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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Reserve- und Landwehroffiziere

bringt? Auch der große Brite war nicht bloß Finanzminister, sondern er
wußte auch die Rinde von den Herzen wegzuschmelzen, die die Erkenntnis
seiner kühnen Politik nicht eindringen lassen wollte.




Reserve- und Landwehroffiziere

egner des Militarismus lassen oft dem Reserveoffizierstande die
abfälligste Kritik zu teil werden. Allbekannte und hier nicht
näher zu bezeichnende Schwächen des Offizierstands, kleine und
große, sollen bei den Reserveoffizieren in schönster Blüte stehen,
und man macht sich umso mehr über diese Erscheinung lustig,
als der Reserveoffizier natürlich nicht über das volle fachmännische Wissen
und Können des Linienofsiziers verfügt und seine nur nebenamtliche Be¬
schäftigung zweifellos mehr Pflichten als Ansprüche zur Folge haben sollte.
Man bespöttelt, daß sich der Reserveoffizier nicht nur bei seinen Übungen als
solcher fühlt, sondern daß er auch in seinem bürgerlichen Leben seine Stellung
als Reserveoffizier überall mit Stolz, ja mit Überhebung zur Geltung zu
bringen sucht, daß er in seiner Haltung, ja in der Art seines Urteils den aktiven
Offizier kopire und womöglich in erster Linie Reserveoffizier und erst in zweiter
das sein möchte, was er wirklich ist.

In einer Beziehung wäre ja diese Erscheinung, wenn sie wirklich in
großem Umfange vorhanden wäre, nicht unerfreulich: sie ließe den Schluß zu,
daß sich die Offiziere des Veurlaubtenstandes mit den aktiven Offizieren eins
fühlten, daß der Zeitgeist des Offizierkorps auch in ihnen lebendig sei, daß
sich der Reserveoffizier in militärischen Kreisen wohl befinde, und daß er mit
Feuereifer bei seiner Aufgabe sei. Wer aber die Verhältnisse, wie sie augen¬
blicklich liegen, genauer kennt, wird etwas anders urteilen.

Gewiß, es giebt Gegenden, oder bester gesagt, Stände, für die jene Kritik
der Reserveoffiziere viel wahres enthält. Ich habe es z. B. selbst erlebt, daß
sich ein angesehener Großgrundbesitzer des Ostens von seiner Dienerschaft
ständig "Herr Leutnant" anreden ließ und an ihn gerichtete Briefe unter der
Adresse "Herrn Leutnant erbat. Aber der größere Teil der Offiziere des
Veurlaubtenstandes hält sich doch von solchen Schwächen frei und übertreibt
nicht die Bedeutung dieses Nebenamts. Im Gegenteil, in neuerer Zeit treten
Anzeichen auf, die darauf schließen lassen, daß man weniger gern Reserve¬
offizier wird und -- bleibt, daß mau also nach Ableistung der gesetzlichen


Reserve- und Landwehroffiziere

bringt? Auch der große Brite war nicht bloß Finanzminister, sondern er
wußte auch die Rinde von den Herzen wegzuschmelzen, die die Erkenntnis
seiner kühnen Politik nicht eindringen lassen wollte.




Reserve- und Landwehroffiziere

egner des Militarismus lassen oft dem Reserveoffizierstande die
abfälligste Kritik zu teil werden. Allbekannte und hier nicht
näher zu bezeichnende Schwächen des Offizierstands, kleine und
große, sollen bei den Reserveoffizieren in schönster Blüte stehen,
und man macht sich umso mehr über diese Erscheinung lustig,
als der Reserveoffizier natürlich nicht über das volle fachmännische Wissen
und Können des Linienofsiziers verfügt und seine nur nebenamtliche Be¬
schäftigung zweifellos mehr Pflichten als Ansprüche zur Folge haben sollte.
Man bespöttelt, daß sich der Reserveoffizier nicht nur bei seinen Übungen als
solcher fühlt, sondern daß er auch in seinem bürgerlichen Leben seine Stellung
als Reserveoffizier überall mit Stolz, ja mit Überhebung zur Geltung zu
bringen sucht, daß er in seiner Haltung, ja in der Art seines Urteils den aktiven
Offizier kopire und womöglich in erster Linie Reserveoffizier und erst in zweiter
das sein möchte, was er wirklich ist.

