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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Das Dreiklassenwahlsystem
von einem höhern preußischen Verwaltungsbeamten

s ist eine eigentümliche Erscheinung unsrer Zeit, die freilich aus
der in das innere Staatsleben eingedrungnen reaktionären Strö¬
mung erklärlich wird, daß sich das so vielfach und so scharf an¬
gegriffne Dreiklassenwahlsystem, das in Preußen für das Ab¬
geordnetenhaus und in den alten Provinzen auch für die Ge¬
meindeverwaltung besteht, nicht allein erhält, sondern sogar noch weiter ausdehnt.
In Sachsen ist es in den letzten Jahren durch Ortsstatnte in verschiednen
Städten für die Gemeindewahlen und dann durch Gesetz allgemein für die
Wahlen zum Landtag eingeführt worden, und jetzt wird es mit der neuen
Städte- und Landgemeindeordnung für Hessen-Nassau trotz heftiger Wider¬
sprüche der Bevölkerung auch in dein vormaligen Kurfürstentum Hessen ein¬
geführt werden. Das gleiche Wahlrecht aller Bürger für die Gemeindewahlen
besteht dann im Königreich Preußen nur noch in den Provinzen Hannover
und Schleswig-Holstein, es ist aber wohl mit Gewißheit zu erwarten, daß
auch für diese Provinzen die Einführung des Drciklassenwahlsystems für die
Gemeindewahlen erstrebt werden wird. In Hannover haben schon starke
Agitationen stattgefunden, die erst nach langen Kämpfen in den Bürgcrvereinen
zurückgeschlagen worden sind.

> - Von den Gegnern wird das Dreiklassenwahlsystem, oft gestützt auf ein
früheres Urteil des Fürsten Bismarck, als das schlechteste aller Wahlsysteme
bezeichnet, und die Verteidiger behaupten keineswegs etwa, daß es das beste
sei oder sich etwa besonders bewährt habe, sie können in der Regel für die
Erhaltung nur anführen, daß es dem gleichen Wahlrechte gegenüber das kleinere
Übel, und daß noch kein besseres Wahlrecht gefunden worden sei. Um ein zu¬
verlässiges Urteil über seinen Wert zu gewinnen und insbesondre darüber, ob


Grenzboten II 18S7 Z<"


Das Dreiklassenwahlsystem
von einem höhern preußischen Verwaltungsbeamten

s ist eine eigentümliche Erscheinung unsrer Zeit, die freilich aus
der in das innere Staatsleben eingedrungnen reaktionären Strö¬
mung erklärlich wird, daß sich das so vielfach und so scharf an¬
gegriffne Dreiklassenwahlsystem, das in Preußen für das Ab¬
geordnetenhaus und in den alten Provinzen auch für die Ge¬
meindeverwaltung besteht, nicht allein erhält, sondern sogar noch weiter ausdehnt.
In Sachsen ist es in den letzten Jahren durch Ortsstatnte in verschiednen
Städten für die Gemeindewahlen und dann durch Gesetz allgemein für die
Wahlen zum Landtag eingeführt worden, und jetzt wird es mit der neuen
Städte- und Landgemeindeordnung für Hessen-Nassau trotz heftiger Wider¬
sprüche der Bevölkerung auch in dein vormaligen Kurfürstentum Hessen ein¬
geführt werden. Das gleiche Wahlrecht aller Bürger für die Gemeindewahlen
besteht dann im Königreich Preußen nur noch in den Provinzen Hannover
und Schleswig-Holstein, es ist aber wohl mit Gewißheit zu erwarten, daß
auch für diese Provinzen die Einführung des Drciklassenwahlsystems für die
Gemeindewahlen erstrebt werden wird. In Hannover haben schon starke
Agitationen stattgefunden, die erst nach langen Kämpfen in den Bürgcrvereinen
zurückgeschlagen worden sind.

> - Von den Gegnern wird das Dreiklassenwahlsystem, oft gestützt auf ein
früheres Urteil des Fürsten Bismarck, als das schlechteste aller Wahlsysteme
bezeichnet, und die Verteidiger behaupten keineswegs etwa, daß es das beste
sei oder sich etwa besonders bewährt habe, sie können in der Regel für die
Erhaltung nur anführen, daß es dem gleichen Wahlrechte gegenüber das kleinere
Übel, und daß noch kein besseres Wahlrecht gefunden worden sei. Um ein zu¬
verlässiges Urteil über seinen Wert zu gewinnen und insbesondre darüber, ob


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[0313] [Abbildung] Das Dreiklassenwahlsystem von einem höhern preußischen Verwaltungsbeamten s ist eine eigentümliche Erscheinung unsrer Zeit, die freilich aus der in das innere Staatsleben eingedrungnen reaktionären Strö¬ mung erklärlich wird, daß sich das so vielfach und so scharf an¬ gegriffne Dreiklassenwahlsystem, das in Preußen für das Ab¬ geordnetenhaus und in den alten Provinzen auch für die Ge¬ meindeverwaltung besteht, nicht allein erhält, sondern sogar noch weiter ausdehnt. In Sachsen ist es in den letzten Jahren durch Ortsstatnte in verschiednen Städten für die Gemeindewahlen und dann durch Gesetz allgemein für die Wahlen zum Landtag eingeführt worden, und jetzt wird es mit der neuen Städte- und Landgemeindeordnung für Hessen-Nassau trotz heftiger Wider¬ sprüche der Bevölkerung auch in dein vormaligen Kurfürstentum Hessen ein¬ geführt werden. Das gleiche Wahlrecht aller Bürger für die Gemeindewahlen besteht dann im Königreich Preußen nur noch in den Provinzen Hannover und Schleswig-Holstein, es ist aber wohl mit Gewißheit zu erwarten, daß auch für diese Provinzen die Einführung des Drciklassenwahlsystems für die Gemeindewahlen erstrebt werden wird. In Hannover haben schon starke Agitationen stattgefunden, die erst nach langen Kämpfen in den Bürgcrvereinen zurückgeschlagen worden sind. > - Von den Gegnern wird das Dreiklassenwahlsystem, oft gestützt auf ein früheres Urteil des Fürsten Bismarck, als das schlechteste aller Wahlsysteme bezeichnet, und die Verteidiger behaupten keineswegs etwa, daß es das beste sei oder sich etwa besonders bewährt habe, sie können in der Regel für die Erhaltung nur anführen, daß es dem gleichen Wahlrechte gegenüber das kleinere Übel, und daß noch kein besseres Wahlrecht gefunden worden sei. Um ein zu¬ verlässiges Urteil über seinen Wert zu gewinnen und insbesondre darüber, ob Grenzboten II 18S7 Z<»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/313>, abgerufen am 06.05.2024.