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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Wir erhalten noch einige ebenfalls belehrende Aufsätze: Englische Kunst
im Hause, Das englische Buch, Zeitgenössische englische Novellisten (fragmen-
tistisch, gesucht und sehr überflüssig!), Amerikanische Chap-Boots. Vorliebe
für England und Amerika in Sitte, Geschmack und Hauseinrichtung gehört
nun einmal in den Hansestädten mit zum Leben. Wir finden das erklärlich
und halten es für vernünftiger, das einzugestehen, als wenn man uns glauben
machen will, es seien vielmehr "Ähnlichkeiten," und sie gingen aus der "nahen
Verwandtschaft des Volksstamms und der Lebensbedingungen hervor" (S. 308).
Wir haben ebenfalls Herder und einiges aus der neuern soziologischen Litte¬
ratur gelesen, aber wir wenden das Gelernte lieber nicht falsch an. Die neuen
Möbel mit den zahnstocherartigen Beinen, den schmächtigen Profilen, den
dünnen, brettartigen Füllungen und dem grünen Farbenüberzug, sowie die
leichten, aus der, japanischen Verzierungsweise entwickelten Dekorationsstoffe
nehmen ja auch anderwärts überHand und finden ihre Liebhaber; daß sie aber
das Vorhcmdne bei uns verdrängen werden, ist undenkbar, sie werden immer
nur ein Luxus für wenige sein können. Aus den englischen Bucheinbänden
können wir in Bezug auf die Ausstattung nichts lernen, was brauchbar und
zugleich geschmackvoll wäre, und die amerikanische Buchillustration finden wir
durchweg geschmacklos. Aber zu dem Bilde Hamburgs, das uns der "Pan"
geben wollte, mag es gehören, und daß man von unserm Geschmacksstandpunkte
aus darüber keine Aufsätze von solchem Umsange hätte schreiben können, ist
zuzugeben. Darum ist über den Inhalt dieser Aufsätze und über die Urteile
ihrer Verfasser nichts weiter zu sagen, als daß sie im "Pan" an ihrem Platze
sein mögen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reaktion in Sicht?

Unter dieser Überschrift schreibt uns ein Freund der
Grenzlioteui In allen liberalen Zeitungen -- wir nennen sie "liberal," weil diese
Bezeichnung trotz ihrer Unklarheit nnn einmal gebräuchlich ist -- findet man nach
den neuesten Persvualveränderungen in der ReichsverwaltUng die Befürchtung aus¬
gesprochen, daß jetzt eine Reaktion hereinbrechen werde, und den Hinweis ans
das Wachsen des Einflusses des Junker- und Agrariertums. So verkehrt das
alles ist, so liegt dem doch ein richtiges Gefühl zu Grunde. Wie schou oft ge¬
sagt worden ist, sind alle unsre Anschauungen in einer Umwandlung begriffen, und
es scheint in der That, daß sich die Politik anschickt, eine den neuern Anschauungen
entsprechende Wendung zu nehmen. Die Mehrheit des Reichstags, wie alle die,
deren Befürchtungen in jenen Zeitungen zum Ausdruck kommen, leben immer
noch in den Ideen, die vor vierzig Jahren die herrschenden geworden waren,


Grenzlioten III 1897 L4
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Wir erhalten noch einige ebenfalls belehrende Aufsätze: Englische Kunst
im Hause, Das englische Buch, Zeitgenössische englische Novellisten (fragmen-
tistisch, gesucht und sehr überflüssig!), Amerikanische Chap-Boots. Vorliebe
für England und Amerika in Sitte, Geschmack und Hauseinrichtung gehört
nun einmal in den Hansestädten mit zum Leben. Wir finden das erklärlich
und halten es für vernünftiger, das einzugestehen, als wenn man uns glauben
machen will, es seien vielmehr „Ähnlichkeiten," und sie gingen aus der „nahen
Verwandtschaft des Volksstamms und der Lebensbedingungen hervor" (S. 308).
Wir haben ebenfalls Herder und einiges aus der neuern soziologischen Litte¬
ratur gelesen, aber wir wenden das Gelernte lieber nicht falsch an. Die neuen
Möbel mit den zahnstocherartigen Beinen, den schmächtigen Profilen, den
dünnen, brettartigen Füllungen und dem grünen Farbenüberzug, sowie die
leichten, aus der, japanischen Verzierungsweise entwickelten Dekorationsstoffe
nehmen ja auch anderwärts überHand und finden ihre Liebhaber; daß sie aber
das Vorhcmdne bei uns verdrängen werden, ist undenkbar, sie werden immer
nur ein Luxus für wenige sein können. Aus den englischen Bucheinbänden
können wir in Bezug auf die Ausstattung nichts lernen, was brauchbar und
zugleich geschmackvoll wäre, und die amerikanische Buchillustration finden wir
durchweg geschmacklos. Aber zu dem Bilde Hamburgs, das uns der „Pan"
geben wollte, mag es gehören, und daß man von unserm Geschmacksstandpunkte
aus darüber keine Aufsätze von solchem Umsange hätte schreiben können, ist
zuzugeben. Darum ist über den Inhalt dieser Aufsätze und über die Urteile
ihrer Verfasser nichts weiter zu sagen, als daß sie im „Pan" an ihrem Platze
sein mögen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reaktion in Sicht?

Unter dieser Überschrift schreibt uns ein Freund der
Grenzlioteui In allen liberalen Zeitungen — wir nennen sie „liberal," weil diese
Bezeichnung trotz ihrer Unklarheit nnn einmal gebräuchlich ist — findet man nach
den neuesten Persvualveränderungen in der ReichsverwaltUng die Befürchtung aus¬
gesprochen, daß jetzt eine Reaktion hereinbrechen werde, und den Hinweis ans
das Wachsen des Einflusses des Junker- und Agrariertums. So verkehrt das
alles ist, so liegt dem doch ein richtiges Gefühl zu Grunde. Wie schou oft ge¬
sagt worden ist, sind alle unsre Anschauungen in einer Umwandlung begriffen, und
es scheint in der That, daß sich die Politik anschickt, eine den neuern Anschauungen
entsprechende Wendung zu nehmen. Die Mehrheit des Reichstags, wie alle die,
deren Befürchtungen in jenen Zeitungen zum Ausdruck kommen, leben immer
noch in den Ideen, die vor vierzig Jahren die herrschenden geworden waren,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/193>, abgerufen am 01.05.2024.