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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vererbung

Wenn er aber so leichtsinnig ist, über den Löhnen der Exportindustrie
den Landbau zu verschmähen, so heißt das so viel als: er giebt sichres Brot
auf, um ein wenig besser, aber gefährlicher von dem Brot und Lohn Amerikas
oder Rußlands zu leben. Ist das zu seinem Vorteil?


Georg Schiele


Vererbung

is wir die Aufsätze über den Neudarwinismus (in Heft 24, 25
und 26 der Grenzboten) schrieben, hatten wir die wichtigsten
Arbeiten Weismanns noch nicht gelesen; es sind dies: Das
Keimplasma und die letzten sieben von den 1892 in einem
Bande erschienenen Aufsätzen über Vererbung und ver¬
wandte biologische Fragen.*) Und es ist uns lieb, daß wir sie erst
nachträglich gelesen haben, denn wir haben für unsre in jenen drei Aufsätzen
entwickelten Grundansichten in den genannten Hauptwerken Weismanns die
glänzendste Bestätigung gefunden und können uns wieder einmal der be¬
ruhigenden Gewißheit erfreuen, daß wir, auf eignen Füßen wandelnd und mit
den eignen Augen sehend, die richtige Fährte nicht verfehlen. Wir hatten u. a.
die Meinung ausgesprochen, wenn nur die Zelle und die übrigen Geheimnisse
des organischen Lebens als gegeben angenommen würden, so könne man sich
ja immerhin den Verlauf der Entwicklung so denken, wie ihn die ältern oder
die neuern Entwicklungstheoretiker beschreiben. Und was sagt Weismann?
"Wenn ich den Versuch wage, über die Zusammensetzung des Keimplasmas
etwas auszusagen und daraus die Erscheinungen der Vererbung abzuleiten, so
möchte ich vorausschicken, daß es nicht etwa meine Absicht ist, damit eine Er¬
klärung des Lebens zu versuchen. Man muß unterscheiden zwischen einer
Theorie des Lebens und einer solchen der Vererbung. De Vries hat sehr gut
hervorgehoben, wie(?) zwar die erstere für jetzt unmöglich ist ^für immer, sagen
wir), wie(?) es aber keineswegs unmöglich erscheint, zu einer befriedigenden Er¬
klärung der Vererbungserscheinungen zu gelangen, wenn man die Grund-
erfcheinungen des Lebens: Ernährung, Assimilation, Wachstum als gegeben
annimmt."

Das wäre die Bestätigung der einen von unsern Ansichten; ehe wir er¬
örtern, wie auch die übrigen von Weismann bestätigt werden, wollen wir


*) Wir werden diese beiden Bände beim Zitiren X und V nennen.
Vererbung

Wenn er aber so leichtsinnig ist, über den Löhnen der Exportindustrie
den Landbau zu verschmähen, so heißt das so viel als: er giebt sichres Brot
auf, um ein wenig besser, aber gefährlicher von dem Brot und Lohn Amerikas
oder Rußlands zu leben. Ist das zu seinem Vorteil?


