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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die Feine
Julius Franz Von
^. Ursprung und Entwicklung

eit länger als einem Jahrhundert hat die vielberufne Feine die
lautere wie die lüsterne Phantasie angelockt, den verschlungnen
Pfaden ihres geheimnisvollen Wesens nachzuspüren. Die Dichtung
hat sich beeifert, sie mit dem Reize romantischer Schauer zu um¬
geben und uus in phantasievoller Weise ihre düstere Zurüstung auf
der Bühne vor Augen zu sichren, und zahllose Ritterromane und
andre populäre Schriften haben das ergiebige Thema schauerlich abgewandelt.
Mit behaglichem Gruseln liest man da, wie sich vermummte Männer in tiefster
Nacht heimlich in düstern Höhlen, in dunkeln Waldesschlnchten oder in unter¬
irdischen Gewölben versammeln, sich schweigend um einen schwarzbehängter
Tisch niederlassen, "über den spärliche Lichter ein grausiges Halbdunkel ver¬
breiten," und ihres unerbittlichen Richteramts walten. "Der Vorgeladne, den
man in unbewachten Augenblick ergriffen, mit verbundnen Augen auf ver¬
borgnen Pfaden zur heimlichen Gerichtsstätte geschleppt hat, wird vorgeführt.
Der Ankläger enthüllt das Verbrechen. Sein Schwur gilt als Beweis und
gestattet keine Verteidigung mehr. Zur selbigen Stunde wird das Urteil ge¬
sprochen -- es lautet allemal: Tod. Wir hören das dreifache Wehe der ver¬
mummten Schöffen. Der Freigraf zerbricht den Stab. Der Frone tritt hinzu
und vollstreckt den Vlutspruch. Still und lautlos, wie sie gekommen sind,
verschwinden die Femrichter im Dunkel der Nacht. Es nützt dem Unglücklichen
nichts, sich der Ladung zu entziehen. Das Urteil wird doch gesprochen und
vollzogen. Entweder wird er bei Nachtzeit aus dem Schlase gerissen und mit
dem Strange gerichtet, oder wo er allein des Weges wandelt, von den seine
Schritte belauernden Schöffen gepackt und an den nächsten Baum gehenkt.
Ein neben der Leiche in den Stamm gehefteter Dolch verkündet, daß er der
unfehlbar treffenden Feine verfallen war." Dem rächenden Arm der Feine
entgeht niemand; ihre geheimen Sendlinge wandern auch in die Ferne. "Die
heilige Feine durchkreuzt die Welt, sie durchkreuzt die stille, die bewegte Welt."
Zahllos waren die Verbrecher, die durch sie den Wohlverdieuten Lohn em¬
pfinge". Zwar haben schon die Forschungen von Wigand, Usener, Gaupp,
Wächter, Geisberg, Kampschulte und andern von dem phantastischen Aufputz
der Sache manches beseitigt; aber erst den gründlichen und scharfsinnigen Unter¬
suchungen, die Theodor Lindner in seinem kürzlich in zweiter Auflage er¬
schienene" Buche: Die Feine niedergelegt hat, war es vorbehalten, das
schauerliche Dunkel so zu lichten, daß über Ursprung, Entwicklung und
Bedeutung des ehrwürdigen Nechtsinstituts kaum noch ein Zweifel bleibt.




