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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

einziger Lehrer im Spiel ist, gedenkt mit ihr eine größere Reise zu machen zu
weiterer künstlerischer und allgemeiner Ausbildung."

Zu den "Privatzirkelu," vou denen der Berichterstatter hier spricht, hat auch
Goethes Haus gehört. Am 5. Oktober 1831 schreibt Goethe an Zelter: "Gestern
erschien bei mir ein merkwürdiges Phänomen. Ein Vater brachte seine flttgel-
spielende Tochter zu mir, welche, nach Paris gehend, neuere Pariser Compositionen
vortrug; auch mir war die Art neu, sie verlangt eine große Fertigkeit des Vor-
trags, ist aber immer heiter; mau folgt gern und läßt sichs gefallen." Obwohl in
dem "Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter" nirgends -- weder in einer An¬
merkung, noch im Register -- der Name dieser "flügelspielenden Tochter" genannt
wird, kann doch nicht der geringste Zweifel darüber sein, daß es Clara Wieck war.*)

Merkwürdig ist, daß sie selbst später niemals dieses Besuches bei Goethe
gedacht zu haben scheint. Soviel ich weiß, findet sich in der ganzen reichen
Litteratur über Robert und Clara Schumann nirgends eine Spur davon. Für
Goethe war der Besuch eins seiner letzten musikalischen Erlebnisse, vielleicht das
letzte überhaupt -- im April 1330 hatte ihn uoch die Schröder-Devrient, ebenfalls
auf der Reise uach Paris, besucht und ihm Schuberts Erlkönig vorgesungen.
Sieben Blätter weiter nach jener Korrespondenz aus Weimar (März. Ur. 13)
G. w. meldet die "Musikalische Zeitung" seinen Tod.




Litteratur
Volkstümliche Kunst.

Wir weisen gern auf Bücher hiu, die unsre Heimats¬
kunst sachlich genau und dabei in der Form so darstellen, daß sie der Leser als
eine Äußerung des Volksgeistes empfindet, auf die er ebenso zu achten hat, wie
auf Worte der Dichtkunst oder des Schrifttums. Die Frauzosen sind uns in dieser
Art von Büchern über Kunst weit voraus. Sie behandeln Gotik, Renaissance,
Rokoko in ihren einzelnen Abschnitten in besondern Büchern für die verschiedensten
Leserkreise und immer im Hinblick und mit dem deutlichen Hinweis darauf, daß
es ihre Geschichte ist, die sie schreiben. Hoffentlich kommen wir allmählich nach.
Deutsche Eigenart in der bildende" Kunst von Gustav Ehe, mit 100 Ab¬
bildungen (Leipzig, Weber) ist ein derartig erwünschtes Buch. Es behandelt den
romanischen Stil und seine Vorstufen, auch die Kleinkunst, und was neben der
strengern Erscheinung des Stils hergeht, z. B. das Bauernhaus der einzelnen
Stämme, in einfacher und sehr klarer Sprache.

Der Verfasser ist Architekt, beschreibt sachgemäß, läßt aber dabei durchaus
mich die geschichtlichen Verhältnisse zu ihrem Recht kommen. Das kleine hand¬
liche Buch hat in seiner ganzen Art etwas sehr anziehendes.

Sehr wertvoll ist ebenfalls ein ans unendlich mühsamen Studien beruhendes



^) Vermutet worden ist dies schon von andrer Seite, in dein vortrefflichen AufsnK von
Ernst Niemener: Über Goethes Stellung zur Tonkunst (Programm des Königl. Gymnasiums
ZU Chemnitz, 1831), dem Besten, ums über Goethes Verhältnis zur Musik bisher geschrieben
worden ist -- leider, wie so manche gute Programmnrbeit, so gut wie unbekannt.
Litteratur

einziger Lehrer im Spiel ist, gedenkt mit ihr eine größere Reise zu machen zu
weiterer künstlerischer und allgemeiner Ausbildung."

Zu den „Privatzirkelu," vou denen der Berichterstatter hier spricht, hat auch
Goethes Haus gehört. Am 5. Oktober 1831 schreibt Goethe an Zelter: „Gestern
erschien bei mir ein merkwürdiges Phänomen. Ein Vater brachte seine flttgel-
spielende Tochter zu mir, welche, nach Paris gehend, neuere Pariser Compositionen
vortrug; auch mir war die Art neu, sie verlangt eine große Fertigkeit des Vor-
trags, ist aber immer heiter; mau folgt gern und läßt sichs gefallen." Obwohl in
dem „Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter" nirgends — weder in einer An¬
merkung, noch im Register — der Name dieser „flügelspielenden Tochter" genannt
wird, kann doch nicht der geringste Zweifel darüber sein, daß es Clara Wieck war.*)

Merkwürdig ist, daß sie selbst später niemals dieses Besuches bei Goethe
gedacht zu haben scheint. Soviel ich weiß, findet sich in der ganzen reichen
Litteratur über Robert und Clara Schumann nirgends eine Spur davon. Für
Goethe war der Besuch eins seiner letzten musikalischen Erlebnisse, vielleicht das
letzte überhaupt — im April 1330 hatte ihn uoch die Schröder-Devrient, ebenfalls
auf der Reise uach Paris, besucht und ihm Schuberts Erlkönig vorgesungen.
Sieben Blätter weiter nach jener Korrespondenz aus Weimar (März. Ur. 13)
G. w. meldet die „Musikalische Zeitung" seinen Tod.




Litteratur
Volkstümliche Kunst.

