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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Vom Neudarwinismns

bis in seine Tiefe erregte, seine Niederlage fast staunend erkennende französische
Volk verlangte ein sichtbares Opfer.

Hätte er das Glück gehabt, daß Napoleon den französischen Thron wieder
bestiegen hätte, er würde sicher, wie General Dupont, Pair von Frankreich
geworden sein.




Vom Neudarwinismus

eutigentags giebt es kaum noch eine religiöse oder religions¬
feindliche, kaum noch eine politische, soziale oder wirtschaftliche
Partei, die sich nicht einbildete, die Berechtigung ihrer Forde¬
rungen "naturwissenschaftlich" beweisen zu können. In diesen
Hexensabbat!) naturwissenschaftlicher Systeme, die einander wider¬
sprechen, von denen aber jedes für sich die Unfehlbarkeit und Unwiderleglichkeit in
Anspruch nimmt, kann man nicht oft genug eine wirklich unwiderlegliche Wahrheit
hineinrufen, die wir in den letzten der unter dem Titel "Buckle und Darwin"
im Jahrgang 1889 dieser Zeitschrift erschienenen Aufsätze ausgesprochen haben.
Wir führten da einen Satz Darwins an (Das Variiren der Tiere und
Pflanzen I, 9), worin er seine Hypothese von der natürlichen Zuchtwahl für
gleichberechtigt erklärt mit der Uudulationstheorie der Optiker. Dazu be¬
merkten wir: "Wer den Darwinismus sür gleichwertig hält mit den physika¬
lischen Hypothesen, der begeht zwei grobe Fehler. Die Physikalischen Hypo¬
thesen werden benutzt zur Erklärung von Erscheinungen, die sich vor unsern
Augen ereignen; die Lehre von der Entstehung der Arten durch Zuchtwahl
aber soll Erscheinungen erklären, die kein Mensch gesehen hat, sondern von
denen diese Lehre behauptet, daß sie sich vor Millionen Jahren zugetragen
hätten. Der Darwinianer mutet uns zu, daß wir die Erscheinungen glauben
sollen, die er uns erklären will; die Erscheinungen, die der Physiker erklärt,
brauchen wir nicht zu glauben, denn wir sehen sie. Daß beim Zusammen¬
treffen zweier Lichtstrahlen das Licht manchmal verstärkt, manchmal geschwächt
und unter besondern Umständen ausgelöscht wird, kauu jeder sehen, der nicht blind
ist; und diese sogenannten Jnterferenzcrscheinungen waren es zunächst, die den
Physiker Joung in der Wellentheorie bestärkten. Erst dann würde der Vergleich
richtig sein, wenn die Physiker mit ihren Theorien nicht mehr bloß die gegen¬
wärtig sich ereignenden Naturerscheinungen erklären, sondern begreiflich machen
wollten, wie vor Zeiten die einfachen Stoffe entstanden sind, an denen jene Er-


Vom Neudarwinismns

bis in seine Tiefe erregte, seine Niederlage fast staunend erkennende französische
Volk verlangte ein sichtbares Opfer.

Hätte er das Glück gehabt, daß Napoleon den französischen Thron wieder
bestiegen hätte, er würde sicher, wie General Dupont, Pair von Frankreich
geworden sein.




Vom Neudarwinismus

eutigentags giebt es kaum noch eine religiöse oder religions¬
feindliche, kaum noch eine politische, soziale oder wirtschaftliche
Partei, die sich nicht einbildete, die Berechtigung ihrer Forde¬
rungen „naturwissenschaftlich" beweisen zu können. In diesen
Hexensabbat!) naturwissenschaftlicher Systeme, die einander wider¬
sprechen, von denen aber jedes für sich die Unfehlbarkeit und Unwiderleglichkeit in
Anspruch nimmt, kann man nicht oft genug eine wirklich unwiderlegliche Wahrheit
hineinrufen, die wir in den letzten der unter dem Titel „Buckle und Darwin"
im Jahrgang 1889 dieser Zeitschrift erschienenen Aufsätze ausgesprochen haben.
Wir führten da einen Satz Darwins an (Das Variiren der Tiere und
Pflanzen I, 9), worin er seine Hypothese von der natürlichen Zuchtwahl für
gleichberechtigt erklärt mit der Uudulationstheorie der Optiker. Dazu be¬
merkten wir: „Wer den Darwinismus sür gleichwertig hält mit den physika¬
lischen Hypothesen, der begeht zwei grobe Fehler. Die Physikalischen Hypo¬
thesen werden benutzt zur Erklärung von Erscheinungen, die sich vor unsern
Augen ereignen; die Lehre von der Entstehung der Arten durch Zuchtwahl
aber soll Erscheinungen erklären, die kein Mensch gesehen hat, sondern von
denen diese Lehre behauptet, daß sie sich vor Millionen Jahren zugetragen
hätten. Der Darwinianer mutet uns zu, daß wir die Erscheinungen glauben
sollen, die er uns erklären will; die Erscheinungen, die der Physiker erklärt,
brauchen wir nicht zu glauben, denn wir sehen sie. Daß beim Zusammen¬
treffen zweier Lichtstrahlen das Licht manchmal verstärkt, manchmal geschwächt
und unter besondern Umständen ausgelöscht wird, kauu jeder sehen, der nicht blind
ist; und diese sogenannten Jnterferenzcrscheinungen waren es zunächst, die den
Physiker Joung in der Wellentheorie bestärkten. Erst dann würde der Vergleich
richtig sein, wenn die Physiker mit ihren Theorien nicht mehr bloß die gegen¬
wärtig sich ereignenden Naturerscheinungen erklären, sondern begreiflich machen
wollten, wie vor Zeiten die einfachen Stoffe entstanden sind, an denen jene Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/527>, abgerufen am 06.05.2024.