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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

den Schrecken vor dem roten Gespenst und die Sehnsucht der Besitzenden reich
einem nur bei den Konservativen zu findenden starken Arm neu beleben und so
diesen die Zügel wieder in die Hände spielen. Sie werden sich bereits überzeugt
haben, daß jede solche Hoffnung eitel wäre. Der Vergleich mit Spanien würde
doch gar zu wenig schmeichelhaft für Deutschland sein. Weiß man doch allgemein,
daß die wirtschaftlichen und politischen Zustände Spaniens seit Philipps II. Zeiten
immer elend gewesen sind, und daß sie heute elender sind, als sie jemals waren.
Weiß man doch ferner, daß bei den Romanen der politische Meuchelmord eine seit
tausend Jahren eingebürgerte Institution ist, was sich aus dem heißen Blute, aus
antiken Erinnerungen und einer an beides angepaßten Moral erklärt. Und weiß
man doch endlich, daß Spanien jene schönen Ausnahmegesetze, nach denen bei uns
einige verlangen, allesamt schon hat, und noch einige darüber, daß also die neueste
anarchistische Unthat höchstens als ein neuer Beweis für die Nutzlosigkeit und
Schädlichkeit solcher Nepressivmaßregeln verwertet werden könnte. Und beruft man
sich ans den Zusammenhang zwischen Anarchismus und Sozialismus, so lassen wir
Ludwig Stein antworten, einen entschiednen Gegner der Sozialdemokratie. Freilich
ist es nur ein Gemeinplatz, den er in seinem Werke: Die soziale Frage im Lichte
der Philosophie S. 597 mit den Worten ausspricht: "Nur kurzsichtige Pfahlbau¬
politiker, nur Plattfüßler im Geistigen werden über die wunderbare Thatsache zur
Tagesordnung übergehen, daß die politisch freiesten Völker -- England und die
Schweiz -- in ihren Parlamenten, absolut und relativ genommen, die geringste
Anzahl sozialistischer Vertreter zählen."




Litteratur
Das Geheimnis vom rechten Steinmetzengrund

und andre Kunst¬
litteratur. Ein alter Hüttenspruch enthält am Ende die Worte:

Daß sich die Bauhandwerker von jeher einfacher geometrischer Figuren als Hilfs¬
mittel bedient haben, wenn sie Entwürfe zu reißen oder schwierige Gliederungen
zu machen hatten, ist selbstverständlich. Ohne einen rechten Winkel ziehen zu
können, kam keiner ans, und das führte dann weiter zu sehr verschiedner An¬
wendung von Dreiecken und Vierecken. Der untergeordnete Gesell und der Diener
(Lehrling) verstanden von dieser Kunst sehr wenig; umso höher erschien ihnen das
Wissen des Meisters, und solche Unterschiede führen bekanntlich leicht zu dem
Glauben an eine Geheimlehre, worauf ja auch allerlei Äußerlichkeiten im Verkehr
der mittelalterlichen Bauleute hinweisen.


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den Schrecken vor dem roten Gespenst und die Sehnsucht der Besitzenden reich
einem nur bei den Konservativen zu findenden starken Arm neu beleben und so
diesen die Zügel wieder in die Hände spielen. Sie werden sich bereits überzeugt
haben, daß jede solche Hoffnung eitel wäre. Der Vergleich mit Spanien würde
doch gar zu wenig schmeichelhaft für Deutschland sein. Weiß man doch allgemein,
daß die wirtschaftlichen und politischen Zustände Spaniens seit Philipps II. Zeiten
immer elend gewesen sind, und daß sie heute elender sind, als sie jemals waren.
Weiß man doch ferner, daß bei den Romanen der politische Meuchelmord eine seit
tausend Jahren eingebürgerte Institution ist, was sich aus dem heißen Blute, aus
antiken Erinnerungen und einer an beides angepaßten Moral erklärt. Und weiß
man doch endlich, daß Spanien jene schönen Ausnahmegesetze, nach denen bei uns
einige verlangen, allesamt schon hat, und noch einige darüber, daß also die neueste
anarchistische Unthat höchstens als ein neuer Beweis für die Nutzlosigkeit und
Schädlichkeit solcher Nepressivmaßregeln verwertet werden könnte. Und beruft man
sich ans den Zusammenhang zwischen Anarchismus und Sozialismus, so lassen wir
Ludwig Stein antworten, einen entschiednen Gegner der Sozialdemokratie. Freilich
ist es nur ein Gemeinplatz, den er in seinem Werke: Die soziale Frage im Lichte
der Philosophie S. 597 mit den Worten ausspricht: „Nur kurzsichtige Pfahlbau¬
politiker, nur Plattfüßler im Geistigen werden über die wunderbare Thatsache zur
Tagesordnung übergehen, daß die politisch freiesten Völker — England und die
Schweiz — in ihren Parlamenten, absolut und relativ genommen, die geringste
Anzahl sozialistischer Vertreter zählen."




