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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Englische Zustände
2

on der allgemeinen Charakteristik des englischen Wesens wenden
wir uns zu den Zustünden der Industrie und der Landwirt¬
schaft. Für die Industrie haben wir amtliche Unterlagen in dem
Buche von Schmid und in dem l^xort über die Arbeits¬
losenfrage. Schmid ist zu seiner Arbeit von Professor
Julius Wolf angeregt worden; ihr Ergebnis dürfte jedoch den Wünschen des
Meisters nicht ganz entsprechen. Die Leser wissen, daß Wolf in seinem be¬
kannten Buche (Sozialismus und kapitalistische Gesellschaftsordnung) die be¬
sonders von Sozialisten verbreitete Ansicht, daß die Reichen immer reicher, die
Armen immer ärmer würden, zu widerlegen und die Gesundheit der modernen
Entwicklung namentlich für England nachzuweisen versucht. Schmid bemerkt,
das Dogma: tus rivlr riousr, tus poor xvorsr, sei zwar durch die neuem
Untersuchungen über die Lage der arbeitenden Klassen zerstört worden. "Zum
mindesten ist man jwer ist man?^ heute nicht mehr von der Wahrheit dieses
Satzes überzeugt. Aber diese neuern Forschungen sind vielleicht zum Teil in
dem Bestreben, den fatalen Satz als unbegründet darzuthun, einen Schritt zu
weit gegangen. Man wollte eine konstant fortschreitende und ganz erhebliche
Besserung in den Verhältnissen des arbeitenden Volkes nachgewiesen haben";
und die geht denn aus den amtlichen Berichten keineswegs hervor. Im
April 1891 wurde eine OoiuuÜ88in"u on Iig.hour eingesetzt, die vom
1. Mai 1891 bis 1894 gearbeitet hat, um die Lage der Arbeiter in England
und Schottland, sowie die Beziehungen zwischen den Arbeitern und den Unter¬
nehmern zu ermitteln, und zu untersuchen, wie diese Beziehungen verbessert
werden könnten. Die Kommission hatte das Recht, Arbeiter, Unternehmer und
andre Sachkundige vorzuladen und zu verhören, Fragebogen zu verschicken,
Einsicht zu nehmen in Bücher, Akten und Statistiker, endlich Untersuchungen
an Ort und Stelle vorzunehmen. Für die mündlichen Verhandlungen wurden
namentlich Gewerkvereinssekretäre und Vertreter von Unternehmerverbänden
herangezogen. Im Schlnßprotokoll drückten die Kommifsivnsmitglieder, zu denen




Englische Zustände
2

on der allgemeinen Charakteristik des englischen Wesens wenden
wir uns zu den Zustünden der Industrie und der Landwirt¬
schaft. Für die Industrie haben wir amtliche Unterlagen in dem
Buche von Schmid und in dem l^xort über die Arbeits¬
losenfrage. Schmid ist zu seiner Arbeit von Professor
Julius Wolf angeregt worden; ihr Ergebnis dürfte jedoch den Wünschen des
Meisters nicht ganz entsprechen. Die Leser wissen, daß Wolf in seinem be¬
kannten Buche (Sozialismus und kapitalistische Gesellschaftsordnung) die be¬
sonders von Sozialisten verbreitete Ansicht, daß die Reichen immer reicher, die
Armen immer ärmer würden, zu widerlegen und die Gesundheit der modernen
Entwicklung namentlich für England nachzuweisen versucht. Schmid bemerkt,
das Dogma: tus rivlr riousr, tus poor xvorsr, sei zwar durch die neuem
Untersuchungen über die Lage der arbeitenden Klassen zerstört worden. „Zum
mindesten ist man jwer ist man?^ heute nicht mehr von der Wahrheit dieses
Satzes überzeugt. Aber diese neuern Forschungen sind vielleicht zum Teil in
dem Bestreben, den fatalen Satz als unbegründet darzuthun, einen Schritt zu
weit gegangen. Man wollte eine konstant fortschreitende und ganz erhebliche
Besserung in den Verhältnissen des arbeitenden Volkes nachgewiesen haben";
und die geht denn aus den amtlichen Berichten keineswegs hervor. Im
April 1891 wurde eine OoiuuÜ88in»u on Iig.hour eingesetzt, die vom
1. Mai 1891 bis 1894 gearbeitet hat, um die Lage der Arbeiter in England
und Schottland, sowie die Beziehungen zwischen den Arbeitern und den Unter¬
nehmern zu ermitteln, und zu untersuchen, wie diese Beziehungen verbessert
werden könnten. Die Kommission hatte das Recht, Arbeiter, Unternehmer und
andre Sachkundige vorzuladen und zu verhören, Fragebogen zu verschicken,
Einsicht zu nehmen in Bücher, Akten und Statistiker, endlich Untersuchungen
an Ort und Stelle vorzunehmen. Für die mündlichen Verhandlungen wurden
namentlich Gewerkvereinssekretäre und Vertreter von Unternehmerverbänden
herangezogen. Im Schlnßprotokoll drückten die Kommifsivnsmitglieder, zu denen


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[0504] [Abbildung] Englische Zustände 2 on der allgemeinen Charakteristik des englischen Wesens wenden wir uns zu den Zustünden der Industrie und der Landwirt¬ schaft. Für die Industrie haben wir amtliche Unterlagen in dem Buche von Schmid und in dem l^xort über die Arbeits¬ losenfrage. Schmid ist zu seiner Arbeit von Professor Julius Wolf angeregt worden; ihr Ergebnis dürfte jedoch den Wünschen des Meisters nicht ganz entsprechen. Die Leser wissen, daß Wolf in seinem be¬ kannten Buche (Sozialismus und kapitalistische Gesellschaftsordnung) die be¬ sonders von Sozialisten verbreitete Ansicht, daß die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer würden, zu widerlegen und die Gesundheit der modernen Entwicklung namentlich für England nachzuweisen versucht. Schmid bemerkt, das Dogma: tus rivlr riousr, tus poor xvorsr, sei zwar durch die neuem Untersuchungen über die Lage der arbeitenden Klassen zerstört worden. „Zum mindesten ist man jwer ist man?^ heute nicht mehr von der Wahrheit dieses Satzes überzeugt. Aber diese neuern Forschungen sind vielleicht zum Teil in dem Bestreben, den fatalen Satz als unbegründet darzuthun, einen Schritt zu weit gegangen. Man wollte eine konstant fortschreitende und ganz erhebliche Besserung in den Verhältnissen des arbeitenden Volkes nachgewiesen haben"; und die geht denn aus den amtlichen Berichten keineswegs hervor. Im April 1891 wurde eine OoiuuÜ88in»u on Iig.hour eingesetzt, die vom 1. Mai 1891 bis 1894 gearbeitet hat, um die Lage der Arbeiter in England und Schottland, sowie die Beziehungen zwischen den Arbeitern und den Unter¬ nehmern zu ermitteln, und zu untersuchen, wie diese Beziehungen verbessert werden könnten. Die Kommission hatte das Recht, Arbeiter, Unternehmer und andre Sachkundige vorzuladen und zu verhören, Fragebogen zu verschicken, Einsicht zu nehmen in Bücher, Akten und Statistiker, endlich Untersuchungen an Ort und Stelle vorzunehmen. Für die mündlichen Verhandlungen wurden namentlich Gewerkvereinssekretäre und Vertreter von Unternehmerverbänden herangezogen. Im Schlnßprotokoll drückten die Kommifsivnsmitglieder, zu denen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/504>, abgerufen am 19.05.2024.