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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Gottfried Keller und seine Novellen
Karl Uinzel von(in
(Fortsetzung)

^MN
FMMZr.n Heidelberg blieb Keller anderthalb Jahr, studirte Geschichte und
Pilosophie und beschäftigte sich mit allerhand dichterischen Plänen.
Das auf die Neige gehende Geld drängte ihn zur Arbeit an
seinem Roman, auf dessen baldige Vollendung er hoffen zu
dürfen glaubte. Auch einige Nvvellenstoffe reiften heran, und
der erwähnte Band lyrischer Gedichte wurde abgeschlossen. Dabei verkannte
er seine eigentlichen Gaben und Aufgaben durchaus, da sich jetzt in ihm der
Gedanke festsetzte, er sei zum dramatischen Dichter berufen, ein Irrtum, der
ihn Jahre seines Lebens kostete. "Dieses wird wohl mein Abschied von der
Lyrik sein, schreibt er von Heidelberg an den Staatsrat Sulzer in Zürich,
sowie ich überhaupt, auch in Betreff obigen Romans, nun dieses subjektive
Gebahren endlich satt habe und eine wahre Sehnsucht empfinde nach einer
ruhigen und heitern objektiven Thätigkeit, welche ich zunächst im Drama zu
finden hoffe." (23. Juli 1349.)

Den meisten Einfluß gewann Feuerbach auf ihn, der damals auf eigne
Faust in Heidelberg Vorlesungen hielt und nicht nur das Christentum seines
göttlichen Wesens entkleidet hatte, sondern auch die Hoffnung auf Unsterblich¬
keit als sinnlos bekämpfte. An ihn schloß er sich an und suchte auch im per¬
sönlichen Verkehr diese Anschauungen in sich aufzunehmen, die seinen bisherigen
Ansichten entgegenkamen. In einem Brief an seinen Freund Baumgartner in
Zürich (28. Januar 1349) spricht er sich darüber aus:

So viel steht fest, ich werde es-links, rasa machen (oder ist es vielmehr schon ge¬
schehen) mit allen meinen bisherigen religiösen Vorstellungen, bis ich auf dem Feuer-
bcichschm Niveau bin. Die Welt ist eine Republik, sagt er, und erträgt weder einen
absoluten noch einen konstitutionellen Gott (Nationalisten).

Ich kann einstweilen diesem Aufruhr nicht widerstehen. Mein Gott war längst
nur eine Art von Präsident oder erstem Konsul, der nicht viel Ansehen genoß; ich
mußte ihn absetzen. Allein ich kann nicht schwören, daß meine Welt sich nicht "nieder
an einem schönen Morgen ein Reichsoberhaupt wähle. Die Unsterblichkeit geht in
den Kauf. So schön und empfindungsreich der Gedanke ist -- kehre die Hand auf
die rechte Weise um, und das Gegenteil ist ebenso ergreifend nud tief. Wenigstens




Gottfried Keller und seine Novellen
Karl Uinzel von(in
(Fortsetzung)

^MN
FMMZr.n Heidelberg blieb Keller anderthalb Jahr, studirte Geschichte und
Pilosophie und beschäftigte sich mit allerhand dichterischen Plänen.
Das auf die Neige gehende Geld drängte ihn zur Arbeit an
seinem Roman, auf dessen baldige Vollendung er hoffen zu
dürfen glaubte. Auch einige Nvvellenstoffe reiften heran, und
der erwähnte Band lyrischer Gedichte wurde abgeschlossen. Dabei verkannte
er seine eigentlichen Gaben und Aufgaben durchaus, da sich jetzt in ihm der
Gedanke festsetzte, er sei zum dramatischen Dichter berufen, ein Irrtum, der
ihn Jahre seines Lebens kostete. „Dieses wird wohl mein Abschied von der
Lyrik sein, schreibt er von Heidelberg an den Staatsrat Sulzer in Zürich,
sowie ich überhaupt, auch in Betreff obigen Romans, nun dieses subjektive
Gebahren endlich satt habe und eine wahre Sehnsucht empfinde nach einer
ruhigen und heitern objektiven Thätigkeit, welche ich zunächst im Drama zu
finden hoffe." (23. Juli 1349.)

