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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

daß ich mit eurer Verachtung der Welle und der Anbetung des Kornfeldes nicht
recht gleichen Schritt halten konnte. Mir ist eben wie dem Atheisten -- der ich
aber nicht bin, fügte er lächelnd hinzu -- das siunenfnllige Einzelne allein das
Wirkliche und Anziehende, und eure Welteinheit, euer Kornfeld ist mir wie jenem
ein Nichts.

Es mögen bei mir ähnliche Gründe gewesen sein; genug, ich überwand diesen
Spinozismus noch in den Universitätsjahren, aber Spinozas einsame, rührende
Gestalt, seine Treue gegen das sittliche Weltgesetz, wie er es verstand, hat den
Primaner einst bezwungen und mir etwas in die Seele gepflanzt, das sich mit tausend
Wurzeln nun in mir ausgebreitet hat, ich will nicht denken wie er, aber sein wie er.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Politik, Geschäft und Religion.

Vor zwanzig Jahren wurde die Welt
noch nicht so ausschließlich vom Geschäft beherrscht wie heute; man hatte noch
Ideale, stritt noch um Grundsätze und ließ sich von beiden auch bei der Partei¬
nahme ini russisch-türkischen Kriege leiten. Sehr lebhaft nahm man Partei. Die
Konservativen und die Frommen -- beides fällt ja größtenteils zusammen -- sahen
in den Russen Gottesstreiter, die an den Türken ein wohlverdientes Strafgericht
vollstreckten, geknechtete und gepeinigte Christenbrüder befreiten und an der Stelle
der bankrotten Jslamswirtschaft eine christliche Ordnung aufrichteten; daß einem
richtigen Protestanten der Islam, von der Vielweiberei abgesehen, weniger anstößig
sein muß als der grobe Aberglaube und Zeremoniendienst, der sich in Rußland
Christentum nennt, wurde in der Begeisterung für das hohe Ziel übersehen. Da¬
gegen geberdeten sich die Liberalen, die sowohl in der Presse wie in den deutschen
Parlamenten die Mehrheit hatten, sehr russophob und turkophil, wie man es nannte.
Die Rufsophobie bedarf keiner Erklärung, die Türkenfreundschaft aber verstand sich
bei der damaligen geistigen Strömung von selbst, sobald von der andern Seite die
Rnssensache für die Sache des Christentums erklärt worden war. Unablässig wurde
der Türke als der einzige anständige Mensch in der Türkei gepriesen, die Rajah
als ein verkommnes Gesindel geschildert, und was die bnlx^riau "troeikiss anlangt,
so hielt man diese für eine Erfindung Gladstones und der Russen. Heute steht
Europa, steht Deutschland den Ereignissen weit kühler gegenüber; soweit sich leb¬
haftere Teilnahme regt, wird sie durch nichts weniger als durch ideale Interessen
bestimmt, und die Parteien haben die Stellung vertauscht. Rußland ist heute der
Beschützer des Großtürken, demnach nehmen anch unsre Konservativen für diesen
Partei. Die Fahrt des Bulgarenfürsten nach Berlin, wo er eine Unterredung mit
dem dahin bestellten Krupp hatte, veranlaßt die Berliner Politischen Nachrichten,
sich entschieden gegen etwaige bulgarische Auleihevcrsuche zu erklären, die höchst un¬
gelegen kommen würden in einem Augenblick, wo die deutsche Politik einen Erfolg
der türkischen Waffen wünschen müsse. Ja ein Blatt versteigt sich zu der Redens¬
art: "Kein andrer europäischer Staat würde die von der Türkei bewiesene Geduld


Maßgebliches und Unmaßgebliches

daß ich mit eurer Verachtung der Welle und der Anbetung des Kornfeldes nicht
recht gleichen Schritt halten konnte. Mir ist eben wie dem Atheisten — der ich
aber nicht bin, fügte er lächelnd hinzu — das siunenfnllige Einzelne allein das
Wirkliche und Anziehende, und eure Welteinheit, euer Kornfeld ist mir wie jenem
ein Nichts.

Es mögen bei mir ähnliche Gründe gewesen sein; genug, ich überwand diesen
Spinozismus noch in den Universitätsjahren, aber Spinozas einsame, rührende
Gestalt, seine Treue gegen das sittliche Weltgesetz, wie er es verstand, hat den
Primaner einst bezwungen und mir etwas in die Seele gepflanzt, das sich mit tausend
Wurzeln nun in mir ausgebreitet hat, ich will nicht denken wie er, aber sein wie er.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Politik, Geschäft und Religion.

