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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Reiseschilderungen

und Kleidung sind fein rein, und die Wohnungen sind schön gemahlet. Alsbald
ein Kranker hinein wird gebracht, ziehet man ihm seine Kleider aus, im Bei¬
sein eines Notarien, der sie treulich verzeichnet und beschreibet, werden wohl
verwahret, und man zieht ihm einen weißen Kittel an, legt ihn in ein schön
gemachtes Bette, reine Tücher. Bald bringt man ihm zween Ärzte, und kommen
die Diener, bringen Essen und Trinken in reinen Glasern, Bechern, die rühren
sie mit einem Fingerlein an. Auch kommen etliche ehrliche Matronen und
Weiber, verhüllt unter dem Angesicht, etliche Tage, dienen dem Armen als
Unbekannte, daß man nicht wissen kann, wer sie sind, darnach gehen sie wieder
heim. Das habe ich also zu Florenz gesehen, daß die Spitale mit solchem
Fleiße gehalten werden. Also werden auch die Fiudlinghäuser gehalten, in
welchen die Kindelein aufs beste ernähret, aufgezogen, unterweiset und gelehret
werden, schmücken sie alle in eine Kleidung und Farbe, und ihr wird aufs
beste gewartet." Also ein Schöpfungswunder bleibt eine solche Kulturwerk¬
statt, aber von den Bedingungen, unter denen es zustande kommt, nehmen
wir doch in der ältern Geschichte der italienischen Städte einige wahr, und
Davidsohns Werk verbreitet nicht wenig neues Licht darüber.




Reiseschilderungen

le Zeit, wo sich der deutsche Philister geduldig und andächtig
mit zwölf Bänden von Friedrich Nicolai durch Deutschland und
die Schweiz geleiten ließ, ist längst vorüber, und selbst Friedrich
Gerstäcker würde gegenwärtig nur ein kleines Häuflein Leser für
seine fünfbändige "Reise um die Welt" finden. Die Menschen
von heute reisen so viel, so unablässig, daß sie keiner von fremden Augen ge¬
sehenen Bilder zu bedürfen glauben, sie genießen, sehen und -- wissen alles
selbst. Wenn trotzdem noch zahlreiche Reiseskizzen geschrieben und veröffentlicht
werden, so handelt es sich dabei durchgehend um wenig umfangreiche Bücher;
die Mehrzahl der Versasser folgt öfter dem eignen Bedürfnis, Erinnerungen
und Eindrücke festzuhalten, als daß sie an ein Lescvublikum dachte, andre
gefallen sich darin, die moderne Sensationslust, die Erotik und die Stilkünste
der jüngste" Erzähluugslitteratur auch auf die Reiseschilderuug auszudehnen.
Soviel wir wissen, hat sich noch niemand die Mühe genommen, die Einflüsse
jeweilig herrschender litterarischer Moden oder Schulen aus Reisebilder und
Reiseskizzen zu untersuchen. Da diesen nur in seltenen Füllen ein Leben über


Reiseschilderungen

und Kleidung sind fein rein, und die Wohnungen sind schön gemahlet. Alsbald
ein Kranker hinein wird gebracht, ziehet man ihm seine Kleider aus, im Bei¬
sein eines Notarien, der sie treulich verzeichnet und beschreibet, werden wohl
verwahret, und man zieht ihm einen weißen Kittel an, legt ihn in ein schön
gemachtes Bette, reine Tücher. Bald bringt man ihm zween Ärzte, und kommen
die Diener, bringen Essen und Trinken in reinen Glasern, Bechern, die rühren
sie mit einem Fingerlein an. Auch kommen etliche ehrliche Matronen und
Weiber, verhüllt unter dem Angesicht, etliche Tage, dienen dem Armen als
Unbekannte, daß man nicht wissen kann, wer sie sind, darnach gehen sie wieder
heim. Das habe ich also zu Florenz gesehen, daß die Spitale mit solchem
Fleiße gehalten werden. Also werden auch die Fiudlinghäuser gehalten, in
welchen die Kindelein aufs beste ernähret, aufgezogen, unterweiset und gelehret
werden, schmücken sie alle in eine Kleidung und Farbe, und ihr wird aufs
beste gewartet." Also ein Schöpfungswunder bleibt eine solche Kulturwerk¬
statt, aber von den Bedingungen, unter denen es zustande kommt, nehmen
wir doch in der ältern Geschichte der italienischen Städte einige wahr, und
Davidsohns Werk verbreitet nicht wenig neues Licht darüber.




