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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die sogenannte Sonntagsruhe der Postbeamten

eit dem Jahre 1878 nehmen bei der Beratung des Etats der
Neichspost- und Telegraphenverwaltung die Verhandlungen über
die Sonntagsruhe einen breiten Raum ein. Dem Abgeordneten
Dr. Liugens gebührt das Verdienst, diese Angelegenheit zuerst
angeregt und von Jahr zu Jahr mit unermüdlichem Eifer ver¬
folgt zu habe". Aber auch zahlreiche Abgeordnete ans andern Parteien sind
bestrebt gewesen, der Arbeitsüberbürdnng der Postbeamten zu steuern und ihnen
Sonntagsruhe zu verschaffen.

Inzwischen sind achtzehn Jahre vergangen. Die Postverwaltung betrachtet,
wie der Staatssekretär Dr. von Stephan in der Reichstagssitzung vom 12. Fe¬
bruar 1894 erklärte, die Maßnahmen zur Durchführung der Sonntagsruhe
für abgeschlossen, weil nun das gesamte Personal in dem vorgeschriebnen Um¬
fange vom Sonntagsdienst befreit sei.

Es dürfte deshalb an der Zeit sein, einen Rückblick auf das bisher Erreichte
zu werfen und zu prüfen, ob die Dienstbefreiung, die den Postbeamten gegen¬
wärtig an den Sonntagen gewährt wird, auch wirklich den Namen der Sonn¬
tagsruhe verdient, und ob diese Sonntagsruhe als ausreichend anzusehen ist.

Leider muß diese Frage verneint werden. Die Ruhe, die die Beamten
an den Sonntagen genießen, ist nur eine scheinbare, künstlich hergestellte, und
zwar deshalb, weil sie durch vermehrte Arbeitsleistung an den Wochentagen
erkauft werden muß. Eine wirkliche Sonntagsruhe besteht uur für die Beamten
in den Vüreaus des Neichspostamts zu Berlin, die an Wochentagen von neun
bis drei Uhr arbeiten, und für die in den Bureaus der Oberpostdirektionen
und Oberpostkasseu beschäftigten Beamten, deren Dienststunden an den Wochen¬
tagen auf die Zeit von acht bis ein Uhr vormittags und vier bis sieben Uhr
nachmittags festgesetzt sind. Sonntags sind diese Beamten bis auf einige Vor¬
mittagsstunden, zu denen sie sich abwechselnd, also etwa an jedem dritten oder
vierten Sonntag, in den Geschäftsräumen zur Erledigung eiliger Sachen ein-
zufinden haben, dienstfrei. Die Zahl der vvrbezeichneten Beamten und Unter¬
beamten beträgt nach dem Etat für 1896/97 427 und 2383, während die
Statistik der Neichspost- und Telegraphenverwaltnng für das Jahr 1894 ins-




Die sogenannte Sonntagsruhe der Postbeamten

eit dem Jahre 1878 nehmen bei der Beratung des Etats der
Neichspost- und Telegraphenverwaltung die Verhandlungen über
die Sonntagsruhe einen breiten Raum ein. Dem Abgeordneten
Dr. Liugens gebührt das Verdienst, diese Angelegenheit zuerst
angeregt und von Jahr zu Jahr mit unermüdlichem Eifer ver¬
folgt zu habe«. Aber auch zahlreiche Abgeordnete ans andern Parteien sind
bestrebt gewesen, der Arbeitsüberbürdnng der Postbeamten zu steuern und ihnen
Sonntagsruhe zu verschaffen.

Inzwischen sind achtzehn Jahre vergangen. Die Postverwaltung betrachtet,
wie der Staatssekretär Dr. von Stephan in der Reichstagssitzung vom 12. Fe¬
bruar 1894 erklärte, die Maßnahmen zur Durchführung der Sonntagsruhe
für abgeschlossen, weil nun das gesamte Personal in dem vorgeschriebnen Um¬
fange vom Sonntagsdienst befreit sei.

Es dürfte deshalb an der Zeit sein, einen Rückblick auf das bisher Erreichte
zu werfen und zu prüfen, ob die Dienstbefreiung, die den Postbeamten gegen¬
wärtig an den Sonntagen gewährt wird, auch wirklich den Namen der Sonn¬
tagsruhe verdient, und ob diese Sonntagsruhe als ausreichend anzusehen ist.

