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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Interesse

Annehmlichkeiten mit einander zu vereinigen, weil da noch nicht so schrecklich
viel und nicht das ganze Jahr über gereist wurde. Auf einem stundenlangen
Spaziergange am Starnberger See an einem herrlichen Sonntag Nachmittag
im Frühsommer habe ich einen einzigen Menschen, beim Besteigen des Herzogs¬
stands im Sommer darauf zwei Menschen angetroffen. In ein paar Hotels
an den italienischen Seen war ich im August 1879 der einzige Gast. Jetzt,
nachdem die Gvtthardbcihn fertig ist, wimmelt es auch im Juli und August
in Oberitalien von Deutschen. Ganz allein herumzustreichen ist freilich auf
die Dauer auch unangenehm, und so ergriff ich denn die mir sich später
darbietende Gelegenheit, eine Reihe von Jahren einen jungen Begleiter mit¬
zunehmen, dem ich meine Eindrücke und Einfälle vorschwatzen konnte.




Interesse
v Gustav Aleinert on

chon auf der Schule, wo uns doch wegen der vielen Arbeiten in den
vielen Fächern für die vielen Lehrer so wenig Zeit übrig bleibt,
auch einmal etwas nachzudenken, bin ich über ein Fremdwort
gestolpert, dessen Bedeutung uns erst in spätern Jahren so recht
ausgeht, über das Wort Interesse. Unser Oberlehrer in Prima,
der gern sämtliche Fremdwörter ausgerottet Hütte, machte in diesem Bestreben
auch vor dem weltbewegenden Wort Interesse nicht Halt und zwang uns,
irgend einen armseligen, abgeblaßten Ausdruck dafür herbeizuschleppen. Heute,
wo mir von all den Vokabeln, Formeln und Zahlen, über die beim Abitu¬
rientenexamen Parade abgehalten wird, nur noch ganz wenig übrig geblieben
ist, sodaß ich nicht einmal genau mehr sagen könnte, wann Amanema II. regierte,
und wie man einen abgestumpften Kegel aufrechnet, kann ich es daher schon
wagen, mich an jenes Fremdwort heranzumachen und mir über den eigentlichen
Gehalt dieses Wortes Klarheit zu verschaffen.

Als ich die lateinische Vokabel sum mit dem komischen Perfektum den und
dem noch komischem Infinitiv es"ö vorschriftsmüßig meinem Gedächtnis ein¬
verleibte und mich dann auch noch mit dem Kompositum intsi-8ulu und dem
berühmten Infinitiv intoressö vertraut machte, war ich noch ein glücklicher
Mensch, der sorglos mit diesem menschen- und völkervernichtenden Wörtchen
herumhantirte. Und doch spielte schon damals das Interesse eine gerade so
große Rolle wie jetzt oder zur Zeit des weisen Solon. Ja man kann sagen,


Interesse

Annehmlichkeiten mit einander zu vereinigen, weil da noch nicht so schrecklich
viel und nicht das ganze Jahr über gereist wurde. Auf einem stundenlangen
Spaziergange am Starnberger See an einem herrlichen Sonntag Nachmittag
im Frühsommer habe ich einen einzigen Menschen, beim Besteigen des Herzogs¬
stands im Sommer darauf zwei Menschen angetroffen. In ein paar Hotels
an den italienischen Seen war ich im August 1879 der einzige Gast. Jetzt,
nachdem die Gvtthardbcihn fertig ist, wimmelt es auch im Juli und August
in Oberitalien von Deutschen. Ganz allein herumzustreichen ist freilich auf
die Dauer auch unangenehm, und so ergriff ich denn die mir sich später
darbietende Gelegenheit, eine Reihe von Jahren einen jungen Begleiter mit¬
zunehmen, dem ich meine Eindrücke und Einfälle vorschwatzen konnte.