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Das Geheimnis vom rechten Steinmetzengrund

und andre Kunst¬
litteratur. Ein alter Hüttenspruch enthält am Ende die Worte:

Daß sich die Bauhandwerker von jeher einfacher geometrischer Figuren als Hilfs¬
mittel bedient haben, wenn sie Entwürfe zu reißen oder schwierige Gliederungen
zu machen hatten, ist selbstverständlich. Ohne einen rechten Winkel ziehen zu
können, kam keiner ans, und das führte dann weiter zu sehr verschiedner An¬
wendung von Dreiecken und Vierecken. Der untergeordnete Gesell und der Diener
(Lehrling) verstanden von dieser Kunst sehr wenig; umso höher erschien ihnen das
Wissen des Meisters, und solche Unterschiede führen bekanntlich leicht zu dem
Glauben an eine Geheimlehre, worauf ja auch allerlei Äußerlichkeiten im Verkehr
der mittelalterlichen Bauleute hinweisen.


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[0390] Litteratur den Schrecken vor dem roten Gespenst und die Sehnsucht der Besitzenden reich einem nur bei den Konservativen zu findenden starken Arm neu beleben und so diesen die Zügel wieder in die Hände spielen. Sie werden sich bereits überzeugt haben, daß jede solche Hoffnung eitel wäre. Der Vergleich mit Spanien würde doch gar zu wenig schmeichelhaft für Deutschland sein. Weiß man doch allgemein, daß die wirtschaftlichen und politischen Zustände Spaniens seit Philipps II. Zeiten immer elend gewesen sind, und daß sie heute elender sind, als sie jemals waren. Weiß man doch ferner, daß bei den Romanen der politische Meuchelmord eine seit tausend Jahren eingebürgerte Institution ist, was sich aus dem heißen Blute, aus antiken Erinnerungen und einer an beides angepaßten Moral erklärt. Und weiß man doch endlich, daß Spanien jene schönen Ausnahmegesetze, nach denen bei uns einige verlangen, allesamt schon hat, und noch einige darüber, daß also die neueste anarchistische Unthat höchstens als ein neuer Beweis für die Nutzlosigkeit und Schädlichkeit solcher Nepressivmaßregeln verwertet werden könnte. Und beruft man sich ans den Zusammenhang zwischen Anarchismus und Sozialismus, so lassen wir Ludwig Stein antworten, einen entschiednen Gegner der Sozialdemokratie. Freilich ist es nur ein Gemeinplatz, den er in seinem Werke: Die soziale Frage im Lichte der Philosophie S. 597 mit den Worten ausspricht: „Nur kurzsichtige Pfahlbau¬ politiker, nur Plattfüßler im Geistigen werden über die wunderbare Thatsache zur Tagesordnung übergehen, daß die politisch freiesten Völker — England und die Schweiz — in ihren Parlamenten, absolut und relativ genommen, die geringste Anzahl sozialistischer Vertreter zählen." Litteratur Das Geheimnis vom rechten Steinmetzengrund und andre Kunst¬ litteratur. Ein alter Hüttenspruch enthält am Ende die Worte: Daß sich die Bauhandwerker von jeher einfacher geometrischer Figuren als Hilfs¬ mittel bedient haben, wenn sie Entwürfe zu reißen oder schwierige Gliederungen zu machen hatten, ist selbstverständlich. Ohne einen rechten Winkel ziehen zu können, kam keiner ans, und das führte dann weiter zu sehr verschiedner An¬ wendung von Dreiecken und Vierecken. Der untergeordnete Gesell und der Diener (Lehrling) verstanden von dieser Kunst sehr wenig; umso höher erschien ihnen das Wissen des Meisters, und solche Unterschiede führen bekanntlich leicht zu dem Glauben an eine Geheimlehre, worauf ja auch allerlei Äußerlichkeiten im Verkehr der mittelalterlichen Bauleute hinweisen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/390>, abgerufen am 01.05.2024.