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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Innere Politik oder äußere?

<W
"ir jungen Deutschen von heute sind die Söhne unsrer Väter
auch in politischer Beziehung, aber solche, denen es im Vater¬
hause zu eng geworden ist. Aus jeder der alten Parteien sind
Abteilungen ausgezogen, haben sich zusammengethan und bilden
die kampfbereite Jugend, ein ve-r sac-rum, das bereit ist aufzu¬
brechen, um sich in der fremden Zukunft neue eigne Feinde und eigne Arbeit
zu suchen. Was uns allen gemein ist, das ist eigentlich nur die Unzufriedenheit
mit der Gegenwart und die Hoffnung auf die Zukunft, Eigenschaften, die nun
einmal von den Fehlern und Vorzügen der Jugend untrennbar sind. Aber in
einem Punkte denkt wohl die große Mehrzahl gleich. Das Wort "Sozialisten"
hat für uns den gehässigen Klang verloren, den es von 1878 her hatte; im
Gegenteil, wir lieben das Wort, wir spielen damit wie Knaben mit Früchten,
die eben noch verboten waren. Einige von uns nennen sich christlich-sozial,
andre deutsch-sozial, noch andre national-sozial, ja manche scheuen sich sogar
nicht, sich als Demokraten zu bekennen. Somit wären sie denn Sozialdemo¬
kraten. Und dennoch trennt uns ein Schlachtfeld von der Partei, die eigentlich
diesen Namen führt.

Ein Wort ist es, das uns grundsätzlich und immer von jenen Sozial-
dcmokrciten scheiden wird, das Wort "Revolution." Wir lächeln über die,
die glauben, die Sicherheit und das Glück der Ärmsten mit einem Pulses,
einem Kladderadatsch, einer Revolution zu erreichen. Wir können die wirt¬
schaftliche Kultur von oben her beobachten. Wir wissen, wie verletzlich, wie
znrt der Organismus einer Wirtschaft von fünfzig Millionen Menschen ist.
Jede plötzliche Störung muß Schaden bringen. Sowie eine Revolution auch
nur geahnt wird, stehen Hunderte von Betrieben still, sind tausende von


Grenzboten I 1897 1


Innere Politik oder äußere?

<W
«ir jungen Deutschen von heute sind die Söhne unsrer Väter
auch in politischer Beziehung, aber solche, denen es im Vater¬
hause zu eng geworden ist. Aus jeder der alten Parteien sind
Abteilungen ausgezogen, haben sich zusammengethan und bilden
die kampfbereite Jugend, ein ve-r sac-rum, das bereit ist aufzu¬
brechen, um sich in der fremden Zukunft neue eigne Feinde und eigne Arbeit
zu suchen. Was uns allen gemein ist, das ist eigentlich nur die Unzufriedenheit
mit der Gegenwart und die Hoffnung auf die Zukunft, Eigenschaften, die nun
einmal von den Fehlern und Vorzügen der Jugend untrennbar sind. Aber in
einem Punkte denkt wohl die große Mehrzahl gleich. Das Wort „Sozialisten"
hat für uns den gehässigen Klang verloren, den es von 1878 her hatte; im
Gegenteil, wir lieben das Wort, wir spielen damit wie Knaben mit Früchten,
die eben noch verboten waren. Einige von uns nennen sich christlich-sozial,
andre deutsch-sozial, noch andre national-sozial, ja manche scheuen sich sogar
nicht, sich als Demokraten zu bekennen. Somit wären sie denn Sozialdemo¬
kraten. Und dennoch trennt uns ein Schlachtfeld von der Partei, die eigentlich
diesen Namen führt.

Ein Wort ist es, das uns grundsätzlich und immer von jenen Sozial-
dcmokrciten scheiden wird, das Wort „Revolution." Wir lächeln über die,
die glauben, die Sicherheit und das Glück der Ärmsten mit einem Pulses,
einem Kladderadatsch, einer Revolution zu erreichen. Wir können die wirt¬
schaftliche Kultur von oben her beobachten. Wir wissen, wie verletzlich, wie
znrt der Organismus einer Wirtschaft von fünfzig Millionen Menschen ist.
Jede plötzliche Störung muß Schaden bringen. Sowie eine Revolution auch
nur geahnt wird, stehen Hunderte von Betrieben still, sind tausende von


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[0009] [Abbildung] Innere Politik oder äußere? <W «ir jungen Deutschen von heute sind die Söhne unsrer Väter auch in politischer Beziehung, aber solche, denen es im Vater¬ hause zu eng geworden ist. Aus jeder der alten Parteien sind Abteilungen ausgezogen, haben sich zusammengethan und bilden die kampfbereite Jugend, ein ve-r sac-rum, das bereit ist aufzu¬ brechen, um sich in der fremden Zukunft neue eigne Feinde und eigne Arbeit zu suchen. Was uns allen gemein ist, das ist eigentlich nur die Unzufriedenheit mit der Gegenwart und die Hoffnung auf die Zukunft, Eigenschaften, die nun einmal von den Fehlern und Vorzügen der Jugend untrennbar sind. Aber in einem Punkte denkt wohl die große Mehrzahl gleich. Das Wort „Sozialisten" hat für uns den gehässigen Klang verloren, den es von 1878 her hatte; im Gegenteil, wir lieben das Wort, wir spielen damit wie Knaben mit Früchten, die eben noch verboten waren. Einige von uns nennen sich christlich-sozial, andre deutsch-sozial, noch andre national-sozial, ja manche scheuen sich sogar nicht, sich als Demokraten zu bekennen. Somit wären sie denn Sozialdemo¬ kraten. Und dennoch trennt uns ein Schlachtfeld von der Partei, die eigentlich diesen Namen führt. Ein Wort ist es, das uns grundsätzlich und immer von jenen Sozial- dcmokrciten scheiden wird, das Wort „Revolution." Wir lächeln über die, die glauben, die Sicherheit und das Glück der Ärmsten mit einem Pulses, einem Kladderadatsch, einer Revolution zu erreichen. Wir können die wirt¬ schaftliche Kultur von oben her beobachten. Wir wissen, wie verletzlich, wie znrt der Organismus einer Wirtschaft von fünfzig Millionen Menschen ist. Jede plötzliche Störung muß Schaden bringen. Sowie eine Revolution auch nur geahnt wird, stehen Hunderte von Betrieben still, sind tausende von Grenzboten I 1897 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/9>, abgerufen am 01.05.2024.