In einer Beziehung wäre ja diese Erscheinung, wenn sie wirklich in
großem Umfange vorhanden wäre, nicht unerfreulich: sie ließe den Schluß zu,
daß sich die Offiziere des Veurlaubtenstandes mit den aktiven Offizieren eins
fühlten, daß der Zeitgeist des Offizierkorps auch in ihnen lebendig sei, daß
sich der Reserveoffizier in militärischen Kreisen wohl befinde, und daß er mit
Feuereifer bei seiner Aufgabe sei. Wer aber die Verhältnisse, wie sie augen¬
blicklich liegen, genauer kennt, wird etwas anders urteilen.

Gewiß, es giebt Gegenden, oder bester gesagt, Stände, für die jene Kritik
der Reserveoffiziere viel wahres enthält. Ich habe es z. B. selbst erlebt, daß
sich ein angesehener Großgrundbesitzer des Ostens von seiner Dienerschaft
ständig „Herr Leutnant" anreden ließ und an ihn gerichtete Briefe unter der
Adresse „Herrn Leutnant erbat. Aber der größere Teil der Offiziere des
Veurlaubtenstandes hält sich doch von solchen Schwächen frei und übertreibt
nicht die Bedeutung dieses Nebenamts. Im Gegenteil, in neuerer Zeit treten
Anzeichen auf, die darauf schließen lassen, daß man weniger gern Reserve¬
offizier wird und — bleibt, daß mau also nach Ableistung der gesetzlichen


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[0354] Reserve- und Landwehroffiziere bringt? Auch der große Brite war nicht bloß Finanzminister, sondern er wußte auch die Rinde von den Herzen wegzuschmelzen, die die Erkenntnis seiner kühnen Politik nicht eindringen lassen wollte. Reserve- und Landwehroffiziere egner des Militarismus lassen oft dem Reserveoffizierstande die abfälligste Kritik zu teil werden. Allbekannte und hier nicht näher zu bezeichnende Schwächen des Offizierstands, kleine und große, sollen bei den Reserveoffizieren in schönster Blüte stehen, und man macht sich umso mehr über diese Erscheinung lustig, als der Reserveoffizier natürlich nicht über das volle fachmännische Wissen und Können des Linienofsiziers verfügt und seine nur nebenamtliche Be¬ schäftigung zweifellos mehr Pflichten als Ansprüche zur Folge haben sollte. Man bespöttelt, daß sich der Reserveoffizier nicht nur bei seinen Übungen als solcher fühlt, sondern daß er auch in seinem bürgerlichen Leben seine Stellung als Reserveoffizier überall mit Stolz, ja mit Überhebung zur Geltung zu bringen sucht, daß er in seiner Haltung, ja in der Art seines Urteils den aktiven Offizier kopire und womöglich in erster Linie Reserveoffizier und erst in zweiter das sein möchte, was er wirklich ist. In einer Beziehung wäre ja diese Erscheinung, wenn sie wirklich in großem Umfange vorhanden wäre, nicht unerfreulich: sie ließe den Schluß zu, daß sich die Offiziere des Veurlaubtenstandes mit den aktiven Offizieren eins fühlten, daß der Zeitgeist des Offizierkorps auch in ihnen lebendig sei, daß sich der Reserveoffizier in militärischen Kreisen wohl befinde, und daß er mit Feuereifer bei seiner Aufgabe sei. Wer aber die Verhältnisse, wie sie augen¬ blicklich liegen, genauer kennt, wird etwas anders urteilen. Gewiß, es giebt Gegenden, oder bester gesagt, Stände, für die jene Kritik der Reserveoffiziere viel wahres enthält. Ich habe es z. B. selbst erlebt, daß sich ein angesehener Großgrundbesitzer des Ostens von seiner Dienerschaft ständig „Herr Leutnant" anreden ließ und an ihn gerichtete Briefe unter der Adresse „Herrn Leutnant erbat. Aber der größere Teil der Offiziere des Veurlaubtenstandes hält sich doch von solchen Schwächen frei und übertreibt nicht die Bedeutung dieses Nebenamts. Im Gegenteil, in neuerer Zeit treten Anzeichen auf, die darauf schließen lassen, daß man weniger gern Reserve¬ offizier wird und — bleibt, daß mau also nach Ableistung der gesetzlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/354>, abgerufen am 01.05.2024.