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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Tierfabel

er Sturm gegen die Kunstakademien, die er für Brutstätten von Stümpern
hält, und bei dieser Polemik ist ihm das Mißgeschick begegnet, daß er sich
in einem Aufsatz über die Berliner Akademie zur Feier ihres zweihundert¬
jährigen Bestehens in der unter seiner Obhut stehenden Zeitschrift Pan, um
seine vernichtende Kritik der jetzigen Zustünde der Akademie zu rechtfertigen,
auf eine Kabinettsordre Friedrichs des Großen vom 21. Januar 1786 berief,
die weder unter diesem, noch unter einem andern Datum jemals erlassen worden
ist. Diese Unvorsichtigkeit, die dadurch noch schlimmer wurde, daß Bode aus
der angeblichen Kabinettsordre Einzelheiten "in freier Umschreibung" mitteilte,
hat den Direktor der Kunstakademie, A. von Werner, gereizt, der Sache auf
deu Grund zu gehen, und das Ergebnis seiner Bemühungen, das er in einem
Aufsatz des Januarhefts der Deutschen Revue ausführlich geschildert hat,
war, daß Bode nicht nachweisen konnte, woher er seine Nachrichten über die
Kabinettsordre Friedrichs des Großen geschöpft hatte. Er entschuldigte sich
damit, daß er den Aufsatz auf einer Reise nach Italien habe schreiben müssen,
und daß er nach Vollendung des Aussatzes "das Konzept und die Exzerpte
nicht mit zurückgebracht habe." Auf den Artikel Werners hat er bisher nichts
erwidert. Er hat die Kabinettsordre immer noch nicht nachweisen können. Er
würde die erlittne Schlappe leicht in Vergessenheit bringen, wenn er in Zukunft
darauf verzichtete, sich auf einem Gebiete zu bewegen, das ihm erst in spätern
Lebensjahren bekannt geworden ist. Die Förderung der alten Kunst würde
durch eine solche Zurückhaltung nur gewinnen, und die moderne Kunst würde
wieder andre, vielleicht richtigere Wege einschlagen, wenn die trefflichen
Direktoren von Gemäldesammlungen alter Meister sich nicht in den Gang
der lebenden Kunst einmischen, sondern sich wieder auf ihre eigentlichen, viel
wichtigern Aufgaben besannen.




Die Tierfabel
v Heinrich Schurtz on (in

le ganze menschliche Geschlechter, die einst ruhmvoll geglänzt
haben, zuletzt aussterben und vergehen, so verschwinden auch
manche Kunstgattungen, denen einst die Besten ihre Kraft wid¬
meten, und die der allgemeine Beifall begünstigte, zuweilen in
überraschend kurzer Zeit aus der Litteratur. Meist sind es Ge¬
wächse aus fremden Zonen, die, auf den heimischen Boden übertragen, sich


Die Tierfabel

er Sturm gegen die Kunstakademien, die er für Brutstätten von Stümpern
hält, und bei dieser Polemik ist ihm das Mißgeschick begegnet, daß er sich
in einem Aufsatz über die Berliner Akademie zur Feier ihres zweihundert¬
jährigen Bestehens in der unter seiner Obhut stehenden Zeitschrift Pan, um
seine vernichtende Kritik der jetzigen Zustünde der Akademie zu rechtfertigen,
auf eine Kabinettsordre Friedrichs des Großen vom 21. Januar 1786 berief,
die weder unter diesem, noch unter einem andern Datum jemals erlassen worden
ist. Diese Unvorsichtigkeit, die dadurch noch schlimmer wurde, daß Bode aus
der angeblichen Kabinettsordre Einzelheiten „in freier Umschreibung" mitteilte,
hat den Direktor der Kunstakademie, A. von Werner, gereizt, der Sache auf
deu Grund zu gehen, und das Ergebnis seiner Bemühungen, das er in einem
Aufsatz des Januarhefts der Deutschen Revue ausführlich geschildert hat,
war, daß Bode nicht nachweisen konnte, woher er seine Nachrichten über die
Kabinettsordre Friedrichs des Großen geschöpft hatte. Er entschuldigte sich
damit, daß er den Aufsatz auf einer Reise nach Italien habe schreiben müssen,
und daß er nach Vollendung des Aussatzes „das Konzept und die Exzerpte
nicht mit zurückgebracht habe." Auf den Artikel Werners hat er bisher nichts
erwidert. Er hat die Kabinettsordre immer noch nicht nachweisen können. Er
würde die erlittne Schlappe leicht in Vergessenheit bringen, wenn er in Zukunft
darauf verzichtete, sich auf einem Gebiete zu bewegen, das ihm erst in spätern
Lebensjahren bekannt geworden ist. Die Förderung der alten Kunst würde
durch eine solche Zurückhaltung nur gewinnen, und die moderne Kunst würde
wieder andre, vielleicht richtigere Wege einschlagen, wenn die trefflichen
Direktoren von Gemäldesammlungen alter Meister sich nicht in den Gang
der lebenden Kunst einmischen, sondern sich wieder auf ihre eigentlichen, viel
wichtigern Aufgaben besannen.




