektionsindustrie im Vergleich zu der Heimarbeit für das Wohl
der Arbeiterkreise keineswegs vorteilhaft, daß also die Beseitigung der Heim¬
arbeit nicht wünschenswert ist. Daß von gewissen Gesichtspunkten aus auch
hier das Zusammenfassen aller Arbeiter in Fabrikbetriebe im Parteiinteresse
verlangt wird, ist uns bekannt, kann uns aber natürlich noch weniger für
die Fabrikarbeit einnehmen, wie die an sich gerechtfertigte Klage, daß das
Vorherrschen des Heimbetriebs die Organisation der Konfektionsarbeiterinneu
zum Widerstande gegen unbillige Ausbeutung erschwere.

Wenn wir nach den Ergebnissen der Vernehmungen das Verlangen nach
Beseitigung der Heimarbeit entschieden abweisen müssen, so legen wir dabei
wenig Gewicht auf die namentlich von den Konfektionären geltend gemachten
Bedenken, daß die Herstellung der erforderlichen großen Betriebsräume sehr
kostspielig sein und, wenn auch nicht die ganze Konfektionsindustrie lahm¬
legen, so doch die Großbetriebe zum Auswandern aufs Land zwingen würde.
Ausschlaggebend ist sür uns, daß, wie dies gerade die Aussagen der Arbeite¬
rinnen bestätigen, bei ausschließlichem Fabrikbetriebe die Mehrzahl der Frauen,
die jetzt als Heimarbeiterinnen ihr kümmerliches und oft nur als Zubuße¬
verdienst anzusehendes, aber doch unentbehrliches Brot finden, dieses Brots ver¬
lustig gehen müßten. Es wäre das thatsächlich eine Einschränkung des Angebots
von Arbeit, eine Ausschließung ganzer Bevölkerungsklassen vom Arbeitsverdienst,
viel schroffer und rücksichtsloser, als sie in Amerika vereinzelt gegen russische


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[0408] stimmende, moderne Entwicklung der hausgewerblichen Arbeit zu kümmern, wird die Unbrauchbarkeit der Gewerbeordnung nicht gemindert, sondern noch wesentlich erhöht werden. 4 Wenden wir uns nun zu den einzelnen Forderungen, die man zur Be¬ kämpfung der Mißstände in der deutschen Konfektionsindustrie aufgestellt hat. Bei den Vernehmungen ist zunächst vielfach die Frage erörtert worden, ob die Herbeiführung des ausschließlichen Fabrikbetriebes im Gegensatz zum haus¬ industriellen und namentlich die Beseitigung des sogenannten Zwischenmeister¬ systems zu empfehlen sei. Aus dem vorigen Abschnitt ist hinreichend zu er¬ sehen, daß Nachteile für die Arbeiterschaft mit dem Heimbetriebe im Vergleich mit dem Fabrikbetriebe verbunden sind. Wir geben der Fabrikarbeit vor der hausindustriellen Arbeit für die Massen der männlichen Arbeiterschaft im all¬ gemeinen den Vorzug. In der Konfektionsindustrie spielt aber der männliche Heimarbeiter eine so unbedeutende Rolle, daß wir ihn hier ganz außer Be¬ tracht lassen dürfen. Es giebt wohl auch örtliche, technische und andre Um¬ stände, unter denen auch die Fabrikarbeit der Weiber dem Wohle der Arbeiter¬ schaft mehr entspricht als die Heimarbeit. Selbst in der Konfektionsindustrie mag das vorkommen. Im allgemeinen aber lassen uns die Vernehmungen und alle sonstigen Quellen darüber keinen Zweifel, daß die Fabrikarbeit der Frauen in der Konfektionsindustrie im Vergleich zu der Heimarbeit für das Wohl der Arbeiterkreise keineswegs vorteilhaft, daß also die Beseitigung der Heim¬ arbeit nicht wünschenswert ist. Daß von gewissen Gesichtspunkten aus auch hier das Zusammenfassen aller Arbeiter in Fabrikbetriebe im Parteiinteresse verlangt wird, ist uns bekannt, kann uns aber natürlich noch weniger für die Fabrikarbeit einnehmen, wie die an sich gerechtfertigte Klage, daß das Vorherrschen des Heimbetriebs die Organisation der Konfektionsarbeiterinneu zum Widerstande gegen unbillige Ausbeutung erschwere. Wenn wir nach den Ergebnissen der Vernehmungen das Verlangen nach Beseitigung der Heimarbeit entschieden abweisen müssen, so legen wir dabei wenig Gewicht auf die namentlich von den Konfektionären geltend gemachten Bedenken, daß die Herstellung der erforderlichen großen Betriebsräume sehr kostspielig sein und, wenn auch nicht die ganze Konfektionsindustrie lahm¬ legen, so doch die Großbetriebe zum Auswandern aufs Land zwingen würde. Ausschlaggebend ist sür uns, daß, wie dies gerade die Aussagen der Arbeite¬ rinnen bestätigen, bei ausschließlichem Fabrikbetriebe die Mehrzahl der Frauen, die jetzt als Heimarbeiterinnen ihr kümmerliches und oft nur als Zubuße¬ verdienst anzusehendes, aber doch unentbehrliches Brot finden, dieses Brots ver¬ lustig gehen müßten. Es wäre das thatsächlich eine Einschränkung des Angebots von Arbeit, eine Ausschließung ganzer Bevölkerungsklassen vom Arbeitsverdienst, viel schroffer und rücksichtsloser, als sie in Amerika vereinzelt gegen russische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/408>, abgerufen am 30.05.2024.