Den meisten Einfluß gewann Feuerbach auf ihn, der damals auf eigne
Faust in Heidelberg Vorlesungen hielt und nicht nur das Christentum seines
göttlichen Wesens entkleidet hatte, sondern auch die Hoffnung auf Unsterblich¬
keit als sinnlos bekämpfte. An ihn schloß er sich an und suchte auch im per¬
sönlichen Verkehr diese Anschauungen in sich aufzunehmen, die seinen bisherigen
Ansichten entgegenkamen. In einem Brief an seinen Freund Baumgartner in
Zürich (28. Januar 1349) spricht er sich darüber aus:

So viel steht fest, ich werde es-links, rasa machen (oder ist es vielmehr schon ge¬
schehen) mit allen meinen bisherigen religiösen Vorstellungen, bis ich auf dem Feuer-
bcichschm Niveau bin. Die Welt ist eine Republik, sagt er, und erträgt weder einen
absoluten noch einen konstitutionellen Gott (Nationalisten).

Ich kann einstweilen diesem Aufruhr nicht widerstehen. Mein Gott war längst
nur eine Art von Präsident oder erstem Konsul, der nicht viel Ansehen genoß; ich
mußte ihn absetzen. Allein ich kann nicht schwören, daß meine Welt sich nicht »nieder
an einem schönen Morgen ein Reichsoberhaupt wähle. Die Unsterblichkeit geht in
den Kauf. So schön und empfindungsreich der Gedanke ist — kehre die Hand auf
die rechte Weise um, und das Gegenteil ist ebenso ergreifend nud tief. Wenigstens


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[0496] [Abbildung] Gottfried Keller und seine Novellen Karl Uinzel von(in (Fortsetzung) ^MN FMMZr.n Heidelberg blieb Keller anderthalb Jahr, studirte Geschichte und Pilosophie und beschäftigte sich mit allerhand dichterischen Plänen. Das auf die Neige gehende Geld drängte ihn zur Arbeit an seinem Roman, auf dessen baldige Vollendung er hoffen zu dürfen glaubte. Auch einige Nvvellenstoffe reiften heran, und der erwähnte Band lyrischer Gedichte wurde abgeschlossen. Dabei verkannte er seine eigentlichen Gaben und Aufgaben durchaus, da sich jetzt in ihm der Gedanke festsetzte, er sei zum dramatischen Dichter berufen, ein Irrtum, der ihn Jahre seines Lebens kostete. „Dieses wird wohl mein Abschied von der Lyrik sein, schreibt er von Heidelberg an den Staatsrat Sulzer in Zürich, sowie ich überhaupt, auch in Betreff obigen Romans, nun dieses subjektive Gebahren endlich satt habe und eine wahre Sehnsucht empfinde nach einer ruhigen und heitern objektiven Thätigkeit, welche ich zunächst im Drama zu finden hoffe." (23. Juli 1349.) Den meisten Einfluß gewann Feuerbach auf ihn, der damals auf eigne Faust in Heidelberg Vorlesungen hielt und nicht nur das Christentum seines göttlichen Wesens entkleidet hatte, sondern auch die Hoffnung auf Unsterblich¬ keit als sinnlos bekämpfte. An ihn schloß er sich an und suchte auch im per¬ sönlichen Verkehr diese Anschauungen in sich aufzunehmen, die seinen bisherigen Ansichten entgegenkamen. In einem Brief an seinen Freund Baumgartner in Zürich (28. Januar 1349) spricht er sich darüber aus: So viel steht fest, ich werde es-links, rasa machen (oder ist es vielmehr schon ge¬ schehen) mit allen meinen bisherigen religiösen Vorstellungen, bis ich auf dem Feuer- bcichschm Niveau bin. Die Welt ist eine Republik, sagt er, und erträgt weder einen absoluten noch einen konstitutionellen Gott (Nationalisten). Ich kann einstweilen diesem Aufruhr nicht widerstehen. Mein Gott war längst nur eine Art von Präsident oder erstem Konsul, der nicht viel Ansehen genoß; ich mußte ihn absetzen. Allein ich kann nicht schwören, daß meine Welt sich nicht »nieder an einem schönen Morgen ein Reichsoberhaupt wähle. Die Unsterblichkeit geht in den Kauf. So schön und empfindungsreich der Gedanke ist — kehre die Hand auf die rechte Weise um, und das Gegenteil ist ebenso ergreifend nud tief. Wenigstens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/496>, abgerufen am 01.05.2024.