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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Aus unsrer Ostmark

den immer häufiger werdenden Fremdenbesuchen ausdrückte. Später war er
nicht leicht mehr für jeden zugänglich. Ich erinnere mich eines kleinen Zuges,
den mir einst ein nnn lange verstorbner Kunsthistoriker erzählte. Dieser kam
in den sechziger Jcchreu durch Basel und bat bei einem Besuch um die Er¬
laubnis, einer Vorlesung beiwohnen zu dürfen, was ihm abgeschlagen wurde.
Er übertrat aber das Verbot, und als er sich darauf wieder in der Wohnung
einfand, wurde er nicht mehr vorgelassen. Etwas später erreichte ich durch
die Empfehlung eines seiner jüngern Basler Freunde Zutritt; ich hatte durch
diesen um eine Audienz von nur zehn Minuten bitten lassen und bekam den
Bescheid, daß mir eine volle halbe Stunde gewährt werden würde, in der
Voraussetzung jedoch, daß ich keine Unterhaltung über Gegenstände der Kunst
hervorriefe. Zur festgesetzten Zeit begab ich mich in seine Wohnung und wurde
außerordentlich freundlich aufgenommen. Er sprach mit mir über Politik,
namentlich über die Judenfrage in Deutschland. Pünktlich erhob ich mich.
"Ich Pflege um diese Zeit aufs Museum zu gehen, wollen Sie mich dahin
begleiten?" Dann zündete er sich seine Cigarre an, nachdem er auch mir eine
gegeben hatte, und wir zogen ab. Wie gern hätte ich einen Blick geworfen
auf die Rücken der alten Bücher, die aus hochgefüllten, im Zimmer umher-
stehenden Waschkörben hervorsahen! Doch es durfte nicht sein. Etwas freund¬
licheres, mehr herzgewinnendes aber, als das persönliche Wesen des unver¬
A. p. geßlichen Mannes, hätte ich mir gar nicht vorstellen können.




Aus unsrer Ostmark
i

er Rückgang des Deutschtums in unsrer Ostmark, den N. Böckh
für die Zeit von 1861 bis 1390 nachgewiesen hat, hat auch in
dem Jahrfünft 1890 bis 189S angedauert. Um das bezeichnendste
Beispiel anzuführen, so ist in dieser Zählungsveriode in der
Provinz Posen die Zahl der Evangelischen (1890: 542013), die

bis ans 14000 polnische Bauern im südöstlichen Zipfel Deutsche sind, nur um
17697, die der Katholiken, die bis auf 127 000 über die ganze Provinz zerstreute
deutsche Katholiken aller Verufsarten Polen sind, dagegen um 63129 gewachsen,
d. h. die doppelt so starke katholische Bevölkerung (1890: 1164067) hat sich
nicht doppelt, sondern dreiundeinhalb","! so stark wie die evangelische ver¬
mehrt, der Anteil der Deutschen an der Gesamtbevölkerung, der 1861 46 Prozent


Aus unsrer Ostmark

den immer häufiger werdenden Fremdenbesuchen ausdrückte. Später war er
nicht leicht mehr für jeden zugänglich. Ich erinnere mich eines kleinen Zuges,
den mir einst ein nnn lange verstorbner Kunsthistoriker erzählte. Dieser kam
in den sechziger Jcchreu durch Basel und bat bei einem Besuch um die Er¬
laubnis, einer Vorlesung beiwohnen zu dürfen, was ihm abgeschlagen wurde.
Er übertrat aber das Verbot, und als er sich darauf wieder in der Wohnung
einfand, wurde er nicht mehr vorgelassen. Etwas später erreichte ich durch
die Empfehlung eines seiner jüngern Basler Freunde Zutritt; ich hatte durch
diesen um eine Audienz von nur zehn Minuten bitten lassen und bekam den
Bescheid, daß mir eine volle halbe Stunde gewährt werden würde, in der
Voraussetzung jedoch, daß ich keine Unterhaltung über Gegenstände der Kunst
hervorriefe. Zur festgesetzten Zeit begab ich mich in seine Wohnung und wurde
außerordentlich freundlich aufgenommen. Er sprach mit mir über Politik,
namentlich über die Judenfrage in Deutschland. Pünktlich erhob ich mich.
„Ich Pflege um diese Zeit aufs Museum zu gehen, wollen Sie mich dahin
begleiten?" Dann zündete er sich seine Cigarre an, nachdem er auch mir eine
gegeben hatte, und wir zogen ab. Wie gern hätte ich einen Blick geworfen
auf die Rücken der alten Bücher, die aus hochgefüllten, im Zimmer umher-
stehenden Waschkörben hervorsahen! Doch es durfte nicht sein. Etwas freund¬
licheres, mehr herzgewinnendes aber, als das persönliche Wesen des unver¬
A. p. geßlichen Mannes, hätte ich mir gar nicht vorstellen können.




Aus unsrer Ostmark
i

er Rückgang des Deutschtums in unsrer Ostmark, den N. Böckh
für die Zeit von 1861 bis 1390 nachgewiesen hat, hat auch in
dem Jahrfünft 1890 bis 189S angedauert. Um das bezeichnendste
Beispiel anzuführen, so ist in dieser Zählungsveriode in der
Provinz Posen die Zahl der Evangelischen (1890: 542013), die

bis ans 14000 polnische Bauern im südöstlichen Zipfel Deutsche sind, nur um
17697, die der Katholiken, die bis auf 127 000 über die ganze Provinz zerstreute
deutsche Katholiken aller Verufsarten Polen sind, dagegen um 63129 gewachsen,
d. h. die doppelt so starke katholische Bevölkerung (1890: 1164067) hat sich
nicht doppelt, sondern dreiundeinhalb»,«! so stark wie die evangelische ver¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/398>, abgerufen am 01.05.2024.