Wir weisen gern auf Bücher hiu, die unsre Heimats¬
kunst sachlich genau und dabei in der Form so darstellen, daß sie der Leser als
eine Äußerung des Volksgeistes empfindet, auf die er ebenso zu achten hat, wie
auf Worte der Dichtkunst oder des Schrifttums. Die Frauzosen sind uns in dieser
Art von Büchern über Kunst weit voraus. Sie behandeln Gotik, Renaissance,
Rokoko in ihren einzelnen Abschnitten in besondern Büchern für die verschiedensten
Leserkreise und immer im Hinblick und mit dem deutlichen Hinweis darauf, daß
es ihre Geschichte ist, die sie schreiben. Hoffentlich kommen wir allmählich nach.
Deutsche Eigenart in der bildende» Kunst von Gustav Ehe, mit 100 Ab¬
bildungen (Leipzig, Weber) ist ein derartig erwünschtes Buch. Es behandelt den
romanischen Stil und seine Vorstufen, auch die Kleinkunst, und was neben der
strengern Erscheinung des Stils hergeht, z. B. das Bauernhaus der einzelnen
Stämme, in einfacher und sehr klarer Sprache.

Der Verfasser ist Architekt, beschreibt sachgemäß, läßt aber dabei durchaus
mich die geschichtlichen Verhältnisse zu ihrem Recht kommen. Das kleine hand¬
liche Buch hat in seiner ganzen Art etwas sehr anziehendes.

Sehr wertvoll ist ebenfalls ein ans unendlich mühsamen Studien beruhendes



^) Vermutet worden ist dies schon von andrer Seite, in dein vortrefflichen AufsnK von
Ernst Niemener: Über Goethes Stellung zur Tonkunst (Programm des Königl. Gymnasiums
ZU Chemnitz, 1831), dem Besten, ums über Goethes Verhältnis zur Musik bisher geschrieben
worden ist — leider, wie so manche gute Programmnrbeit, so gut wie unbekannt.
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[0517] Litteratur einziger Lehrer im Spiel ist, gedenkt mit ihr eine größere Reise zu machen zu weiterer künstlerischer und allgemeiner Ausbildung." Zu den „Privatzirkelu," vou denen der Berichterstatter hier spricht, hat auch Goethes Haus gehört. Am 5. Oktober 1831 schreibt Goethe an Zelter: „Gestern erschien bei mir ein merkwürdiges Phänomen. Ein Vater brachte seine flttgel- spielende Tochter zu mir, welche, nach Paris gehend, neuere Pariser Compositionen vortrug; auch mir war die Art neu, sie verlangt eine große Fertigkeit des Vor- trags, ist aber immer heiter; mau folgt gern und läßt sichs gefallen." Obwohl in dem „Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter" nirgends — weder in einer An¬ merkung, noch im Register — der Name dieser „flügelspielenden Tochter" genannt wird, kann doch nicht der geringste Zweifel darüber sein, daß es Clara Wieck war.*) Merkwürdig ist, daß sie selbst später niemals dieses Besuches bei Goethe gedacht zu haben scheint. Soviel ich weiß, findet sich in der ganzen reichen Litteratur über Robert und Clara Schumann nirgends eine Spur davon. Für Goethe war der Besuch eins seiner letzten musikalischen Erlebnisse, vielleicht das letzte überhaupt — im April 1330 hatte ihn uoch die Schröder-Devrient, ebenfalls auf der Reise uach Paris, besucht und ihm Schuberts Erlkönig vorgesungen. Sieben Blätter weiter nach jener Korrespondenz aus Weimar (März. Ur. 13) G. w. meldet die „Musikalische Zeitung" seinen Tod. Litteratur Volkstümliche Kunst. Wir weisen gern auf Bücher hiu, die unsre Heimats¬ kunst sachlich genau und dabei in der Form so darstellen, daß sie der Leser als eine Äußerung des Volksgeistes empfindet, auf die er ebenso zu achten hat, wie auf Worte der Dichtkunst oder des Schrifttums. Die Frauzosen sind uns in dieser Art von Büchern über Kunst weit voraus. Sie behandeln Gotik, Renaissance, Rokoko in ihren einzelnen Abschnitten in besondern Büchern für die verschiedensten Leserkreise und immer im Hinblick und mit dem deutlichen Hinweis darauf, daß es ihre Geschichte ist, die sie schreiben. Hoffentlich kommen wir allmählich nach. Deutsche Eigenart in der bildende» Kunst von Gustav Ehe, mit 100 Ab¬ bildungen (Leipzig, Weber) ist ein derartig erwünschtes Buch. Es behandelt den romanischen Stil und seine Vorstufen, auch die Kleinkunst, und was neben der strengern Erscheinung des Stils hergeht, z. B. das Bauernhaus der einzelnen Stämme, in einfacher und sehr klarer Sprache. Der Verfasser ist Architekt, beschreibt sachgemäß, läßt aber dabei durchaus mich die geschichtlichen Verhältnisse zu ihrem Recht kommen. Das kleine hand¬ liche Buch hat in seiner ganzen Art etwas sehr anziehendes. Sehr wertvoll ist ebenfalls ein ans unendlich mühsamen Studien beruhendes ^) Vermutet worden ist dies schon von andrer Seite, in dein vortrefflichen AufsnK von Ernst Niemener: Über Goethes Stellung zur Tonkunst (Programm des Königl. Gymnasiums ZU Chemnitz, 1831), dem Besten, ums über Goethes Verhältnis zur Musik bisher geschrieben worden ist — leider, wie so manche gute Programmnrbeit, so gut wie unbekannt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/517>, abgerufen am 01.05.2024.