Die Feine
Julius Franz Von
^. Ursprung und Entwicklung

eit länger als einem Jahrhundert hat die vielberufne Feine die
lautere wie die lüsterne Phantasie angelockt, den verschlungnen
Pfaden ihres geheimnisvollen Wesens nachzuspüren. Die Dichtung
hat sich beeifert, sie mit dem Reize romantischer Schauer zu um¬
geben und uus in phantasievoller Weise ihre düstere Zurüstung auf
der Bühne vor Augen zu sichren, und zahllose Ritterromane und
andre populäre Schriften haben das ergiebige Thema schauerlich abgewandelt.
Mit behaglichem Gruseln liest man da, wie sich vermummte Männer in tiefster
Nacht heimlich in düstern Höhlen, in dunkeln Waldesschlnchten oder in unter¬
irdischen Gewölben versammeln, sich schweigend um einen schwarzbehängter
Tisch niederlassen, „über den spärliche Lichter ein grausiges Halbdunkel ver¬
breiten," und ihres unerbittlichen Richteramts walten. „Der Vorgeladne, den
man in unbewachten Augenblick ergriffen, mit verbundnen Augen auf ver¬
borgnen Pfaden zur heimlichen Gerichtsstätte geschleppt hat, wird vorgeführt.
Der Ankläger enthüllt das Verbrechen. Sein Schwur gilt als Beweis und
gestattet keine Verteidigung mehr. Zur selbigen Stunde wird das Urteil ge¬
sprochen — es lautet allemal: Tod. Wir hören das dreifache Wehe der ver¬
mummten Schöffen. Der Freigraf zerbricht den Stab. Der Frone tritt hinzu
und vollstreckt den Vlutspruch. Still und lautlos, wie sie gekommen sind,
verschwinden die Femrichter im Dunkel der Nacht. Es nützt dem Unglücklichen
nichts, sich der Ladung zu entziehen. Das Urteil wird doch gesprochen und
vollzogen. Entweder wird er bei Nachtzeit aus dem Schlase gerissen und mit
dem Strange gerichtet, oder wo er allein des Weges wandelt, von den seine
Schritte belauernden Schöffen gepackt und an den nächsten Baum gehenkt.
Ein neben der Leiche in den Stamm gehefteter Dolch verkündet, daß er der
unfehlbar treffenden Feine verfallen war." Dem rächenden Arm der Feine
entgeht niemand; ihre geheimen Sendlinge wandern auch in die Ferne. „Die
heilige Feine durchkreuzt die Welt, sie durchkreuzt die stille, die bewegte Welt."
Zahllos waren die Verbrecher, die durch sie den Wohlverdieuten Lohn em¬
pfinge». Zwar haben schon die Forschungen von Wigand, Usener, Gaupp,
Wächter, Geisberg, Kampschulte und andern von dem phantastischen Aufputz
der Sache manches beseitigt; aber erst den gründlichen und scharfsinnigen Unter¬
suchungen, die Theodor Lindner in seinem kürzlich in zweiter Auflage er¬
schienene» Buche: Die Feine niedergelegt hat, war es vorbehalten, das
schauerliche Dunkel so zu lichten, daß über Ursprung, Entwicklung und
Bedeutung des ehrwürdigen Nechtsinstituts kaum noch ein Zweifel bleibt.


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[0362] [Abbildung] Die Feine Julius Franz Von ^. Ursprung und Entwicklung eit länger als einem Jahrhundert hat die vielberufne Feine die lautere wie die lüsterne Phantasie angelockt, den verschlungnen Pfaden ihres geheimnisvollen Wesens nachzuspüren. Die Dichtung hat sich beeifert, sie mit dem Reize romantischer Schauer zu um¬ geben und uus in phantasievoller Weise ihre düstere Zurüstung auf der Bühne vor Augen zu sichren, und zahllose Ritterromane und andre populäre Schriften haben das ergiebige Thema schauerlich abgewandelt. Mit behaglichem Gruseln liest man da, wie sich vermummte Männer in tiefster Nacht heimlich in düstern Höhlen, in dunkeln Waldesschlnchten oder in unter¬ irdischen Gewölben versammeln, sich schweigend um einen schwarzbehängter Tisch niederlassen, „über den spärliche Lichter ein grausiges Halbdunkel ver¬ breiten," und ihres unerbittlichen Richteramts walten. „Der Vorgeladne, den man in unbewachten Augenblick ergriffen, mit verbundnen Augen auf ver¬ borgnen Pfaden zur heimlichen Gerichtsstätte geschleppt hat, wird vorgeführt. Der Ankläger enthüllt das Verbrechen. Sein Schwur gilt als Beweis und gestattet keine Verteidigung mehr. Zur selbigen Stunde wird das Urteil ge¬ sprochen — es lautet allemal: Tod. Wir hören das dreifache Wehe der ver¬ mummten Schöffen. Der Freigraf zerbricht den Stab. Der Frone tritt hinzu und vollstreckt den Vlutspruch. Still und lautlos, wie sie gekommen sind, verschwinden die Femrichter im Dunkel der Nacht. Es nützt dem Unglücklichen nichts, sich der Ladung zu entziehen. Das Urteil wird doch gesprochen und vollzogen. Entweder wird er bei Nachtzeit aus dem Schlase gerissen und mit dem Strange gerichtet, oder wo er allein des Weges wandelt, von den seine Schritte belauernden Schöffen gepackt und an den nächsten Baum gehenkt. Ein neben der Leiche in den Stamm gehefteter Dolch verkündet, daß er der unfehlbar treffenden Feine verfallen war." Dem rächenden Arm der Feine entgeht niemand; ihre geheimen Sendlinge wandern auch in die Ferne. „Die heilige Feine durchkreuzt die Welt, sie durchkreuzt die stille, die bewegte Welt." Zahllos waren die Verbrecher, die durch sie den Wohlverdieuten Lohn em¬ pfinge». Zwar haben schon die Forschungen von Wigand, Usener, Gaupp, Wächter, Geisberg, Kampschulte und andern von dem phantastischen Aufputz der Sache manches beseitigt; aber erst den gründlichen und scharfsinnigen Unter¬ suchungen, die Theodor Lindner in seinem kürzlich in zweiter Auflage er¬ schienene» Buche: Die Feine niedergelegt hat, war es vorbehalten, das schauerliche Dunkel so zu lichten, daß über Ursprung, Entwicklung und Bedeutung des ehrwürdigen Nechtsinstituts kaum noch ein Zweifel bleibt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/362>, abgerufen am 01.05.2024.