Vor zwanzig Jahren wurde die Welt
noch nicht so ausschließlich vom Geschäft beherrscht wie heute; man hatte noch
Ideale, stritt noch um Grundsätze und ließ sich von beiden auch bei der Partei¬
nahme ini russisch-türkischen Kriege leiten. Sehr lebhaft nahm man Partei. Die
Konservativen und die Frommen — beides fällt ja größtenteils zusammen — sahen
in den Russen Gottesstreiter, die an den Türken ein wohlverdientes Strafgericht
vollstreckten, geknechtete und gepeinigte Christenbrüder befreiten und an der Stelle
der bankrotten Jslamswirtschaft eine christliche Ordnung aufrichteten; daß einem
richtigen Protestanten der Islam, von der Vielweiberei abgesehen, weniger anstößig
sein muß als der grobe Aberglaube und Zeremoniendienst, der sich in Rußland
Christentum nennt, wurde in der Begeisterung für das hohe Ziel übersehen. Da¬
gegen geberdeten sich die Liberalen, die sowohl in der Presse wie in den deutschen
Parlamenten die Mehrheit hatten, sehr russophob und turkophil, wie man es nannte.
Die Rufsophobie bedarf keiner Erklärung, die Türkenfreundschaft aber verstand sich
bei der damaligen geistigen Strömung von selbst, sobald von der andern Seite die
Rnssensache für die Sache des Christentums erklärt worden war. Unablässig wurde
der Türke als der einzige anständige Mensch in der Türkei gepriesen, die Rajah
als ein verkommnes Gesindel geschildert, und was die bnlx^riau »troeikiss anlangt,
so hielt man diese für eine Erfindung Gladstones und der Russen. Heute steht
Europa, steht Deutschland den Ereignissen weit kühler gegenüber; soweit sich leb¬
haftere Teilnahme regt, wird sie durch nichts weniger als durch ideale Interessen
bestimmt, und die Parteien haben die Stellung vertauscht. Rußland ist heute der
Beschützer des Großtürken, demnach nehmen anch unsre Konservativen für diesen
Partei. Die Fahrt des Bulgarenfürsten nach Berlin, wo er eine Unterredung mit
dem dahin bestellten Krupp hatte, veranlaßt die Berliner Politischen Nachrichten,
sich entschieden gegen etwaige bulgarische Auleihevcrsuche zu erklären, die höchst un¬
gelegen kommen würden in einem Augenblick, wo die deutsche Politik einen Erfolg
der türkischen Waffen wünschen müsse. Ja ein Blatt versteigt sich zu der Redens¬
art: „Kein andrer europäischer Staat würde die von der Türkei bewiesene Geduld


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[0211] Maßgebliches und Unmaßgebliches daß ich mit eurer Verachtung der Welle und der Anbetung des Kornfeldes nicht recht gleichen Schritt halten konnte. Mir ist eben wie dem Atheisten — der ich aber nicht bin, fügte er lächelnd hinzu — das siunenfnllige Einzelne allein das Wirkliche und Anziehende, und eure Welteinheit, euer Kornfeld ist mir wie jenem ein Nichts. Es mögen bei mir ähnliche Gründe gewesen sein; genug, ich überwand diesen Spinozismus noch in den Universitätsjahren, aber Spinozas einsame, rührende Gestalt, seine Treue gegen das sittliche Weltgesetz, wie er es verstand, hat den Primaner einst bezwungen und mir etwas in die Seele gepflanzt, das sich mit tausend Wurzeln nun in mir ausgebreitet hat, ich will nicht denken wie er, aber sein wie er. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Politik, Geschäft und Religion. Vor zwanzig Jahren wurde die Welt noch nicht so ausschließlich vom Geschäft beherrscht wie heute; man hatte noch Ideale, stritt noch um Grundsätze und ließ sich von beiden auch bei der Partei¬ nahme ini russisch-türkischen Kriege leiten. Sehr lebhaft nahm man Partei. Die Konservativen und die Frommen — beides fällt ja größtenteils zusammen — sahen in den Russen Gottesstreiter, die an den Türken ein wohlverdientes Strafgericht vollstreckten, geknechtete und gepeinigte Christenbrüder befreiten und an der Stelle der bankrotten Jslamswirtschaft eine christliche Ordnung aufrichteten; daß einem richtigen Protestanten der Islam, von der Vielweiberei abgesehen, weniger anstößig sein muß als der grobe Aberglaube und Zeremoniendienst, der sich in Rußland Christentum nennt, wurde in der Begeisterung für das hohe Ziel übersehen. Da¬ gegen geberdeten sich die Liberalen, die sowohl in der Presse wie in den deutschen Parlamenten die Mehrheit hatten, sehr russophob und turkophil, wie man es nannte. Die Rufsophobie bedarf keiner Erklärung, die Türkenfreundschaft aber verstand sich bei der damaligen geistigen Strömung von selbst, sobald von der andern Seite die Rnssensache für die Sache des Christentums erklärt worden war. Unablässig wurde der Türke als der einzige anständige Mensch in der Türkei gepriesen, die Rajah als ein verkommnes Gesindel geschildert, und was die bnlx^riau »troeikiss anlangt, so hielt man diese für eine Erfindung Gladstones und der Russen. Heute steht Europa, steht Deutschland den Ereignissen weit kühler gegenüber; soweit sich leb¬ haftere Teilnahme regt, wird sie durch nichts weniger als durch ideale Interessen bestimmt, und die Parteien haben die Stellung vertauscht. Rußland ist heute der Beschützer des Großtürken, demnach nehmen anch unsre Konservativen für diesen Partei. Die Fahrt des Bulgarenfürsten nach Berlin, wo er eine Unterredung mit dem dahin bestellten Krupp hatte, veranlaßt die Berliner Politischen Nachrichten, sich entschieden gegen etwaige bulgarische Auleihevcrsuche zu erklären, die höchst un¬ gelegen kommen würden in einem Augenblick, wo die deutsche Politik einen Erfolg der türkischen Waffen wünschen müsse. Ja ein Blatt versteigt sich zu der Redens¬ art: „Kein andrer europäischer Staat würde die von der Türkei bewiesene Geduld

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/211>, abgerufen am 06.05.2024.