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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich

er antisemitische Kongreß in Lyon am 25. November 1396 ver¬
dient in mehrfacher Beziehung Beachtung. Wie sich der Kongreß
zeitlich den Kundgebungen der Bischöfe und der republikanischen
Kleriker angeschlossen hat, so ist auch weit mehr als bei frühern
Gelegenheiten der innere, sachliche Zusammenhang zwischen der
katholischen und der antisemitischen Bewegung in Frankreich bemerkbar geworden.
Wer die Schriften der Brüder Lmnann gelesen hatte, der bekehrten Israe-
liten aus dem Elsaß, die jetzt Priester sind und eine ähnliche Rolle zu spielen
berufen zu sein scheinen wie früher ihre Landsleute und ehemaligen Glaubens¬
genossen, die Brüder Theodor und Alfons Ratisbonne, die Stifter der Be¬
kehrungsanstalt Avers V-Mo as Sion, wer die ältere Litteratur über die
Stellung der katholischen Kirche zur Judenfrage verfolgt hat, z. B. die
Schriften von Gvugenot des Mousseaux: us ^nit, 1s ^uäiüsinö se la ^uäal-
8-z.lion ass xsuples vurstisus, vou Ubbo Chalmuty: I^<Z8 ^ulks, no8 nuntrss,
von Saint-Andrs: Kranes eng-^vns se ^uns, dem konnte nicht entgehen,
daß ein Feldzug gegen die Juden planmäßig vorbereitet wurde, wobei
die Juden nicht nur als Feinde der katholischen Religion, sondern auch
als Feinde der französischen Nation angeschwärzt und als Mitglieder einer
internationalen freimaurerischen Verschwörung gekennzeichnet wurden, die es
aus den katholischen Glauben nicht minder abgesehen hätten wie auf das
katholische Kapital. Als Drummond La l^nos Mos herausgab, da war
diese Bewegung längst im Gange. Der Zusammenhang dieser litterarischen
und kirchlichen Bestrebungen wurde aber besonders ersichtlich durch den ein¬
stimmigen Beschluß des Kongresses von Lhon, durch den der Antrag des neuen
Führers der Antisemiten, d'Elissagaray, angenommen wurde, der lautet:
"In Erwägung, daß die Juden die pornographische Litteratur begünstigen, die
Ehescheidung in Frankreich eingeführt, Wucher und den Diebstahl begünstigende
Gesetze ins Land gebracht haben, daß sie das Vaterland zu verraten stets
bereit sind, soll das Gesetz von 1791, das die Juden in den bürgerlichen Ver¬
band aufgenommen hat, und soll das Dekret von 1870, das den Juden von
Algier die Rechte französischer Staatsbürger verliehen hat, aufgehoben werden;
in Erwartung solcher Gesetze aber sollen einstweilen die Juden von der Lauf¬
bahn als Lehrer, als Richter, Beamte oder Offiziere ausgeschlossen werden."




Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich

er antisemitische Kongreß in Lyon am 25. November 1396 ver¬
dient in mehrfacher Beziehung Beachtung. Wie sich der Kongreß
zeitlich den Kundgebungen der Bischöfe und der republikanischen
Kleriker angeschlossen hat, so ist auch weit mehr als bei frühern
Gelegenheiten der innere, sachliche Zusammenhang zwischen der
katholischen und der antisemitischen Bewegung in Frankreich bemerkbar geworden.
Wer die Schriften der Brüder Lmnann gelesen hatte, der bekehrten Israe-
liten aus dem Elsaß, die jetzt Priester sind und eine ähnliche Rolle zu spielen
berufen zu sein scheinen wie früher ihre Landsleute und ehemaligen Glaubens¬
genossen, die Brüder Theodor und Alfons Ratisbonne, die Stifter der Be¬
kehrungsanstalt Avers V-Mo as Sion, wer die ältere Litteratur über die
Stellung der katholischen Kirche zur Judenfrage verfolgt hat, z. B. die
Schriften von Gvugenot des Mousseaux: us ^nit, 1s ^uäiüsinö se la ^uäal-
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von Saint-Andrs: Kranes eng-^vns se ^uns, dem konnte nicht entgehen,
daß ein Feldzug gegen die Juden planmäßig vorbereitet wurde, wobei
die Juden nicht nur als Feinde der katholischen Religion, sondern auch
als Feinde der französischen Nation angeschwärzt und als Mitglieder einer
internationalen freimaurerischen Verschwörung gekennzeichnet wurden, die es
aus den katholischen Glauben nicht minder abgesehen hätten wie auf das
katholische Kapital. Als Drummond La l^nos Mos herausgab, da war
diese Bewegung längst im Gange. Der Zusammenhang dieser litterarischen
und kirchlichen Bestrebungen wurde aber besonders ersichtlich durch den ein¬
stimmigen Beschluß des Kongresses von Lhon, durch den der Antrag des neuen
Führers der Antisemiten, d'Elissagaray, angenommen wurde, der lautet:
„In Erwägung, daß die Juden die pornographische Litteratur begünstigen, die
Ehescheidung in Frankreich eingeführt, Wucher und den Diebstahl begünstigende
Gesetze ins Land gebracht haben, daß sie das Vaterland zu verraten stets
bereit sind, soll das Gesetz von 1791, das die Juden in den bürgerlichen Ver¬
band aufgenommen hat, und soll das Dekret von 1870, das den Juden von
Algier die Rechte französischer Staatsbürger verliehen hat, aufgehoben werden;
in Erwartung solcher Gesetze aber sollen einstweilen die Juden von der Lauf¬
bahn als Lehrer, als Richter, Beamte oder Offiziere ausgeschlossen werden."