Die Tierfabel
v Heinrich Schurtz on (in

le ganze menschliche Geschlechter, die einst ruhmvoll geglänzt
haben, zuletzt aussterben und vergehen, so verschwinden auch
manche Kunstgattungen, denen einst die Besten ihre Kraft wid¬
meten, und die der allgemeine Beifall begünstigte, zuweilen in
überraschend kurzer Zeit aus der Litteratur. Meist sind es Ge¬
wächse aus fremden Zonen, die, auf den heimischen Boden übertragen, sich


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[0388] Die Tierfabel er Sturm gegen die Kunstakademien, die er für Brutstätten von Stümpern hält, und bei dieser Polemik ist ihm das Mißgeschick begegnet, daß er sich in einem Aufsatz über die Berliner Akademie zur Feier ihres zweihundert¬ jährigen Bestehens in der unter seiner Obhut stehenden Zeitschrift Pan, um seine vernichtende Kritik der jetzigen Zustünde der Akademie zu rechtfertigen, auf eine Kabinettsordre Friedrichs des Großen vom 21. Januar 1786 berief, die weder unter diesem, noch unter einem andern Datum jemals erlassen worden ist. Diese Unvorsichtigkeit, die dadurch noch schlimmer wurde, daß Bode aus der angeblichen Kabinettsordre Einzelheiten „in freier Umschreibung" mitteilte, hat den Direktor der Kunstakademie, A. von Werner, gereizt, der Sache auf deu Grund zu gehen, und das Ergebnis seiner Bemühungen, das er in einem Aufsatz des Januarhefts der Deutschen Revue ausführlich geschildert hat, war, daß Bode nicht nachweisen konnte, woher er seine Nachrichten über die Kabinettsordre Friedrichs des Großen geschöpft hatte. Er entschuldigte sich damit, daß er den Aufsatz auf einer Reise nach Italien habe schreiben müssen, und daß er nach Vollendung des Aussatzes „das Konzept und die Exzerpte nicht mit zurückgebracht habe." Auf den Artikel Werners hat er bisher nichts erwidert. Er hat die Kabinettsordre immer noch nicht nachweisen können. Er würde die erlittne Schlappe leicht in Vergessenheit bringen, wenn er in Zukunft darauf verzichtete, sich auf einem Gebiete zu bewegen, das ihm erst in spätern Lebensjahren bekannt geworden ist. Die Förderung der alten Kunst würde durch eine solche Zurückhaltung nur gewinnen, und die moderne Kunst würde wieder andre, vielleicht richtigere Wege einschlagen, wenn die trefflichen Direktoren von Gemäldesammlungen alter Meister sich nicht in den Gang der lebenden Kunst einmischen, sondern sich wieder auf ihre eigentlichen, viel wichtigern Aufgaben besannen. Die Tierfabel v Heinrich Schurtz on (in le ganze menschliche Geschlechter, die einst ruhmvoll geglänzt haben, zuletzt aussterben und vergehen, so verschwinden auch manche Kunstgattungen, denen einst die Besten ihre Kraft wid¬ meten, und die der allgemeine Beifall begünstigte, zuweilen in überraschend kurzer Zeit aus der Litteratur. Meist sind es Ge¬ wächse aus fremden Zonen, die, auf den heimischen Boden übertragen, sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/388>, abgerufen am 06.05.2024.