Georg Schiele


Vererbung

is wir die Aufsätze über den Neudarwinismus (in Heft 24, 25
und 26 der Grenzboten) schrieben, hatten wir die wichtigsten
Arbeiten Weismanns noch nicht gelesen; es sind dies: Das
Keimplasma und die letzten sieben von den 1892 in einem
Bande erschienenen Aufsätzen über Vererbung und ver¬
wandte biologische Fragen.*) Und es ist uns lieb, daß wir sie erst
nachträglich gelesen haben, denn wir haben für unsre in jenen drei Aufsätzen
entwickelten Grundansichten in den genannten Hauptwerken Weismanns die
glänzendste Bestätigung gefunden und können uns wieder einmal der be¬
ruhigenden Gewißheit erfreuen, daß wir, auf eignen Füßen wandelnd und mit
den eignen Augen sehend, die richtige Fährte nicht verfehlen. Wir hatten u. a.
die Meinung ausgesprochen, wenn nur die Zelle und die übrigen Geheimnisse
des organischen Lebens als gegeben angenommen würden, so könne man sich
ja immerhin den Verlauf der Entwicklung so denken, wie ihn die ältern oder
die neuern Entwicklungstheoretiker beschreiben. Und was sagt Weismann?
«Wenn ich den Versuch wage, über die Zusammensetzung des Keimplasmas
etwas auszusagen und daraus die Erscheinungen der Vererbung abzuleiten, so
möchte ich vorausschicken, daß es nicht etwa meine Absicht ist, damit eine Er¬
klärung des Lebens zu versuchen. Man muß unterscheiden zwischen einer
Theorie des Lebens und einer solchen der Vererbung. De Vries hat sehr gut
hervorgehoben, wie(?) zwar die erstere für jetzt unmöglich ist ^für immer, sagen
wir), wie(?) es aber keineswegs unmöglich erscheint, zu einer befriedigenden Er¬
klärung der Vererbungserscheinungen zu gelangen, wenn man die Grund-
erfcheinungen des Lebens: Ernährung, Assimilation, Wachstum als gegeben
annimmt."

Das wäre die Bestätigung der einen von unsern Ansichten; ehe wir er¬
örtern, wie auch die übrigen von Weismann bestätigt werden, wollen wir


*) Wir werden diese beiden Bände beim Zitiren X und V nennen.
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[0023] Vererbung Wenn er aber so leichtsinnig ist, über den Löhnen der Exportindustrie den Landbau zu verschmähen, so heißt das so viel als: er giebt sichres Brot auf, um ein wenig besser, aber gefährlicher von dem Brot und Lohn Amerikas oder Rußlands zu leben. Ist das zu seinem Vorteil? Georg Schiele Vererbung is wir die Aufsätze über den Neudarwinismus (in Heft 24, 25 und 26 der Grenzboten) schrieben, hatten wir die wichtigsten Arbeiten Weismanns noch nicht gelesen; es sind dies: Das Keimplasma und die letzten sieben von den 1892 in einem Bande erschienenen Aufsätzen über Vererbung und ver¬ wandte biologische Fragen.*) Und es ist uns lieb, daß wir sie erst nachträglich gelesen haben, denn wir haben für unsre in jenen drei Aufsätzen entwickelten Grundansichten in den genannten Hauptwerken Weismanns die glänzendste Bestätigung gefunden und können uns wieder einmal der be¬ ruhigenden Gewißheit erfreuen, daß wir, auf eignen Füßen wandelnd und mit den eignen Augen sehend, die richtige Fährte nicht verfehlen. Wir hatten u. a. die Meinung ausgesprochen, wenn nur die Zelle und die übrigen Geheimnisse des organischen Lebens als gegeben angenommen würden, so könne man sich ja immerhin den Verlauf der Entwicklung so denken, wie ihn die ältern oder die neuern Entwicklungstheoretiker beschreiben. Und was sagt Weismann? «Wenn ich den Versuch wage, über die Zusammensetzung des Keimplasmas etwas auszusagen und daraus die Erscheinungen der Vererbung abzuleiten, so möchte ich vorausschicken, daß es nicht etwa meine Absicht ist, damit eine Er¬ klärung des Lebens zu versuchen. Man muß unterscheiden zwischen einer Theorie des Lebens und einer solchen der Vererbung. De Vries hat sehr gut hervorgehoben, wie(?) zwar die erstere für jetzt unmöglich ist ^für immer, sagen wir), wie(?) es aber keineswegs unmöglich erscheint, zu einer befriedigenden Er¬ klärung der Vererbungserscheinungen zu gelangen, wenn man die Grund- erfcheinungen des Lebens: Ernährung, Assimilation, Wachstum als gegeben annimmt." Das wäre die Bestätigung der einen von unsern Ansichten; ehe wir er¬ örtern, wie auch die übrigen von Weismann bestätigt werden, wollen wir *) Wir werden diese beiden Bände beim Zitiren X und V nennen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/23>, abgerufen am 01.05.2024.