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[0279] [Abbildung] Zur antisemitischen Bewegung in Frankreich er antisemitische Kongreß in Lyon am 25. November 1396 ver¬ dient in mehrfacher Beziehung Beachtung. Wie sich der Kongreß zeitlich den Kundgebungen der Bischöfe und der republikanischen Kleriker angeschlossen hat, so ist auch weit mehr als bei frühern Gelegenheiten der innere, sachliche Zusammenhang zwischen der katholischen und der antisemitischen Bewegung in Frankreich bemerkbar geworden. Wer die Schriften der Brüder Lmnann gelesen hatte, der bekehrten Israe- liten aus dem Elsaß, die jetzt Priester sind und eine ähnliche Rolle zu spielen berufen zu sein scheinen wie früher ihre Landsleute und ehemaligen Glaubens¬ genossen, die Brüder Theodor und Alfons Ratisbonne, die Stifter der Be¬ kehrungsanstalt Avers V-Mo as Sion, wer die ältere Litteratur über die Stellung der katholischen Kirche zur Judenfrage verfolgt hat, z. B. die Schriften von Gvugenot des Mousseaux: us ^nit, 1s ^uäiüsinö se la ^uäal- 8-z.lion ass xsuples vurstisus, vou Ubbo Chalmuty: I^<Z8 ^ulks, no8 nuntrss, von Saint-Andrs: Kranes eng-^vns se ^uns, dem konnte nicht entgehen, daß ein Feldzug gegen die Juden planmäßig vorbereitet wurde, wobei die Juden nicht nur als Feinde der katholischen Religion, sondern auch als Feinde der französischen Nation angeschwärzt und als Mitglieder einer internationalen freimaurerischen Verschwörung gekennzeichnet wurden, die es aus den katholischen Glauben nicht minder abgesehen hätten wie auf das katholische Kapital. Als Drummond La l^nos Mos herausgab, da war diese Bewegung längst im Gange. Der Zusammenhang dieser litterarischen und kirchlichen Bestrebungen wurde aber besonders ersichtlich durch den ein¬ stimmigen Beschluß des Kongresses von Lhon, durch den der Antrag des neuen Führers der Antisemiten, d'Elissagaray, angenommen wurde, der lautet: „In Erwägung, daß die Juden die pornographische Litteratur begünstigen, die Ehescheidung in Frankreich eingeführt, Wucher und den Diebstahl begünstigende Gesetze ins Land gebracht haben, daß sie das Vaterland zu verraten stets bereit sind, soll das Gesetz von 1791, das die Juden in den bürgerlichen Ver¬ band aufgenommen hat, und soll das Dekret von 1870, das den Juden von Algier die Rechte französischer Staatsbürger verliehen hat, aufgehoben werden; in Erwartung solcher Gesetze aber sollen einstweilen die Juden von der Lauf¬ bahn als Lehrer, als Richter, Beamte oder Offiziere ausgeschlossen werden."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/279>, abgerufen am 07.05.2024.