Leider muß diese Frage verneint werden. Die Ruhe, die die Beamten
an den Sonntagen genießen, ist nur eine scheinbare, künstlich hergestellte, und
zwar deshalb, weil sie durch vermehrte Arbeitsleistung an den Wochentagen
erkauft werden muß. Eine wirkliche Sonntagsruhe besteht uur für die Beamten
in den Vüreaus des Neichspostamts zu Berlin, die an Wochentagen von neun
bis drei Uhr arbeiten, und für die in den Bureaus der Oberpostdirektionen
und Oberpostkasseu beschäftigten Beamten, deren Dienststunden an den Wochen¬
tagen auf die Zeit von acht bis ein Uhr vormittags und vier bis sieben Uhr
nachmittags festgesetzt sind. Sonntags sind diese Beamten bis auf einige Vor¬
mittagsstunden, zu denen sie sich abwechselnd, also etwa an jedem dritten oder
vierten Sonntag, in den Geschäftsräumen zur Erledigung eiliger Sachen ein-
zufinden haben, dienstfrei. Die Zahl der vvrbezeichneten Beamten und Unter¬
beamten beträgt nach dem Etat für 1896/97 427 und 2383, während die
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[0083] [Abbildung] Die sogenannte Sonntagsruhe der Postbeamten eit dem Jahre 1878 nehmen bei der Beratung des Etats der Neichspost- und Telegraphenverwaltung die Verhandlungen über die Sonntagsruhe einen breiten Raum ein. Dem Abgeordneten Dr. Liugens gebührt das Verdienst, diese Angelegenheit zuerst angeregt und von Jahr zu Jahr mit unermüdlichem Eifer ver¬ folgt zu habe«. Aber auch zahlreiche Abgeordnete ans andern Parteien sind bestrebt gewesen, der Arbeitsüberbürdnng der Postbeamten zu steuern und ihnen Sonntagsruhe zu verschaffen. Inzwischen sind achtzehn Jahre vergangen. Die Postverwaltung betrachtet, wie der Staatssekretär Dr. von Stephan in der Reichstagssitzung vom 12. Fe¬ bruar 1894 erklärte, die Maßnahmen zur Durchführung der Sonntagsruhe für abgeschlossen, weil nun das gesamte Personal in dem vorgeschriebnen Um¬ fange vom Sonntagsdienst befreit sei. Es dürfte deshalb an der Zeit sein, einen Rückblick auf das bisher Erreichte zu werfen und zu prüfen, ob die Dienstbefreiung, die den Postbeamten gegen¬ wärtig an den Sonntagen gewährt wird, auch wirklich den Namen der Sonn¬ tagsruhe verdient, und ob diese Sonntagsruhe als ausreichend anzusehen ist. Leider muß diese Frage verneint werden. Die Ruhe, die die Beamten an den Sonntagen genießen, ist nur eine scheinbare, künstlich hergestellte, und zwar deshalb, weil sie durch vermehrte Arbeitsleistung an den Wochentagen erkauft werden muß. Eine wirkliche Sonntagsruhe besteht uur für die Beamten in den Vüreaus des Neichspostamts zu Berlin, die an Wochentagen von neun bis drei Uhr arbeiten, und für die in den Bureaus der Oberpostdirektionen und Oberpostkasseu beschäftigten Beamten, deren Dienststunden an den Wochen¬ tagen auf die Zeit von acht bis ein Uhr vormittags und vier bis sieben Uhr nachmittags festgesetzt sind. Sonntags sind diese Beamten bis auf einige Vor¬ mittagsstunden, zu denen sie sich abwechselnd, also etwa an jedem dritten oder vierten Sonntag, in den Geschäftsräumen zur Erledigung eiliger Sachen ein- zufinden haben, dienstfrei. Die Zahl der vvrbezeichneten Beamten und Unter¬ beamten beträgt nach dem Etat für 1896/97 427 und 2383, während die Statistik der Neichspost- und Telegraphenverwaltnng für das Jahr 1894 ins-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/83>, abgerufen am 01.05.2024.