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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Einiges von der deutschen Rechtseinheit
Otto Hagen von
1

b wohl ein einziger Nichtjurist im deutschen Reiche am 18. August
daran gedacht hat, daß vor einem Jahre mit der kaiserliche,:
Verkündigung des bürgerlichen Gesetzbuches der Rechtseinheit
des deutschen Reichs auf dem Gebiete des Privatrechts die
Geburtsstunde geschlagen hatte? Schwerlich -- das allgemeinere
Interesse an der Neugestaltung des bürgerlichen Rechts entbrannte zur Zeit
der Neichstagskämpfe um den Entwurf zu schnell und Zu plötzlich, als daß es
nicht ebenso schnell in der nichtjuristischen Welt wieder hätte verrauchen sollen.
Inzwischen ist in der juristischen Litteratur an Ausgaben aller Art, an Kom¬
mentaren und Materialsammlungen eine wahre Flut hereingebrochen; gelegentlich
hört man auch davon, wie sich Interessentenkreise mit den neuen Vorschriften
abzufinden suchen, z. B. die Hausbesitzerverbände ihren Mitgliedern raten,
durch schriftliche Verträge den Mietern die mühsam erkämpften Rechtsvorteile
wieder zu rauben, und beharrlich läuft noch immer die Frauenbewegung Sturm
gegen den "Raub an den Frauen" und gegen die "Unterdrückung der Frauen
durch die Männer." In weitern Kreisen ist dagegen von einem wirklich leben¬
digen Interesse für das neue Recht kaum etwas zu spüren; wein eine Ahnung
davon aufgegangen ist, wie wichtig für jeden, sei er Geschäfts- oder Privat¬
mann, bis in die kleinsten Geschäfte des täglichen Lebens hinein die Kenntnis
der neuen Vorschriften werden kann, der tröstet sich damit, daß es bis zum
1- Januar 1900 noch lauge Zeit hat.

Es kommt noch eins hinzu, das Interesse abzukühlen: Ohne Zweifel ist
das Ende der Nechtszcrsplitterung, der Beginn der Rechtseinheit ein nationales
Ereignis ersten Ranges, geeignet, gerade bei den Hauptvertretern des natio¬
nalen Gedankens die lauteste Begeisterung zu wecken. Aber es ist bekannt,
daß das Gegenteil eingetreten ist, daß gerade die Borkämpfer des deutschen
Rechts (juristisch gesprochen: die "Germanisten") die ärgsten Feinde des bürger¬
lichen Gesetzbuchs geworden sind. Es ist bei ihren Angriffen viel Phrase,




Einiges von der deutschen Rechtseinheit
Otto Hagen von
1

b wohl ein einziger Nichtjurist im deutschen Reiche am 18. August
daran gedacht hat, daß vor einem Jahre mit der kaiserliche,:
Verkündigung des bürgerlichen Gesetzbuches der Rechtseinheit
des deutschen Reichs auf dem Gebiete des Privatrechts die
Geburtsstunde geschlagen hatte? Schwerlich — das allgemeinere
Interesse an der Neugestaltung des bürgerlichen Rechts entbrannte zur Zeit
der Neichstagskämpfe um den Entwurf zu schnell und Zu plötzlich, als daß es
nicht ebenso schnell in der nichtjuristischen Welt wieder hätte verrauchen sollen.
Inzwischen ist in der juristischen Litteratur an Ausgaben aller Art, an Kom¬
mentaren und Materialsammlungen eine wahre Flut hereingebrochen; gelegentlich
hört man auch davon, wie sich Interessentenkreise mit den neuen Vorschriften
abzufinden suchen, z. B. die Hausbesitzerverbände ihren Mitgliedern raten,
durch schriftliche Verträge den Mietern die mühsam erkämpften Rechtsvorteile
wieder zu rauben, und beharrlich läuft noch immer die Frauenbewegung Sturm
gegen den „Raub an den Frauen" und gegen die „Unterdrückung der Frauen
durch die Männer." In weitern Kreisen ist dagegen von einem wirklich leben¬
digen Interesse für das neue Recht kaum etwas zu spüren; wein eine Ahnung
davon aufgegangen ist, wie wichtig für jeden, sei er Geschäfts- oder Privat¬
mann, bis in die kleinsten Geschäfte des täglichen Lebens hinein die Kenntnis
der neuen Vorschriften werden kann, der tröstet sich damit, daß es bis zum
1- Januar 1900 noch lauge Zeit hat.

Es kommt noch eins hinzu, das Interesse abzukühlen: Ohne Zweifel ist
das Ende der Nechtszcrsplitterung, der Beginn der Rechtseinheit ein nationales
Ereignis ersten Ranges, geeignet, gerade bei den Hauptvertretern des natio¬
nalen Gedankens die lauteste Begeisterung zu wecken. Aber es ist bekannt,
daß das Gegenteil eingetreten ist, daß gerade die Borkämpfer des deutschen
Rechts (juristisch gesprochen: die „Germanisten") die ärgsten Feinde des bürger¬
lichen Gesetzbuchs geworden sind. Es ist bei ihren Angriffen viel Phrase,


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[0501] [Abbildung] Einiges von der deutschen Rechtseinheit Otto Hagen von 1 b wohl ein einziger Nichtjurist im deutschen Reiche am 18. August daran gedacht hat, daß vor einem Jahre mit der kaiserliche,: Verkündigung des bürgerlichen Gesetzbuches der Rechtseinheit des deutschen Reichs auf dem Gebiete des Privatrechts die Geburtsstunde geschlagen hatte? Schwerlich — das allgemeinere Interesse an der Neugestaltung des bürgerlichen Rechts entbrannte zur Zeit der Neichstagskämpfe um den Entwurf zu schnell und Zu plötzlich, als daß es nicht ebenso schnell in der nichtjuristischen Welt wieder hätte verrauchen sollen. Inzwischen ist in der juristischen Litteratur an Ausgaben aller Art, an Kom¬ mentaren und Materialsammlungen eine wahre Flut hereingebrochen; gelegentlich hört man auch davon, wie sich Interessentenkreise mit den neuen Vorschriften abzufinden suchen, z. B. die Hausbesitzerverbände ihren Mitgliedern raten, durch schriftliche Verträge den Mietern die mühsam erkämpften Rechtsvorteile wieder zu rauben, und beharrlich läuft noch immer die Frauenbewegung Sturm gegen den „Raub an den Frauen" und gegen die „Unterdrückung der Frauen durch die Männer." In weitern Kreisen ist dagegen von einem wirklich leben¬ digen Interesse für das neue Recht kaum etwas zu spüren; wein eine Ahnung davon aufgegangen ist, wie wichtig für jeden, sei er Geschäfts- oder Privat¬ mann, bis in die kleinsten Geschäfte des täglichen Lebens hinein die Kenntnis der neuen Vorschriften werden kann, der tröstet sich damit, daß es bis zum 1- Januar 1900 noch lauge Zeit hat. Es kommt noch eins hinzu, das Interesse abzukühlen: Ohne Zweifel ist das Ende der Nechtszcrsplitterung, der Beginn der Rechtseinheit ein nationales Ereignis ersten Ranges, geeignet, gerade bei den Hauptvertretern des natio¬ nalen Gedankens die lauteste Begeisterung zu wecken. Aber es ist bekannt, daß das Gegenteil eingetreten ist, daß gerade die Borkämpfer des deutschen Rechts (juristisch gesprochen: die „Germanisten") die ärgsten Feinde des bürger¬ lichen Gesetzbuchs geworden sind. Es ist bei ihren Angriffen viel Phrase,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/501>, abgerufen am 01.05.2024.