Interesse
v Gustav Aleinert on

chon auf der Schule, wo uns doch wegen der vielen Arbeiten in den
vielen Fächern für die vielen Lehrer so wenig Zeit übrig bleibt,
auch einmal etwas nachzudenken, bin ich über ein Fremdwort
gestolpert, dessen Bedeutung uns erst in spätern Jahren so recht
ausgeht, über das Wort Interesse. Unser Oberlehrer in Prima,
der gern sämtliche Fremdwörter ausgerottet Hütte, machte in diesem Bestreben
auch vor dem weltbewegenden Wort Interesse nicht Halt und zwang uns,
irgend einen armseligen, abgeblaßten Ausdruck dafür herbeizuschleppen. Heute,
wo mir von all den Vokabeln, Formeln und Zahlen, über die beim Abitu¬
rientenexamen Parade abgehalten wird, nur noch ganz wenig übrig geblieben
ist, sodaß ich nicht einmal genau mehr sagen könnte, wann Amanema II. regierte,
und wie man einen abgestumpften Kegel aufrechnet, kann ich es daher schon
wagen, mich an jenes Fremdwort heranzumachen und mir über den eigentlichen
Gehalt dieses Wortes Klarheit zu verschaffen.

Als ich die lateinische Vokabel sum mit dem komischen Perfektum den und
dem noch komischem Infinitiv es«ö vorschriftsmüßig meinem Gedächtnis ein¬
verleibte und mich dann auch noch mit dem Kompositum intsi-8ulu und dem
berühmten Infinitiv intoressö vertraut machte, war ich noch ein glücklicher
Mensch, der sorglos mit diesem menschen- und völkervernichtenden Wörtchen
herumhantirte. Und doch spielte schon damals das Interesse eine gerade so
große Rolle wie jetzt oder zur Zeit des weisen Solon. Ja man kann sagen,


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[0442] Interesse Annehmlichkeiten mit einander zu vereinigen, weil da noch nicht so schrecklich viel und nicht das ganze Jahr über gereist wurde. Auf einem stundenlangen Spaziergange am Starnberger See an einem herrlichen Sonntag Nachmittag im Frühsommer habe ich einen einzigen Menschen, beim Besteigen des Herzogs¬ stands im Sommer darauf zwei Menschen angetroffen. In ein paar Hotels an den italienischen Seen war ich im August 1879 der einzige Gast. Jetzt, nachdem die Gvtthardbcihn fertig ist, wimmelt es auch im Juli und August in Oberitalien von Deutschen. Ganz allein herumzustreichen ist freilich auf die Dauer auch unangenehm, und so ergriff ich denn die mir sich später darbietende Gelegenheit, eine Reihe von Jahren einen jungen Begleiter mit¬ zunehmen, dem ich meine Eindrücke und Einfälle vorschwatzen konnte. Interesse v Gustav Aleinert on chon auf der Schule, wo uns doch wegen der vielen Arbeiten in den vielen Fächern für die vielen Lehrer so wenig Zeit übrig bleibt, auch einmal etwas nachzudenken, bin ich über ein Fremdwort gestolpert, dessen Bedeutung uns erst in spätern Jahren so recht ausgeht, über das Wort Interesse. Unser Oberlehrer in Prima, der gern sämtliche Fremdwörter ausgerottet Hütte, machte in diesem Bestreben auch vor dem weltbewegenden Wort Interesse nicht Halt und zwang uns, irgend einen armseligen, abgeblaßten Ausdruck dafür herbeizuschleppen. Heute, wo mir von all den Vokabeln, Formeln und Zahlen, über die beim Abitu¬ rientenexamen Parade abgehalten wird, nur noch ganz wenig übrig geblieben ist, sodaß ich nicht einmal genau mehr sagen könnte, wann Amanema II. regierte, und wie man einen abgestumpften Kegel aufrechnet, kann ich es daher schon wagen, mich an jenes Fremdwort heranzumachen und mir über den eigentlichen Gehalt dieses Wortes Klarheit zu verschaffen. Als ich die lateinische Vokabel sum mit dem komischen Perfektum den und dem noch komischem Infinitiv es«ö vorschriftsmüßig meinem Gedächtnis ein¬ verleibte und mich dann auch noch mit dem Kompositum intsi-8ulu und dem berühmten Infinitiv intoressö vertraut machte, war ich noch ein glücklicher Mensch, der sorglos mit diesem menschen- und völkervernichtenden Wörtchen herumhantirte. Und doch spielte schon damals das Interesse eine gerade so große Rolle wie jetzt oder zur Zeit des weisen Solon. Ja man kann sagen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/442>, abgerufen am 07.05.2024.