Reiseschilderungen

le Zeit, wo sich der deutsche Philister geduldig und andächtig
mit zwölf Bänden von Friedrich Nicolai durch Deutschland und
die Schweiz geleiten ließ, ist längst vorüber, und selbst Friedrich
Gerstäcker würde gegenwärtig nur ein kleines Häuflein Leser für
seine fünfbändige „Reise um die Welt" finden. Die Menschen
von heute reisen so viel, so unablässig, daß sie keiner von fremden Augen ge¬
sehenen Bilder zu bedürfen glauben, sie genießen, sehen und — wissen alles
selbst. Wenn trotzdem noch zahlreiche Reiseskizzen geschrieben und veröffentlicht
werden, so handelt es sich dabei durchgehend um wenig umfangreiche Bücher;
die Mehrzahl der Versasser folgt öfter dem eignen Bedürfnis, Erinnerungen
und Eindrücke festzuhalten, als daß sie an ein Lescvublikum dachte, andre
gefallen sich darin, die moderne Sensationslust, die Erotik und die Stilkünste
der jüngste» Erzähluugslitteratur auch auf die Reiseschilderuug auszudehnen.
Soviel wir wissen, hat sich noch niemand die Mühe genommen, die Einflüsse
jeweilig herrschender litterarischer Moden oder Schulen aus Reisebilder und
Reiseskizzen zu untersuchen. Da diesen nur in seltenen Füllen ein Leben über


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[0651] Reiseschilderungen und Kleidung sind fein rein, und die Wohnungen sind schön gemahlet. Alsbald ein Kranker hinein wird gebracht, ziehet man ihm seine Kleider aus, im Bei¬ sein eines Notarien, der sie treulich verzeichnet und beschreibet, werden wohl verwahret, und man zieht ihm einen weißen Kittel an, legt ihn in ein schön gemachtes Bette, reine Tücher. Bald bringt man ihm zween Ärzte, und kommen die Diener, bringen Essen und Trinken in reinen Glasern, Bechern, die rühren sie mit einem Fingerlein an. Auch kommen etliche ehrliche Matronen und Weiber, verhüllt unter dem Angesicht, etliche Tage, dienen dem Armen als Unbekannte, daß man nicht wissen kann, wer sie sind, darnach gehen sie wieder heim. Das habe ich also zu Florenz gesehen, daß die Spitale mit solchem Fleiße gehalten werden. Also werden auch die Fiudlinghäuser gehalten, in welchen die Kindelein aufs beste ernähret, aufgezogen, unterweiset und gelehret werden, schmücken sie alle in eine Kleidung und Farbe, und ihr wird aufs beste gewartet." Also ein Schöpfungswunder bleibt eine solche Kulturwerk¬ statt, aber von den Bedingungen, unter denen es zustande kommt, nehmen wir doch in der ältern Geschichte der italienischen Städte einige wahr, und Davidsohns Werk verbreitet nicht wenig neues Licht darüber. Reiseschilderungen le Zeit, wo sich der deutsche Philister geduldig und andächtig mit zwölf Bänden von Friedrich Nicolai durch Deutschland und die Schweiz geleiten ließ, ist längst vorüber, und selbst Friedrich Gerstäcker würde gegenwärtig nur ein kleines Häuflein Leser für seine fünfbändige „Reise um die Welt" finden. Die Menschen von heute reisen so viel, so unablässig, daß sie keiner von fremden Augen ge¬ sehenen Bilder zu bedürfen glauben, sie genießen, sehen und — wissen alles selbst. Wenn trotzdem noch zahlreiche Reiseskizzen geschrieben und veröffentlicht werden, so handelt es sich dabei durchgehend um wenig umfangreiche Bücher; die Mehrzahl der Versasser folgt öfter dem eignen Bedürfnis, Erinnerungen und Eindrücke festzuhalten, als daß sie an ein Lescvublikum dachte, andre gefallen sich darin, die moderne Sensationslust, die Erotik und die Stilkünste der jüngste» Erzähluugslitteratur auch auf die Reiseschilderuug auszudehnen. Soviel wir wissen, hat sich noch niemand die Mühe genommen, die Einflüsse jeweilig herrschender litterarischer Moden oder Schulen aus Reisebilder und Reiseskizzen zu untersuchen. Da diesen nur in seltenen Füllen ein Leben über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/651>, abgerufen am 01.05.2024.