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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Das ".politische Papsttum

er deutsche Katholikentag hat, getreu seinem Vorsatze, jedesmal
die Unabhängigkeit des Stellvertreters Christi auf Erden zu
fordern, bis sie erreicht sein werde, auch diesmal in Landshut
am letzten August durch den Mund des Abgeordneten Porsch
verkünden lassen, daß der Papst in Rom nicht Unterthan (was
er ja in Wirklichkeit gar nicht ist), sondern Souverän sein müsse. Sein vati¬
kanischer Palast sei ein Gefängnis. Einmal habe man einen toten Papst bei
dunkler Nacht auf den Friedhof hinausgetragen, und da draußen sei er ge¬
schmäht worden (unsers Wissens ist übrigens Pius IX. in seinem Sarkophag
in der Peterskirche beigesetzt worden), was würde einem lebenden geschehen,
wenn er sich außerhalb des Vatikans sehen ließe? Der Statthalter Christi
müsse sich frei in Rom bewegen können, die Forderung seiner Souveränität
vonseiten der Katholiken sei aber keine Kriegserklärung gegen das Königreich
Italien; wer das sage, sei ein Lügner. (Stürmischer Beifall.)

Was sagen dazu die italienischen Katholiken, die es doch wohl noch näher
angeht? Während der entscheidenden Ereignisse, die seit dem Jahre 1870 den
Papst allmählich in diesen offiziellen Zustand der sogenannten Gefangenschaft
brachten, wogte das nationale Gefühl der römischen Bevölkerung so hoch auf,
daß die Zahl derer, die auf Seiten des Gefangnen standen, dagegen ver¬
schwindend klein war. So blieb es auch jahrelang, so geschickt auch die Kurie
ihren stillen Widerstand gegen die neuen Zustände und das junge Königreich
zu organisiren verstand. Dem Volke wollte es, soviel man ihm auch vorredete,
gar nicht einleuchten, daß der Papst ein Gefangner sei. Man konnte sogar
aus dem Munde der Frauen, die doch sonst für Gefühle zugänglich und in
Sachen der Politik weniger bestimmt sind, eine fast zur Formel gewordne
Redeweise hören: Er soll doch herauskommen aus dem Vatikan und sich in


Grenzboten III 1897 l>7


Das ».politische Papsttum

er deutsche Katholikentag hat, getreu seinem Vorsatze, jedesmal
die Unabhängigkeit des Stellvertreters Christi auf Erden zu
fordern, bis sie erreicht sein werde, auch diesmal in Landshut
am letzten August durch den Mund des Abgeordneten Porsch
verkünden lassen, daß der Papst in Rom nicht Unterthan (was
er ja in Wirklichkeit gar nicht ist), sondern Souverän sein müsse. Sein vati¬
kanischer Palast sei ein Gefängnis. Einmal habe man einen toten Papst bei
dunkler Nacht auf den Friedhof hinausgetragen, und da draußen sei er ge¬
schmäht worden (unsers Wissens ist übrigens Pius IX. in seinem Sarkophag
in der Peterskirche beigesetzt worden), was würde einem lebenden geschehen,
wenn er sich außerhalb des Vatikans sehen ließe? Der Statthalter Christi
müsse sich frei in Rom bewegen können, die Forderung seiner Souveränität
vonseiten der Katholiken sei aber keine Kriegserklärung gegen das Königreich
Italien; wer das sage, sei ein Lügner. (Stürmischer Beifall.)

Was sagen dazu die italienischen Katholiken, die es doch wohl noch näher
angeht? Während der entscheidenden Ereignisse, die seit dem Jahre 1870 den
Papst allmählich in diesen offiziellen Zustand der sogenannten Gefangenschaft
brachten, wogte das nationale Gefühl der römischen Bevölkerung so hoch auf,
daß die Zahl derer, die auf Seiten des Gefangnen standen, dagegen ver¬
schwindend klein war. So blieb es auch jahrelang, so geschickt auch die Kurie
ihren stillen Widerstand gegen die neuen Zustände und das junge Königreich
zu organisiren verstand. Dem Volke wollte es, soviel man ihm auch vorredete,
gar nicht einleuchten, daß der Papst ein Gefangner sei. Man konnte sogar
aus dem Munde der Frauen, die doch sonst für Gefühle zugänglich und in
Sachen der Politik weniger bestimmt sind, eine fast zur Formel gewordne
Redeweise hören: Er soll doch herauskommen aus dem Vatikan und sich in


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[0537] [Abbildung] Das ».politische Papsttum er deutsche Katholikentag hat, getreu seinem Vorsatze, jedesmal die Unabhängigkeit des Stellvertreters Christi auf Erden zu fordern, bis sie erreicht sein werde, auch diesmal in Landshut am letzten August durch den Mund des Abgeordneten Porsch verkünden lassen, daß der Papst in Rom nicht Unterthan (was er ja in Wirklichkeit gar nicht ist), sondern Souverän sein müsse. Sein vati¬ kanischer Palast sei ein Gefängnis. Einmal habe man einen toten Papst bei dunkler Nacht auf den Friedhof hinausgetragen, und da draußen sei er ge¬ schmäht worden (unsers Wissens ist übrigens Pius IX. in seinem Sarkophag in der Peterskirche beigesetzt worden), was würde einem lebenden geschehen, wenn er sich außerhalb des Vatikans sehen ließe? Der Statthalter Christi müsse sich frei in Rom bewegen können, die Forderung seiner Souveränität vonseiten der Katholiken sei aber keine Kriegserklärung gegen das Königreich Italien; wer das sage, sei ein Lügner. (Stürmischer Beifall.) Was sagen dazu die italienischen Katholiken, die es doch wohl noch näher angeht? Während der entscheidenden Ereignisse, die seit dem Jahre 1870 den Papst allmählich in diesen offiziellen Zustand der sogenannten Gefangenschaft brachten, wogte das nationale Gefühl der römischen Bevölkerung so hoch auf, daß die Zahl derer, die auf Seiten des Gefangnen standen, dagegen ver¬ schwindend klein war. So blieb es auch jahrelang, so geschickt auch die Kurie ihren stillen Widerstand gegen die neuen Zustände und das junge Königreich zu organisiren verstand. Dem Volke wollte es, soviel man ihm auch vorredete, gar nicht einleuchten, daß der Papst ein Gefangner sei. Man konnte sogar aus dem Munde der Frauen, die doch sonst für Gefühle zugänglich und in Sachen der Politik weniger bestimmt sind, eine fast zur Formel gewordne Redeweise hören: Er soll doch herauskommen aus dem Vatikan und sich in Grenzboten III 1897 l>7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/537>, abgerufen am 01.05.2024.